Der Startschuss für die Austrittsverhandlungen Großbritanniens aus der EU ist gefallen. Mittel- und langfristig dürfte sich der Schritt für die Briten auszahlen, kurzfristig wächst die Unsicherheit, vor allem, weil die EU angeführt von den Franzosen auf Rache sinnt. In einer europäischen Version des von den Eagles besungenen Hotel California (man kommt nur hinein, nicht heraus) soll ein für alle mal klar gemacht werden, dass es keinen Austritt geben kann, weil es ihn nicht geben darf. Alleine deshalb muss den Briten eine Lektion erteilt werden, so die Logik in Brüssel und Paris. Die deutsche Regierung wird sich dem nicht widersetzen, gilt es doch die Beziehung zu Frankreich zu pflegen. Eine Haltung, die vom SPD Kanzlerkandidaten, der seine gesamtes politisches Renommee der EU zu verdanken hat, naturgemäß unterstützt wird.
Unerfülltes Wohlstandsversprechen
Dabei wäre es besser, wenn sich die Politiker, statt auf Bestrafung zu setzen, die Grundlagen der EU in Erinnerung rufen würden. Neben der Sicherung von Frieden, Freiheit und Demokratie ist dies vor allem die Schaffung von Wohlstand. Zweifeln die Bürger in allen Ländern zunehmend an der demokratischen Legitimation einzelner Entscheidungen, so sind sie außerhalb Deutschlands von den wirtschaftlichen Konsequenzen enttäuscht. Namentlich gilt das für die Länder der Eurozone. Griechenland, Portugal, Italien, Spanien und Frankreich bleiben in einem Umfeld geringen Wachstums mit weiter steigenden Schuldenlasten gefangen.
Der Brexit-Fahrplan
Laut Barnier sollen bis Oktober 2018 die Details für den Austritt Großbritanniens ausverhandelt sein. Der Franzose hat diesen Zeitplan bereits als sehr ambitioniert bezeichnet. Andere Experten halten ihn angesichts der Fülle der Problemfelder für unmöglich. Womöglich wird es deshalb zahlreiche Übergangsfristen von etwa zwei bis fünf Jahren geben.
Die schottische Regierung will im Herbst 2018 ein zweites Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich abhalten, sobald die Bedingungen für den Brexit klar sind. May hat dies abgelehnt.
Bis März 2019 wäre dann Zeit, damit Mitgliedsländer und EU-Parlament die Vereinbarung ratifizieren. Der Tag des Austritts Großbritanniens aus der EU wäre dann Samstag, der 30. März.
Unklar ist, wann die umfassenderen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU abgeschlossen sind. May strebt ein Freihandelsabkommen mit der EU innerhalb weniger Jahre an, über das schon parallel zum Brexit verhandelt werden soll. Dagegen verweist die EU-Kommission auf die Erfahrung aus anderen Abkommen wie etwa mit Kanada (Ceta), über das sechs Jahre lang verhandelt wurde. Im Ceta-Vertrag sind allerdings keine Vereinbarungen über den komplexen Bereich der Finanzdienstleistungen enthalten, die für Großbritannien und den Finanzplatz London von enormer Bedeutung sind.
In allen Ländern wächst die Unzufriedenheit, was zum Erstarken radikalerer Parteien beiträgt. Lauter werden die Stimmen, die in einem Austritt aus dem Euro eine Lösung für die ökonomischen Probleme sehen. Noch dürften weder Marine Le Pen noch Beppe Grillo an die Macht kommen. Und selbst dann wäre es noch ein langer Weg mit vielen Hürden, bis es soweit wäre, dass Frankreich oder Italien austreten. Ausgeschlossen ist es deshalb aber nicht.
Die Zeit spielt für die Extremisten. Je länger es nicht gelingt, die ökonomische Stagnation zu überwinden, desto attraktiver klingen die vermeintlich einfachen Lösungen. Schon in der nächsten Rezession – ausgelöst durch steigende Zinsen? – kann es ernst werden.
Unwahrscheinlich aber brandgefährlich
Vorerst bleibt der Austritt eines Landes aus dem Euro oder gar ein Zerfall der gesamten Euro-Zone unwahrscheinlich. Zu groß ist der Wille der Politik das Projekt um jeden Preis zu erhalten. Zu groß ist die Bereitschaft der EZB, buchstäblich alles zu tun, was für die Stabilität der Euro-Zone nötig ist. Zu gering Bewusstsein und Interesse der breiten Öffentlichkeit, die die Tragweite des Problems bei weitem nicht erfasst und für die über 800 Milliarden Euro an Target II Forderungen der Bundesbank eine abstrakte Größe sind.
Wie ernst diese Forderungen sind, zeigt ein Brief von EZB-Chef Mario Draghi an italienische Abgeordnete im Europaparlament. Selbstverständlich, so Draghi, müsste ein Land im Falle eines Euro-Austritts die Target-II-Verbindlichkeiten in vollem Umfang erfüllen. Für Italien wären mehr als 300 Milliarden Euro fällig. Für den italienischen Staat schon jetzt eine unerfüllbare Forderung. Nebenbei ist der EZB-Präsident damit übrigens von der bisherigen Sprachregelung abgewichen. Statt einen Euro-austritt als unmöglich abzutun, hat er die Konsequenzen benannt.
Die wahre Folge eines Austritts Italiens wäre wohl eine andere: Die Schulden des Staates würden auf Lire umgestellt und die Banca d`Italia mit Blick auf die Target-II-Verbindlichkeiten die Zahlung verweigern. Nur so wäre der Austritt des Landes überhaupt möglich.