Pietro Petronilli Im Dienst des deutschen Küchenwunders

Pietro Petronilli hat sein gesamtes Berufsleben dem Sterne-Restaurant Tantris gewidmet. Quelle: PR

Mehr als 40 Jahre servierte Pietro Petronilli im Münchener Restaurant Tantris die Gerichte der Spitzenköche Eckart Witzigmann, Heinz Winkler und Hans Haas. Nun hört der Diener des deutschen Küchenwunders auf.

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Pietro Petronilli wird wie jeden Tag von seinem Wecker um 5:30 Uhr geweckt. Er wird aufstehen, einen Milchkaffee trinken, gemeinsam mit seiner Frau ins Schwimmbad im Münchener Olympiapark fahren. Dort wird er schwimmen, bevor er sich auf den Weg macht zur Arbeit. Wie an jedem Arbeitstag in den vergangenen 44 Jahren. Fritz Eichbauer sen., der Münchener Bauunternehmer und Eigner des Tantris, weiß es: "Er hat keinen Tag gefehlt." Und so wird er auch an seinem letzten Arbeitstag nicht fehlen in jenem Restaurant, in dem vom 2. Dezember 1971 an das deutsche Küchenwunder seinen Lauf nahm.

Es begann mit Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann, wurde fortgeführt von Heinz Winkler und nun seit mehr als 20 Jahren von Hans Haas so sorgfältig gepflegt, wie die Architektur des seit 2012 unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes.

Pietro Petronilli war dabei, als die Gäste Witzigmanns Gericht "Kalbsbries Rumohr" serviert bekamen, als 1973 der erste Michelin-Stern, 1974 der zweite und unter Heinz Winkler 1981 schließlich der dritte verliehen wurde - und auch als der wieder verloren ging. Er hat Gäste das erste Mal kommen sehen, die dann mit ihren Kindern und später Enkeln wiederkamen. Und irgendwann die Enkel, die ohne die Großeltern kamen. Am 24. März wird er zum letzten Mal Gäste begrüßen - und mit ihm eine Ära enden.

Eine Laufbahn, wie es sie in dieser Dauer in der Spitzengastronomie eigentlich nicht gibt. "Es ist besonders, dass er nie wechseln wollte", sagt Fritz Eichbauer sen.. In dem 2014 erschienenen Buch über das Tantris sind alle Namen der Mitarbeiter aufgeführt, die jemals in dem Restaurant in Schwabing gearbeitet haben. Petronillis Eintrag hat eines der ältesten Daten des Einstiegs - und als einziges ein leeres Feld, dort, wo das Ende der Mitarbeit stünde.

"Ich will bedienen", sagt Petronilli bescheiden. Ein hagerer Herr, modernes Brillengestell, vorbildliche Manieren, stets ein leichtes Lachen in seinen Erzählungen - so sitzt Petronilli im Geschoss oberhalb der Bar im Tantris, ruft auf italienisch noch eine Anweisung von der Treppe hinunter. Bis 12 Uhr hat er Zeit. Dann beginnt der Service. Dienst am Gast - das hat Vorrang, auch in den letzten Wochen seines aktiven Berufslebens.

Das ist so, seit 1971. Da kam er nach Deutschland für die Olympischen Spiele in München. Damals war es leichter für Petronilli, hier arbeiten zu dürfen. Er begann zunächst im neu eröffneten Mövenpick in München. Er hatte den Vertrag schon in der Tasche, anders wäre sein Aufenthalt nicht möglich gewesen. Deutsch lernt er, aber seine Herkunft bleibt deutlich hörbar, später wird es fast ein Markenzeichen: "Wir Veroneser haben eher Talent für die französische Sprache."

1974 trifft er seine spätere Frau Eva: "Eine Fränkin." Und als Mitarbeiterin in der Versicherungsbranche eher an feste Arbeitszeiten gewöhnt. "Sie hat um sieben mit der Arbeit begonnen - und ich bin vielleicht gerade erst heimgekommen. Eine konträre Geschichte." Wochenenden, freie Tage, Urlaub - jede freie Minute wurde für gemeinsame Zeit genutzt. Es begann mit einer Sechs-Tage-Woche, dann die Fünf-Tage-Woche - seit kurzem ist gar ein dritter Ruhetag im Tantris dazugekommen - wegen Überstunden. Das alles haben er und seine Frau Eva gemeistert.

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Es hätte schief gehen können, denn um ein Haar wäre er in Wuppertal in einem Mövenpick gelandet. Eva intervenierte: "Wenn du nach Wuppertal gehst, ist es aus." So entschied er sich für Eva und das Tantris. Dorthin hatte er seine zweite Bewerbung hingeschickt, nachdem er die Tantris-Anzeige in der Allgemeinen Hotel- und Gaststätten Zeitung gesehen hatte.

