Riedls Dax-Radar
Die Aktie von Wirecard ist auf der Anzeigetafel der Frankfurter Wertpapierbörse unter den Dax 30-Werten mit dem Kürzel WDI (unten) gelistet. Vom Jahreshoch bei 159 Euros sind keine zehn Prozent mehr geblieben. Der Dax steigt indessen wieder und nimmt Anlauf auf 13.000 Punkte. Quelle: dpa

Steigflug in Richtung 13.000 Punkte – trotz Wirecard

Trotz Wirecard-Schock und Lufthansa-Turbulenzen zeigt der Aktienmarkt Stärke. Kurzfristig gab es im Dax sogar ein wichtiges Kaufsignal.

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Als Wirecard am 24. September 2018 in den Dax kam, hatte das Unternehmen 22 Milliarden Euro Börsenwert. Heute wird es noch mit knapp zwei Milliarden Euro bezahlt – und im September dürfte die Aktie wieder aus dem Dax fliegen. Dabei hat Wirecard binnen zwei Jahren in der Aktienbundesliga nicht nur bisher 20 Milliarden Euro Börsenwert vernichtet, sondern in dieser Zeit viermal für ungewöhnlich große Kursrückgänge gesorgt – bevor es vom 18. bis 22. Juni noch einmal zu 87 Prozent Verlust innerhalb von drei Tagen kam; der heftigste Crash, den eine Dax-Aktie jemals erlebte.

Wenn eine Aktie so extreme Kursbewegungen vollzieht, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass zwischen dem Bild, das sich Anleger von dem Unternehmen machen, und der Wirklichkeit dieses Unternehmens eine riesige Lücke klafft.

Der einstige Glaube an Wirecard ist nur zu verständlich: Als ursprünglich führende Adresse im jungen Megamarkt Bezahldienstleister schien Wirecard als einer der wenigen Aufsteiger deutscher Provenienz, der an internationale Hightech-Überflieger anschließen konnte.

Dem Dax hätte ein solches Unternehmen gut getan. Als Wirecard in den Index aufstieg, flog ausgerechnet jene Commerzbank aus der Berechnung, die, 1870 im Vorfeld des deutschen Kaiserreichs gegründet, schon seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr richtig auf die Beine kam. Und das zweite noch im Dax verbleibende Geldhaus alter Art, die Deutsche Bank, hatte sich nach bis zu 95 Prozent Kursverlust seit 2007 zu einem Milliardengrab entwickelt.

Alte Dax-Schwergewichte seit Jahren im Abseits

Schlimmer noch für Dax-Anleger: Die wichtigsten Unternehmen im Index erleben seit Jahren eine radikale Erschütterung:

  • Die Energiekonzerne E.On und RWE, einst Schwergewichte des Index, wurden von der Energiewende kalt erwischt und brauchten lange Jahre, bis sie über das Netzgeschäft (E.On) und den Ausbau neuer Energien (RWE) langsam wieder ein plausibles Geschäftsmodell entwickelten.
  • Die Autohersteller, die sich (vor allem Volkswagen) durch einen gigantischen Abgasskandal fast ins Aus katapultierten, bevor sie nun notgedrungen die grünen Zeichen der Zeit erkennen und einiges daransetzen, sich vom kalifornischen Elektropionier Tesla nicht abhängen zu lassen.
  • Die Chemieklassiker, von denen sich Bayer in ein Abenteuer mit dem umstrittenen Glyphosathersteller Monsanto einließ, das der Aktie zwischenzeitlich Börsenwertverluste bescherte, die weit über die Geldvernichtung von Wirecard hinausgingen.
  • Die ewige Baustelle Siemens, die seit den Zeiten des unglücklich gescheiterten Heinrich v. Pierers immer wieder versucht, sich vom Industriedampfer zum Hightech-Konzern zu mausern – wofür es immerhin durch den jüngsten Erfolg der digitalen Geschäfte substanzielle Fortschritte gibt.

Die Hoffnung, dass ein unkonventioneller Aufsteiger in einem Megamarkt wie digitale Finanzdienste frischen Wind in den Dax bringt, ist mit dem tiefen Fall Wirecards gescheitert. Dass aktuell erst einmal die Lufthansa aus dem Dax fliegt, ist nicht deren Verschulden, sondern Folge der administrativ verordneten Vollbremsung der Wirtschaft. Nun zittern Anleger, ob sich auf der in Kürze stattfindenden außerordentlichen Hauptversammlung Bund, Unternehmensführung und Großaktionär Heinz Hermann Thiele über die Rettung des Carriers einigen können.

Auch bei Rettung ist die Lufthansa-Aktie noch kein Kauf

Die systemische Bedeutung der Lufthansa, ihre staatliche Vergangenheit und die Schockwellen, die ein Scheitern auslösen würden, sprechen dafür, dass die Rettung gelingt. Ein Kauf ist die Aktie auf aktuellem Niveau dennoch nicht. Dafür sind die Perspektiven einer auch im Erfolgsfall deutlich zurückgestutzten Kranichlinie nicht gut genug.

Als neuer Dax-Wert ist nun die Deutsche Wohnen aufgestiegen. Eigentlich dürfte angesichts des hohen Bedarfs an Wohnraum und des niedrigen Zinsniveaus das Geschäft mit Wohnimmobilien, vor allem die Vermietung, erst einmal ziemlich stabil bleiben. Risikofaktoren sind die politische Dimension, die das Thema Miete mittlerweile erreicht hat – vor allem im Schwerpunktmarkt der Deutschen Wohnen in Berlin. Und langfristig könnte sich dann die Frage stellen, ob es nicht doch einmal zu Zinserhöhungen kommt und welche Folgen dies dann für die Immobilienmärkte hat. Kurz- bis mittelfristig jedoch dürften sich beide Immobilienaktien im Dax, die Deutsche Wohnen und die Vonovia, passabel entwickeln.

Fazit für die aktuelle Entwicklung: Das Abenteuer Wirecard und der Absteiger Lufthansa spielen für den Index keine Rolle mehr; die Deutsche Wohnen sollte dagegen eine etwas beruhigendere Wirkung auf den Dax haben. Die Hoffnung darauf, dass mit dem zweiten Quartal der Tiefpunkt der Corona-Rezession überwunden ist, die Gratifikationen der Notenbanken greifen und die ausgesprochen starke Entwicklung amerikanischer Technologieaktien sollten den Dax weiter beflügeln. Dass er sich im Kampf um die 200-Tage-Durchschnittslinie (aktuell 12.153 Punkte) gerade deutlich nach oben absetzt, ist ein gutes Zeichen. Zumindest bis 13.000 Punkte sollte erst einmal Luft sein.

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Im Wirecard-Skandal meldet sich die Bafin zu Wort und spricht von einem „Desaster“. Daran ist die Behörde alles andere als unschuldig. Ihr Handeln könnte Anleger dazu verleitet haben, Aktien des Dax-Konzerns zu kaufen.

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