Riedls Dax-Radar
Dax: Viele Risiken und eine Rally. Quelle: imago images

Fünf Risiken überschatten die Börsenerholung

Nach vier Wochen Kursgewinn wächst die Hoffnung, dass die Aktienmärkte das Schlimmste überstanden haben. Die Wette darauf ist mutig, aber nicht aus der Luft gegriffen. 

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An die 1200 Punkte hat der Dax seit seinem jüngsten Tief am 9. Mai zugelegt. Weltweit sind die Aktienkurse seit vier Wochen auf Erholungskurs eingeschwenkt. Besonders dynamisch haben vor allem die Titel zugelegt, die vorher massiv unter Druck standen: Unter den internationalen Mega-Aktien vor allem Amazon oder Tesla, im Dax besonders Chiphersteller Infineon, Daimler Truck oder Biotechspezialist Sartorius

Motor der laufenden Erholung ist die Entspannung bei den Zinsen. Spiegelbildlich zu den Aktienkursen sind die Renditen für zehnjährige US-Anleihen seit dem Hoch am 9. Mai von 3,2 Prozent bis auf 2,7 Prozent zurückgegangen. Derzeit pendeln sie um 2,9 Prozent. An den Märkten geht die Hoffnung um, dass die amerikanische Notenbank angesichts der deutlichen Konjunktureintrübung und der im Herbst anstehenden Zwischenwahlen in den USA bei ihrer Straffungspolitik womöglich etwas langsamer vorgehen könnte. 

Ein technischer Effekt an den Börsen kommt hinzu. Die extrem negative Stimmung hatte in der ersten Mai-Hälfte zu einem Rekordvolumen bei Absicherungen und Short-Spekulationen auf fallende Kurse geführt. Nachdem die Aktienmärkte im Mai dann aber nicht weiter abgestürzt sind, mussten zahlreiche Baisse-Positionen wieder eingedeckt werden, die zuvor auf den Markt geworfenen Aktien wurden zurückgekauft. Zudem griffen langfristige Investoren vor allem bei Qualitätstiteln zu, deren Bewertungen zuletzt auf ein moderates Maß zurückgefallen waren. Breit angelegte Rückkäufe durch Unternehmen stützen zusätzlich.

Kurze Erholung oder längere Aufwärtsbewegung?

Die entscheidende Frage für Anleger lautet nun: Handelt es sich bei der aktuellen Aufwärtsbewegung weiterhin um eine Bärenmarktrally, also eine vorübergehende Erholung in einem größeren Abwärtstrend – oder könnte daraus eine längere Aufwärtsbewegung entstehen, womöglich bis zu den alten Topkursen oder sogar darüber hinaus? 

Geht es nach dem politischen und fundamentalen Umfeld, wird es für die Börsen nicht einfach. Fünf zentrale Risiken überschatten derzeit die Märkte. 

Erstes Risiko: Die Eskalation in der Geopolitik. Im Gegensatz zu früheren Auseinandersetzungen zwischen Ost und West ist im Krieg in der Ukraine zunehmend eine Verhärtung der Fronten zu registrieren. Mehr denn je setzt jede Seite auf Sieg. Wirtschaftlich führt dies vor allem bei Energieträgern und Nahrungsmitteln zu erheblichen Preissteigerungen. Kommt es zu keiner Entspannung im geopolitischen Konflikt, ist ein Abklingen der Preiswellen nicht zu erwarten. 

Zweites Risiko: Die Inflationsspirale. Die Preissteigerungen in Europa und den USA haben mittlerweile den Bereich um acht Prozent erreicht. Das sind die höchsten Inflationsraten seit dem Ölschock von 1973, zum Teil sogar seit dem Zweiten Weltkrieg. Natürlich ist es möglich, dass sich die Preissteigerungsraten mittelfristig aus Gründen des Basiseffekts etwas abschwächen. Doch noch vorher könnte es zu einem anderen Effekt kommen: Aufgrund der enorm gestiegenen Kosten für Energie, Rohstoffe und Material geraten immer mehr Unternehmen in ein Margendilemma, das sie ihrerseits über höhere Preise ausgleichen müssen. Dieser Prozess hat in den vergangenen Wochen begonnen und er dürfte noch mehrere Monate anhalten. 
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Drittes Risiko: Die Gewinnerosion. Sollten Unternehmen diese Preissteigerungen nicht durchdrücken können, drohen ihnen massive Gewinnrückgänge. Nicht jedes Unternehmen hat eine Marktmacht wie etwa der Schweizer Nahrungsriese Nestlé oder im Dax der Autobauer Mercedes-Benz, die durch Produktpolitik und Preisgestaltung die gestiegenen Kosten an ihre Kunden überwälzen können. Viele schwächere Unternehmen wurden schon in der Coronakrise an ihre Margengrenze gedrückt. Schlimmer noch: Selbst der amerikanische Handelsriese Walmart weist darauf hin, dass viele Verbraucher mittlerweile bei Preissteigerungen schlichtweg nicht mehr mitziehen können und deshalb auf einen Kauf verzichten; ein Phänomen sinkender Nachfrage, das hierzulande gerade die Erdbeer- und Spargelbauern zu spüren bekommen. 

von Jacqueline Goebel, Henryk Hielscher, Anton Riedl, Karin Finkenzeller

Viertes Risiko: Der konjunkturelle Abschwung. Die Zahlen, die von den Unternehmen zum ersten Quartal vorgelegt wurden, waren alles in allem passabel. Das aber hat auch damit zu tun, dass der Krieg in der Ukraine dabei nur fünf Wochen des Quartals ausmachte. Im zweiten Quartal jedoch dürfte er, wenn es nicht zu einer politischen Lösung kommt, die gesamten drei Monate überschatten. Während der durchschnittliche Ölpreis der Sorte Brent im ersten Quartal bei rund 95 Dollar lag, pendelt er seit April zwischen 100 und 120 Dollar. Für Erdgas, Heizöl, Kohle, Weizen, Reis oder Soja sind die Preise im Schnitt seit Beginn des zweiten Quartals ebenfalls eine Etage höher als im ersten Quartal. Dass derzeit gerade die Aktien aus dem Bereich Ölwirtschaft zu den stärksten Titeln weltweit gehören, ist ein Seismograph für weiterhin hohe Energienotierungen. 

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