Riedls Dax-Radar Börsensturz: Drei Risiken – und eine Hoffnung

Quelle: Bloomberg

An den Weltbörsen kommt es zum schlimmsten Kursrückgang seit dem Coronacrash. Die Gefahren für Aktien, Anleihen und Kryptowährungen sind erheblich. Dennoch, der Kampf um den großen Trend ist noch nicht verloren. 

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Mit einem fulminanten Schlussspurt haben die großen Aktienbörsen die horrenden Verluste des schwarzen Montags am Ende doch noch ausgeglichen. Der Dow Jones, die wichtigste der weltweiten Aktienmarktkurven, hat binnen vier Stunden mehr als 1100 Zähler gewonnen – eine beeindruckende Leistung. Kurz davor hatten zahlreiche Indizes in einem Ausverkauf wichtige Unterstützungszonen erreicht, hier aber aus dem Stand wieder nach oben gedreht. Im Dax ging es genau bis in die seit Mai vergangenen Jahres bestehende mittelfristige Tiefenzone zwischen 15.000 und 14.800 Punkte hinab, bevor die Kurse dann wieder nach oben drehten.  

Eine solche Marktbewegung, zunächst mit zunehmender Abwärtsdynamik nach unten, gipfelnd in einem fast panischen Ausverkauf, dann aber eine schnelle, deutliche Erholung, ist typisch für ein sogenanntes Reversal. Mit einer solchen Wende in der Markttendenz wird zunächst einmal der freie Fall unterbrochen. Ob das schon der Tiefpunkt der gesamten Abwärtsbewegung war, ist eher fraglich. Denn an dem gefährlichen Mix, der sich derzeit über den Börsen zusammenbraut, hat sich nichts geändert. Vor allem drei große Gefahren bestehen für die Märkte – aber auch eine Hoffnung. 

Risiko eins: Inflation und massiv steigende Zinsen

Zwei Dinge haben den aktuellen Kurseinbruch an den Börsen ausgelöst: die Veröffentlichung der Fed-Protokolle Anfang Januar und der Sprung der US-Anleiherenditen über die bisherige mittelfristige Topzone bei 1,75 Prozent. Wirtschaftlicher Hintergrund sind die seit Monaten überbordenden Preissteigerungen und Inflationszahlen. Sie haben in den USA mittlerweile sieben Prozent erreicht und dürften auch in Europa in eine ähnliche Dimension vordringen. Besonders kritisch dabei ist, dass sich die Inflation als wesentlich dynamischer und hartnäckiger erweist als zunächst angenommen. Vor allem die anfänglichen Beschwichtigungen der Notenbanken erscheinen nun verfehlt. Umso größer dürfte nun das Risiko sein, dass die Notenbanken das Versäumte durch eine massive Straffung der Geldpolitik nachholen. So, wie die Notenbanken anfangs zu wenig reagiert hatten, fürchten die Märkte jetzt eine Überreaktion. Und darauf müssen sie sich erst einstellen; durch erhebliche Kursrückgänge bei Anleihen und Aktien. 

(Welche überraschenden Gewinne es in früheren Zinswenden gab, erfahren Sie in diesem Artikel.)

Risiko zwei: Die politische Großwetterlage

Politische Börsen hätten kurze Beine – das ist einer der ignorantesten Börsensprüche aller Zeiten. Börse fand und findet nie im luftleeren Raum statt. Börsen und Märkte sind ein hochsensibles Gespinst, in dem zentrale Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sofort in Kursbewegungen umgesetzt werden.

So führte etwa die politisch gewollte Energiewende zum Ende der alten Stromkonzerne und zum Aufstieg der Erneuerbaren und der E-Autos. Der Aufschwung der chinesischen Börsen seit zwei Jahrzehnten von exotischen Handelsplätzen zu zentralen, weltbedeutenden Märkten wäre ohne die dahinterstehende langfristige Strategie der Kommunistischen Partei Chinas nie geschehen. Für die deutsche Wirtschaft ist China in den vergangenen Jahren zum wichtigsten und größten Zukunftsmarkt herangewachsen. Sollten diese Hoffnungen enttäuscht oder gar zerstört werden, hätte das schwerwiegende Folgen für die deutsche Wirtschaft und deutsche Aktien.



Im Konflikt mit Russland und der Ukraine geht es aktuell nicht nur um russisches Erdgas und amerikanisches Flüssiggas, sondern um Wirtschafts- und Machtfragen, die damit eng verbunden sind. Ein Konflikt der westlichen Länder mit Russland war und ist für Deutschland und die deutsche Wirtschaft schon aus geografischen Gründen stets eine schwere Hypothek. Dazu kommen jahrzehntelange enge und umfangreiche Beziehungen großer Unternehmen zu russischen Partnern: von E.On über BASF bis zu Siemens. Und selbst für russische Staatsanleihen ist die deutsche Börse seit langem einer der wichtigsten Handelsplätze. Eine Eskalation der politischen Großkonflikte hätte für deutsche Aktien eine ganze Reihe negativer Folgen, die von den Börsen bisher noch kaum eingepreist worden sind. 

