
Man könnte es schmunzelnd als Provinzposse abhaken, wenn es nicht so traurig wäre. Dem Verbraucherportal Verivox war aufgefallen, dass die Volksbank Reutlingen laut ihrer Preisliste jährlich 0,5 Prozent als „Entgelt auf das Guthaben für die Verwahrung von Einlagen auf Kontokorrentkonten“ verlangt – so ausführlich, so eindeutig.
Im Klartext heißt das: Strafzins jetzt auch auf dem Girokonto und zwar schon ab dem ersten Euro. Das Ganze gilt laut Preisliste zuzüglich zum Grundpreis, der je nach Kontomodell und Durchschnittsguthaben allein schon bis zu satten fünf Euro im Monat betragen kann. Wieder hat sich der anachronistische Negativzins der Europäischen Zentralbank ein Stück weiter in unseren Alltag hineingefressen.
In Reutlingen jedoch sieht man sich falsch dargestellt. Die Volksbank hat auf Fragen der WirtschaftsWoche zu ihren Kontokonditionen nicht reagiert, mittlerweile hat sie aber eine Stellungnahme auf ihrer Webseite veröffentlicht. „Fakt ist, die Volksbank Reutlingen erhebt derzeit keine Negativzinsen von Normalsparern“, heißt es darin. Aha. Und was hat es dann mit der Preisliste auf sich?
Unzulässige Bankgebühren
Auch wenn die Werbung etwas anderes sagt – auf das Wörtchen „kostenlos“ können Bankkunden sich immer seltener verlassen. Sie müssen daher die Preis-Leistungs-Verzeichnisse oder die allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Fußangeln durchforsten, denn darauf kann sich die Bank am Ende berufen, egal, wie verlockend die Werbebotschaft war. Alles muss man sich aber nicht bieten lassen.
Laut höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sind pauschale Entgelte für geduldete Kontoüberziehungen zusätzlich zum Dispozins unzulässig (BGH vom 25. Oktober 2016 XI ZR 9/15 und XI ZR 387/15).
Laut Bundesgerichtshof ebenfalls unerlaubt sind Darlehensgebühren für die Verwaltung eines Bauspardarlehens (BGH vom 8. November 2016 XI ZR 552/15).
Auch dürfen Daueraufträge nicht extra bepreist werden, wenn eine solche Gebühr in der Kostenaufstellung der Bank fehlt (Landgericht Freiburg vom 20. Juli 2016 12 O 63/16).
Die Änderungen im Preisaushang seien rein prophylaktischer Natur und sollen lediglich die entsprechenden Voraussetzungen für den Fall schaffen, dass ein Neukunde zum Beispiel eine Million Euro bei der Volksbank anlegen wolle. Ein Missverständnis, falscher Alarm also? Ein mulmiges Gefühl bleibt.
Ebenso ist nämlich Fakt, dass auf der ansonsten mit Fußnoten reichlich gespickten Preisliste keinerlei Hinweise darauf zu finden sind, dass das Verwahrentgelt nur für Neukunden mit Millioneneinlagen gelte. Wer bei einem alltäglichen Sachverhalt wie den Kontogebühren einen derartigen kommunikativen Zickzackkurs hinlegt, heizt Spekulationen an. War das Ganze ein Versuchsballon, der wegen heftigen Gegenwinds jetzt wieder eingeholt wird?
Das Muster, erst mit einer unpopulären Gebühr Aufsehen zu erregen und dann einen Rückzieher zu machen, erinnert an einen anderen Fall. Im Dezember machte die Sparkasse Soest mit einer merkwürdigen Klickgebühr von sich reden, bei der einige Onlinekunden zwei Cent je Mausklick zahlen müssen. Oder doch nicht? Von einer Klickgebühr könne keine Rede sein, lies der Sparkassenverband DSGV damals verlauten, als er seinem kommunikativ überforderten Mitgliedsinstitut zur Seite sprang. Am Ende blieb es dann bei der Sprachregelung, wonach in Soest nicht jeder Klick koste, sondern einzelne Aktivitäten im Onlinebanking. Die kommunikative Operation war gelungen, die Verwirrung bei bestehenden und potenziellen Kunden perfekt.
Die lokale Konkurrenz der Volksbank Reutlingen denkt aktuell übrigens nicht über Negativzinsen für Privatkunden nach. Die Kreissparkasse Reutlingen berechnet allerdings bei Unternehmenskunden, Kommunen und Institutionen seit Anfang des Jahres 0,4 Prozent Verwahrentgelt. Das entspricht dem Negativzins, den die Europäische Zentralbank den Geschäftsbanken auf bei ihr geparkte Einlagen berechnet.
So kurzweilig die Anekdoten aus Reutlingen und Soest für Außenstehende sein mögen, so bitter ist die Botschaft, die wir daraus mitnehmen müssen: Vor Negativzinsen oder kreativen Gebühren sind die Sparer nicht mehr sicher, auch nicht bei Volksbanken und Sparkassen, die eigentlich Bollwerke einer bodenständigen Finanzkultur sein sollten.