Zschabers Börsenblick
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Lichtblicke für Anleger im zweiten Halbjahr

Turbulenter als die erste Hälfte des laufenden Börsenjahres wird die zweite kaum werden können. Vorbereiten sollten sich Anleger trotzdem – auch auf den einen oder anderen Lichtblick.

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Nehmen wir einmal an, Sie hätten am 31. Dezember 2019, so dies schon möglich gewesen wäre, eine Weltraumreise mit Elon Musks SpaceX angetreten und wären für sechs Monate im All unterwegs gewesen – und zwar ohne die Möglichkeit, Nachrichten von der Erde zu empfangen. Sie wären am vergangenen Wochenende wieder auf der Erde gelandet und hätten dann auf die Börsenkurse geschaut. Was hätten Sie wohl gedacht? Zur Erinnerung: Vor einem halben Jahr stand der DAX bei rund 13.100 Punkten, jetzt notiert er rund 700 Punkte oder rund fünf Prozent tiefer. Womöglich wäre Ihnen durch den Kopf gegangen: „Naja, viel passiert ist ja nicht.“

Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Tatsächlich ist in der Zwischenzeit sogar einiges hier unten los gewesen – und das dürften nicht nur Aktionäre von Wirecard bestätigen. So hat die Coronakrise zu einem Blitz-Crash historischen Ausmaßes geführt – und die anschließende Erholungsbewegung brachte die Kurse in ähnlich rekordverdächtigem Tempo wieder nah an die Vorkrisenniveaus heran.

Die spektakuläre Entwicklung zeigt auch, dass Börsen bei aller Emotionalität offenbar auch wieder den Weg zu den Fakten finden. Denn ungeachtet der zugegebenermaßen noch nicht zu beziffernden Folgen der nach wie vor aktiven Coronakrise gibt es einige positive Signale für den Aktienmarkt – auch und gerade für das zweite Halbjahr.

Das hängt unter anderem mit der vor dem Hintergrund ihrer Corona-Maßnahmen weiter zunehmenden Verschuldung der Regierungen rund um den Erdball zusammen: In diesem Jahr werden sie weltweit insgesamt zwischen acht und 14 Billionen US-Dollar an neuen Schulden aufnehmen – und das kann nur mit niedrigen Zinsen finanziert werden. Und auch wenn es dem einen oder anderen Börsianer mittlerweile wie eine Endlosschleife von „Täglich grüßt das Murmeltier“ erscheinen mag, es bleibt dabei: Niedrige Zinsen kennen vor allem einen Profiteur, nämlich Aktien. Deren Kurse dürften zudem von der hohen Liquidität, die bei vielen Investoren nach wie vor vorhanden ist, befeuert werden.

Konsumprognosen geben Hoffnung

Neben diesen grundsätzlichen und schon hinlänglich bekannten Rahmenbedingungen stimmen aber auch jüngste Entwicklungen positiv. So hat das Konsumverhalten in den USA im Mai mit einem Anstieg um 17,7 Prozent auch die optimistischsten Einschätzungen deutlich übertroffen – ein Anzeichen dafür, dass die Rezession zwar heftig ausfiel, aber auch ebenso rasch wieder enden könnte. Man darf zwar nicht ausblenden, dass der Entwicklung umfangreichende Maßnahmen der Regierung als Reaktion auf die Coronakrise vorausgegangen sind. Doch dieses Vorgehen schafft auch ein Vertrauen, dass es auf solche Krisen passende Antworten gibt. Und Vertrauen schadet der Börse nie.

Auch für Europa gibt es Lichtblicke, die womöglich ins zweite Halbjahr strahlen. Da wäre etwa Deutschland, wo sich die Konjunkturerwartungen der Experten im Juni zum dritten Mal in Folge verbessert haben. Der ZEW-Index stieg deutlich stärker als erwartet von 51,0 auf 63,4 Punkte. Das stellt ganz nebenbei den höchsten Wert seit März 2006 dar – was ebenfalls als Indikator interpretiert werden kann, dass die Konjunktur die Talsohle schon im Sommer durchschritten haben wird. Eines fällt hierbei allerdings auf: Die Erwartungshaltungen für die verschiedenen Branchen könnten unterschiedlicher kaum sein: Exportbranchen werden weiterhin skeptisch gesehen, während die Informationstechnologie, die Telekommunikation sowie konsumnahe Dienstleistungen vor einer positiven Bewertung nur so strotzen.

Es gilt aber schließlich auch für Börsianer: Corona und die Folgen können und sollten nicht außer Acht gelassen werden, selbst wenn es keine ausufernde zweite Welle geben sollte. Es gibt Branchen, die derart hart getroffen wurden von der Pandemie, dass es für einen Einstieg viel zu früh wäre. Anleger sollten selektiv vorgehen – und sich vorzugsweise Aktien wie Amazon, Wal-Mart und Zoom auf die Watchlist setzen.

Auch Emerging Markets können im zweiten Halbjahr Chancen bieten, aber hier sollten Anleger ebenfalls differenzieren: Märkte in Asien sind denen in anderen Regionen klar vorzuziehen; zu schwach präsentieren sich etwa die Platzhirsche in Südamerika, als dass sie an der Börse als große Hoffnungsträger für 2020 gehandelt werden sollten: In Brasilien geht eine politisch fragwürdige Führung mit einer wirtschaftlich desaströsen Vorstellung einher und Argentinien scheint einem Staatsbankrott so nah wie lange nicht mehr zu sein.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung in punkto Corona und angesichts der Tatsache, dass in den kommenden Monaten der Präsidentschaftswahlkampf in den USA für Schlagzeilen sorgen dürfte, sollten Börsianer auch im zweiten Halbjahr mit einer erhöhten Volatilität rechnen. Aber eine solche sind sie ja aus der ersten Jahreshälfte gewohnt. Es sei denn, sie waren da gerade im All unterwegs.
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