Risiko drei: Gefährlich angeschlagene Wertpapiermärkte 

Der Aktienanstieg der vergangenen Monate wurde, vor allem in Amerika, zu einem wesentlichen Teil von billionenschweren Hightech-Unternehmen getragen, besonders von Apple, Microsoft, Alphabet und E-Autopionier Tesla. Dazu kamen in der zweiten Reihe Aufsteiger aus der begehrten Chipwelt wie Nvidia oder im Umfeld der Coronabekämpfung Biontech und Moderna. All diese Favoriten sind seit dem Markteinbruch Anfang Januar massiv unter Druck gekommen. Bemerkenswert dabei: Auslöser der Verkäufe war zwar der Zinsanstieg. Doch seitdem die Verkaufslawine ins Rollen gekommen ist, entwickelt sie darüber hinaus eine Eigendynamik. Reihum ist nun von der Neubewertung dieser Branchen die Rede und von entsprechenden Umpositionierungen großer, marktbestimmender Investoren. Nach vielen Jahren Aufwärtstrend dieser Branchen (der durch den Coronacrash nur unterbrochen und durch die Coronahausse danach noch einmal beschleunigt wurde) ist diese Bereinigung nicht einfach in zwei oder drei Wochen abgehakt. Dass sich zeitgleich auch die Preise für die Kryptowährungen kräftig abkühlen, passt zur globalen Entzauberung der Hightechs. 

Eine Hoffnung: Die Notenbanken bekommen Angst vor der eigenen Courage

Die Aufwärtsentwicklung an den Börsen wurde in dem Moment gebrochen, als offensichtlich wurde, dass die amerikanische Notenbank entschiedener als bisher gedacht den Hebel in der Zinspolitik umlegte. Mit einem Schlag ging den Börsen der große Beschützer Fed verloren, der den Aktienmärkten immer dann aus der Patsche half, wenn es wieder einmal eng geworden ist. Als sogenannter „Fed-Put“ ging diese Absicherung, das Backup durch die Notenbank, in das allgemeine Börsenvokabular ein. An ihrer neuen, härteren Haltung kann die Fed so schnell nichts ändern; das wäre ein erheblicher Gesichtsverlust.

Dennoch hat die Fed bei aller Inflationsbekämpfung sicherlich kein Interesse daran, am scharfen Niedergang der amerikanischen und weltweiten Anleihe- und Aktienmärkte schuld zu sein. Gerade weil die Marktreaktionen bei Aktien und Anleihen in den vergangenen Tagen so heftig ausgefallen sind, könnte die Fed nun Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen und womöglich in Zukunft wieder etwas versöhnlichere Töne anschlagen. Sollten dazu in den nächsten Monaten auch die Konjunktur- und womöglich sogar die Inflationszahlen verhaltener ausfallen, hätte sie dafür sogar die ökonomische Rechtfertigung.

Fazit für die Börsen: Die Aktienmärkte erleben den schärfsten Einbruch seit dem Coronacrash. Dax, Dow Jones, Nasdaq-Index, Euro Stoxx – überall wurden zentrale Unterstützungen und wichtige Durchschnitte wie die 200-Tagelinie gerissen. Zugleich sind, hierzulande besonders deutlich im TecDax, MDax und SDax, klassische obere Wendeformationen entstanden. Zusammen mit der deutlich angestiegenen Volatilität (den von Profis erwarteten Kursschwankungen) sind die Börsen wieder in den Krisen- bis Crashmodus übergegangen.

Dass diese kritische Marktphase schon nach 13 Börsentagen (gezählt seit der ersten, herben Enttäuschung im Dow Jones am 5. Januar) vorbei ist, dürfte wenig wahrscheinlich sein. In der Regel dauern solche kritischen Phasen an den Börsen eher drei bis sechs Wochen. Dabei finden mindestens zwei, manchmal sogar mehrere Tiefentests statt. Das würde eher auf ein Ausloten der Kurstiefen im Februar deuten; ein typischer Wendemonat an den Börsen ist zudem der März.

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Dem Dax ist es im ersten Absturz gelungen, die wichtige Unterstützungszone zwischen 14.800 bis 15.000 Punkten zu verteidigen. Sollte das beim zweiten Tiefentest nicht mehr gelingen, könnte die nächste Station bei 14.000 bis 13.700 Punkten liegen. Die Fed-Sitzung an diesem Mittwoch dürfte hier eine entscheidende Rolle spielen. Gut möglich, dass Notenbank-Chef Jerome Powell die Gelegenheit nützt, gerade angesichts der jüngsten, gefährlichen Entwicklung etwas Angst von den Märkten zu nehmen.

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