
WirtschaftsWoche Online: Herr Lingohr, die Jahresendrally ist im vollen Gange, kaum ein Tag ohne Börsenrekorde. Beunruhigt Sie das?
Lingohr: Wir haben ein außergewöhnliches Jahr an den Aktienmärkten gehabt. Wenn wir wie jetzt im Dax oder im amerikanischen S&P-500-Index mit 27 Prozent im Plus liegen, dann ist das exzellent. Das erleben wir nicht oft. Und natürlich freue ich mich wie jeder andere über steigende Kurse. Aber es wird langsam etwas heiß. Ich würde als Anleger, der voll in Aktien investiert ist, sicherlich so langsam 20 bis 25 Prozent verkaufen und die Barreserven erhöhen.
Das heißt, Sie halten es für möglich, dass sich die Börsenkurse dem Zenit nähern?
Dem Zenit nicht unbedingt. Aber ich halte es für möglich, dass wir eine Korrektur bekommen. Viel deutet darauf hin: Insider etwa verkaufen sehr stark. Das bedeutet aber nicht, dass ich pessimistisch bin, längerfristig bin ich sogar eher optimistisch. Aber es geht gerade alles ein bisschen schnell.
Auf was für ein Jahr blicken Sie für Ihr Portfolio zurück?
Wir bei Lingohr hatten in diesem Jahr Performanceprobleme mit dem weltweit investierenden Fonds. Zum einen weil wir alle Märkte gleich gewichten, was zu einer Untergewichtung des amerikanischen Marktes führt. Zum anderen wegen der Schwellenländer-Investments. Wir haben lange Jahre von dieser Mischung sehr profitiert, aber diesmal haben uns die asiatischen Titel Performance gekostet.





Wenn man den langfristigen Verlauf Ihres Flaggschiff-Fonds Lingohr-Systematic mit der weltweiten Entwicklung der Aktienmärkte vergleicht, waren Sie in langen Phasen erfolgreicher, haben den Vorsprung aber auch immer wieder eingebüßt. Jetzt scheinen Sie wieder an so einem Punkt angelangt zu sein.
Und danach ist es immer wieder aufgegangen. Ganz genau. Ich bin optimistisch fürs nächste Jahr. So schnell wie das Wachstum an den Märkten derzeit ist, kann es nicht weitergehen. Das würde mir Angst machen, ich mag es lieber etwas langsamer.
Warum sind Sie dennoch langfristig optimistisch gestimmt?
Normalerweise schneiden wertorientierte Investoren, also Value-Investoren, wie wir es sind, im langfristigen Trend besser ab als wachstumsorientierte Anleger. Aber in den vergangenen fünf Jahren lief die Value-Strategie stark unterdurchschnittlich. Ich bin der Überzeugung, dass sich das jetzt drehen wird.
Vor einem halben Jahr waren Sie der Meinung, dass viele Aktien noch unterbewertet seien. Sehen Sie das heute noch genauso?
Die Situation ist paradox. Wir finden nicht nur mehr unterbewertete Titel, sondern der Abstand zwischen den unter- und überbewerteten Titeln ist sehr viel größer als üblich. Durch die expansive Notenbankpolitik ist sehr viel Geld in defensive Titel geflossen, beispielsweise in Pharmaaktien. Das hat dazu geführt, dass die defensiveren Titel sehr viel stärker gelaufen sind als normale Value-Titel, die am Konjunkturzyklus hängen. Wir sind also jetzt in einer Situation eines eher hitzigen Marktes, aber trotzdem finden wir Aktien, die teilweise 35 bis 40 Prozent unter ihrem fairen Wert notieren und unserem Stil entsprechen. Das ist eine Menge Holz.