Er kam in ein mutiges Restaurant, das von Beginn an etwas wagte. Aus Frankreich inspirierte Spitzenküche, ausgeführt von Eckart Witzigmann, die dem deutschen Publikum zunächst einiges abverlangte. Einer Küche, die heute in Zeiten von Molekulartechniken historisch und klassisch wirkt, als Nouvelle Cuisine mit leichten Speisen und kleineren Portionen dem deutschen Publikum nicht vertraut war. "Wir hatten zwei Flambierwagen für Crêpes Suzettes", erinnert sich Petronilli, der vor zahllosen Gästen die Crêpes in Grand Marnier flambierte und ganze Fische und Enten tranchierte. "Es kam mir vor, als wenn es weiterginge wie in der Hotelfachschule - nur in einem anderen Raum." Die langjährige Sommelière des Tantris, Paula Bosch, schwärmt noch heute von seinen handwerklichen Fähigkeiten: "Er zerlegt einen Fisch oder eine Ente mit der Präzision einer OP."

Unterstützer des Wandels

Die Flambierwagen verschwanden Anfang der 80er Jahre, Petronilli blieb - vor einigen Wochen schwelgten Gäste und er gemeinsam in Erinnerungen und Petronilli ließ sein Handwerk noch ein mal flammend aufblitzen - in der Küche, in der sich die Gäste einfanden, um dabei zu sein. "Und sie haben das gefilmt!"

Moden kamen und gingen, Petronilli blieb eine Konstante im Geschehen. Früher hätten die Gäste maximal zwei oder drei Gerichte gegessen. "Mehr war nicht zu essen, weil die Portionen so groß waren." Schon unter Witzigmann wurden die kleiner. "Das war der Beginn der Portionierung in der Küche", sagt Petronilli. Die Aufgaben des Kellners, wie er es im Instituto Professionale di Stato per il Commercio lernte, wurden abgelöst von anderen. Geblieben ist der Kern seines Berufes, so wie Petronilli ihn versteht und an Generationen von Kellnern weitergab: "Die Gäste sollen sich wohl fühlen."

Petronillis Gäste kennen und schätzen das. Viele sind in den letzten Wochen seines aktiven Berufslebens noch mal zum Mittagstisch gekommen, um den eleganten Herren in seinem Gehrock zu erleben, sich von ihm zu verabschieden und verabschieden zu lassen. Bevor nicht der Letzte gegangen ist, fühlt sich Petronilli in der Pflicht.

So wie sein ganzes Leben gegenüber seinem Arbeitgeber. Nur einmal, da hat er überlegt, sich selbstständig zu machen. Warum? "Die Frage ist nicht einfach zu beantworten." Eine Immobilie war Mitte der 80er Jahre gefunden, ein Plan aufgestellt - und in letzter Minute kam der Pachtvertrag für eine Vinothek in einem Jugendstilhaus doch nicht zustande.

Drei Mal hat Petronilli in seinem Leben die Bibel durchgelesen, sein Exemplar ist mit einem Umschlag geschützt. Morgens liest er auf einem Kalenderblatt einen Auszug aus der Bibel. Das gäbe ihm innerlich Kraft, wie das tägliche Schwimmen seinem Körper. "Der Mensch wünscht sich, das Leben macht es anders." Sein Versuch, sich selbstständig zu machen, bleibt ohne Folgen. Niemand bekommt seine Planungen mit. "Nein, das haben wir nicht gewusst", sagt Fritz Eichbauer heute. Eine Fügung wollte es, dass Petronilli 1997 für rund zwei Jahre als Restaurantleiter einsprang.

So blieb er und wurde Zeuge einer weiteren wichtigen Entwicklung in den Spitzenrestaurants Deutschlands: Dem Siegeszug des Sommeliers. 1991 holte Eichbauer die Sommelière Paula Bosch ins Tantris, wo sie 20 Jahre lang maßgeblich das Bild des Berufsstandes in Deutschland mitgeprägt hat. Eichbauer hatte seinen Restaurantleiter Peter Kluge ins Victorian geschickt, um zu schauen, ob sie die richtige war für ein Mammutprojekt.

Sterne-Restaurant Tantris Quelle: imago images

Eichbauer kam selber nach Düsseldorf ins Victorian, in dem Bosch arbeitete und schilderte ihr sein Problem: Sein Weinkeller wuchs ihm über den Kopf. Bosch sollte systematisieren und die Art des Weinverkaufs ändern - mehr Beratung zum kulinarischen Vorteil des Gastes.

