Stelter strategisch

2030 wünschen wir uns vielleicht, wir wären ausgetreten

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Großbritannien gilt als großer Brexit-Verlierer. Doch warum legt Brüssel dann so viel Wert auf Bestrafung? Zeit für den EUxit unseres Geldes.

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Die deutsche Flagge und die Flagge der EU Quelle: REUTERS

Was für eine Achterbahnfahrt! Zuerst die Brexit Angst, dann die Erholungsrallye, als die Umfragen für ein Verbleiben sprachen, dann der Einbruch, als die Briten das taten, was die Mehrheit der Beobachter für undenkbar hielt. Und nun eine neue, immer öfter gehörte Deutung, dass der Brexit für die Briten ein wirtschaftliches Desaster sei, während der Rest von Europa und die Weltwirtschaft nur gering davon tangiert würden.

Brüssel scheint der EU selbst nicht zur trauen

Bekanntlich bin ich, was die wirtschaftlichen Auswirkungen für Großbritannien betrifft, nicht so sicher, dass der Austritt wirklich auf Dauer die befürchteten negativen Folgen hat. Abschätzen kann es ohnehin zum heutigen Zeitpunkt niemand, weil wir nicht wissen, wie genau die Ausgestaltung der neu zu verhandelnden Vertragsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU sein wird.

Zur Person

Die Tatsache, dass die zutiefst verletzten Brüsseler Machteliten auf eine harte Behandlung Englands drängen, vor allem, um andere Länder von einem ähnlichen Schritt abzuhalten, zeugt von einem geringen Vertrauen in das eigene Projekt.

Wer von seinem Nutzen und Mehrwert überzeugt ist, muss nicht zu solch billigen Methoden greifen. Wenn man die Töne aus Brüssel hört, liegt es nahe, an eine Wohngemeinschaft zu denken, deren Zusammenhalt dadurch gesichert wird, dass man vor der Tür scharfe Hunde platziert, die nicht am Zugang, sehr wohl aber am Verlassen hindern. Eine europäische Variante des von den Eagles 1976 besungenen „Hotel California“. Besser wäre es allemal, die EU attraktiver zu machen.

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Das „WTO“-Modell Quelle: REUTERS

Ob die Zeit dafür noch reicht, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass sich die zunehmende Unzufriedenheit in der EU nicht mehr so lange unterdrücken lässt, und sich auch in anderen Ländern Mehrheiten für einen Exit finden. Spannend wird es, wenn das erste Euroland seinen Austritt erklärt. Spätestens dann stehen die EU und der Euro zur Disposition. Aus diesem Grunde habe ich an dieser Stelle schon vor zwei Wochen geschrieben, dass die Eurozone keineswegs besser dastehen muss als Großbritannien, vor allem wenn man einen fünf bis zehnjährigen Horizont ansetzt. Die Eurozone:

  • Bleibt gefangen in einer Dauerstagnation bedingt durch zu viele faule Schulden, rückläufige Erwerbsbevölkerung, schwaches Produktivitätswachstum, Reformstau und eine Mentalität, die die Umverteilung von Wohlstand über die Schaffung von Wohlstand stellt.
  • Ist unfähig die erforderliche politische Antwort auf diese Krise zu geben. Weder die deutsche Sparpolitik, noch die südländische Schuldenwirtschaft sind die richtige Lösung. Was wir brauchen, sind Schuldenrestrukturierungen, Reformen und eine Neuordnung der Eurozone. In keinem der drei Punkte ist auch nur ansatzweise ein Fortschritt zu sehen.
  • Besteht nur noch Dank der Geldschwemme der EZB, die die Zinsen zusätzlich gedrückt hat und so die unweigerliche Pleite nur aufschiebt. Die gekaufte Zeit wird von den Politikern nicht genutzt, weshalb die EZB in einer Abwärtsspirale gefangen bleibt und immer mehr und immer billigeres Geld in das System pumpen wird.

Kommt es nun zu einer erneuten Rezession – vielleicht gar ausgelöst durch den Brexit – in der Eurozone, ist der politische Zusammenhalt noch mehr gefährdet. Das Wohlstandsversprechen, welches die EU gegeben hat, wird spätestens seit 2008 nicht mehr erfüllt. Davor haben der Binnenmarkt und vor allem der vom Euro ausgelöste Verschuldungsboom zu einer Wohlstandsillusion beigetragen. Sinkender Wohlstand, Unfähigkeit der Regierungen, die Grundursachen zu bekämpfen und die als „Flüchtlingskrise“ unzureichend beschriebene Migrationskrise machen das Haus EU mitsamt seinem Zahlungsmittel Euro immer unwohnlicher.

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