Petronilli, einmal mehr, umarmte die Veränderung statt sich ihr in den Weg zu stellen. Er half Bosch, tradierte Abläufe im Tantris aufzubrechen. "Die hatten ein System, Wein zu verkaufen", sagt Bosch. Bis Bosch kam, war Weinverkauf die Aufgabe der Kellner. "Petronilli hat erkannt, dass das ein harter langer Weg wird", sagt Bosch. Zumal in einer streng hierarchisch organisierten Gruppe, in der vom Commis bis zum Maitre die Rollen klar verteilt sind. „Petronilli hat mir als Frau in der Männerrunde geholfen.“ Das Ziel war, dass die Kellner den Gast nicht routinemäßig fragen „Sancerre oder Bordeaux“. Sie sollten sagen, dass Bosch später zu ihnen an den Tisch käme, um sie zu beraten.

Dabei gehört Wein zu den großen Lieben Petronillis. In seiner Freizeit hat er Karaffen gesammelt und Ende 2017 das Buch "Jugendstil- und Art Déco-Karaffen - Dekantieren und Umgang mit Wein" verfasst. Seine Kenntnisse hat er sein Berufsleben lang weitergegeben, wie er selber nie aufgehört hat zu lernen: "Es gibt immer neue Entwicklungen."

Der Mensch im Mittelpunkt

Dazu zählt auch der Einzug von Technik in eine Branche, die so alt wie das Kochen über offenem Feuer ist. Reservierungen, die früher handschriftlich in Büchern eingetragen wurden, sind heute digitalisiert. Am Eingang steht im Tantris ein Tablet, auf dem Mitarbeiter sehen können, wo welcher Gast sitzt. Die Gäste müssten heute nicht mehr anrufen, die erste Kontaktaufnahme erfolgt mitunter über Reservierungsportale und kein Mitarbeiter im Service weiß immer genau, wer der Mensch ist, der da kommt und umsorgt werden will.

Dabei ist die Kenntnis über die Gäste das Kapital eines Kellners, eines, das Petronilli in mehr als 40 Jahren in Fülle ansammeln konnte. "Das hat sich geändert zu früher", sagt Petronilli, der die Pappenheimer unter seinen Gästen im Kopf hatte, Vorlieben und Abneigungen kannte. Die moderne Technik sei hilfreich - aber helfe den Mitarbeitern nicht unbedingt, sich Dinge zu merken: "Was sie schreiben, behalten sie einfacher im Gedächtnis." Den Namen der Kinder, wichtige Feiertage - "heute klicken sie und es kommt alles auf das Display." Petronilli hatte es im Kopf.

So ausgestattet gleitet Petronilli als rechte und linke Hand des Küchenchefs dezent durch den Raum, um im rechten Moment an der richtigen Stelle zu sein, um Wasser nachzuschenken, einen kleinen Plausch zu halten oder die Gerichte vom Tablett zu nehmen und dem Gast zu servieren. Formell bleiben - ja. Aber auch steifer Service, wie er in zahllosen Kritiken moniert wird? Petronilli seufzt. Ein überkommenes Klischee, das ihm nicht schmeckt. "Der Mensch muss im Restaurant lachen können. Das war schon immer so." Mit der klassischen Lehre im Hinterkopf wäre eine andere Philosophie nötig. "Denn der Gast muss wiederkommen wollen." Selbst jene, denen man es kaum recht machen kann.

Schwierige Gäste - ein sensibles Thema für jedes Restaurant. Wirklich unzufriedene Gäste kommen einfach nicht wieder - Stammgäste mit dem Wunsch, dies oder jenes anders serviert zu bekommen, fordern die Mitarbeiter an der Front. Karl-Friedlich Flick sei zum Beispiel "kein einfacher Gast" gewesen, der Tisch neben ihm sollte stets frei bleiben. Gewöhnt an einen gewissen Umgang mit seinem eigenen Personal, hätte er das auch im Restaurant erwartet. "Dennoch müssen sie ihn für sich gewinnen. Auch wenn er mich ein bis anderthalb Kilo pro Nacht gekostet hat." Fallstricke, Befindlichkeiten, Eitelkeiten - all das hat Petronilli mit Geduld und Zuversicht gelöst. "Sie müssen immer wissen: Der Tag geht zu Ende. Und es kommt ein anderer Tag."

Den Ruhm eines Restaurants heimsen in aller Regel dennoch die Köche ein - nur selten die Servicekräfte. Petronilli nimmt das gelassen. "Die Familie Eichbauer, der ich mein Arbeitsleben gewidmet habe, weiß das zu schätzen", sagt Petronilli. Auch Hans Haas weiß, was das Tantris an Petronilli hat und nun verliert. "Einen Menschen mit Rückgrat, der jede Umstellung mitgetragen hat. Das findet man heute selten." Eckart Witzigmann kann sich an den Beginn des jungen Pietro nicht erinnern - wohl aber an dessen weitere Karriere. "Er war eine sehr wertvolle Kraft und vor allem beim Flick sehr beliebt." Nur eines hat Witzigmann, der bekannt ist für seine Liebe zum Sport, an dem Petronilli irritiert, der stoisch im Olympiabad wie auch im Leben seine Bahnen zieht: "Pietro war kein Fußballer."

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