Yin Qi ist ein äußerst erfolgreicher Tech-Gründer in der Volksrepublik. Der 31-Jährige ist Chef und Mitgründer von Megvii. Das Pekinger Unternehmen bietet vor allem intelligente Gesichtserkennungsdienste für moderne Überwachungskameras an und gehört damit zu den führenden KI-Unternehmen des Landes.
Lange Zeit ging es für Megvii und die gesamte chinesische KI-Branche steil bergauf – auch dank üppiger staatlicher Subventionen. China hat sich schon vor Jahren zum Ziel gesetzt, führend bei künstlicher Intelligenz zu werden. Doch nun ist Yin mit einer überraschend deutlichen Warnung an die Öffentlichkeit gegangen.
Hintergrund ist der aktuelle Hype um KI-Sprachmodelle wie ChatGPT. Yin hat mit Megvii zwar selbst noch kein solches Modell entwickelt. Doch in einem Interview mit dem chinesischen Wirtschaftsmagazin Caixin offenbarte er jetzt, dass seine Branche große Probleme habe. Schuld daran seien die Amerikaner.
Dem KI-Gründer zufolge verfügen chinesische Unternehmen nicht über genügend leistungsfähige Chips, um die rechenintensive Modelle zu betreiben. Laut Yin könnten chinesische Unternehmen derzeit auf rund 40.000 hochmoderne A100-Chips des US-Unternehmens Nvidia zugreifen. Der A100 gilt als Goldstandard für den Betrieb von KI-Sprachmodellen. Schätzungen zufolge setzt das US-Unternehmen Open AI allein für ChatGPT mehr als 30.000 dieser Prozessoren ein. Unternehmen in China können laut Yin aufgrund des Mangels an A100- und noch neueren H100-Prozessoren von Nvidia derzeit jedoch nur Modelle betreiben, die mit 3000 bis 5000 Chips auskommen müssen.
Daran, dass es an Prozessoren fehlt, ist tatsächlich die US-Regierung schuld. Sie hat im Rahmen ihrer Technologieblockade den Verkauf der Super-Prozessoren nach China untersagt. Zwar darf Nvidia noch abgespeckte Versionen des A100 und des H100 an die Volksrepublik verkaufen. Diese sind nach Einschätzung von Experten aber weniger gut für die entsprechenden KI-Modelle geeignet. Gleiches gilt für Chips von Intel und AMD, die noch nach China gelangen.
Eine chinesische Antwort auf ChatGPT zeigte zunächst der Suchmaschinenkonzern Baidu. Die Vorstellung des Sprachmodells Ernie Bot im März enttäuschte jedoch. Nach der Veröffentlichung wurden sogar Vorwürfe laut, Baidu habe sich für sein Modell einfach bei ChatGPT bedient. Das berichtete die South China Morning Post.
Nicht viel besser lief es dem Bericht zufolge für den Tech-Giganten Alibaba. Dieser stellte zwar ebenfalls im April seine eigene KI Tongyi Qianwen vor. Einem internen Memo zufolge soll das Modell aber rund 18 Monate hinter ChatGPT hinterherhinken. Andere Branchenkenner schätzen Chinas Rückstand bei KI-Sprachmodellen sogar auf drei Jahre, was in der Tech-Welt einer Ewigkeit entspricht.
Künstliche Intelligenz – Geschichte einer Idee
In den Fünfzigerjahren prägte ein Forschungspapier den Begriff künstliche Intelligenz (KI) erstmalig. KI sollte „die Art von Problemen lösen, wie sie bislang nur für Menschen vorgesehen sind“. Bis heute ist der Begriff jedoch umstritten. Offen ist, was Intelligenz genau umfasst – und inwiefern es dafür eines eigenen Bewusstseins bedarf.
Bei dieser Spielart der künstlichen Intelligenz erzeugt das System aus großen Datenmengen Wissen – indem es etwa anhand von Fotos selbst erlernt, wie eine Katze aussieht. Einige Experten sehen in dieser Mustererkennung jedoch noch kein intelligentes Verhalten.
Für viele Anwendungen, darunter die Bilderkennung, brachten die Methoden des Deep Learning den Durchbruch. Dabei werden die neuronalen Netze des Gehirns mit ihren vielen Knotenpunkten digital nachempfunden.
Kommerzialisiert haben insbesondere amerikanische IT-Konzerne wie Google, Microsoft, IBM oder Amazon KI-Anwendungen. Sie finden sich etwa in der Spracherkennung in Smartphones, selbstfahrenden Autos oder als Chatbots, die mit Kunden auf Shopping-Seiten kommunizieren.
Laut Caixin wären die Chip-Probleme selbst dann nicht gelöst, wenn es einem chinesischen Unternehmen gelänge, einen völlig gleichwertigen Chip zu entwickeln. Denn auch für die Produktion wäre man auf ausländische Partner angewiesen. Diese dürften aber aufgrund der US-Bestimmungen ebenfalls nicht mit chinesischen Firmen zusammenarbeiten.
Die KI-Chips von Nvidia sind weltweit gefragt, was sich auch im Aktienkurs des Chipherstellers widerspiegelt. Seit Anfang des Jahres hat sich der Wert des Unternehmens verdoppelt. Doch Nvidia selbst ist unglücklich darüber, dass es seine High-End-Chips nicht nach China verkaufen darf. Zwar verzeichnet der Konzern trotz der Restriktionen Rekordumsätze. In einem Interview mit der britischen Financial Times warnte Nvidia-Chef Jensen Huang diese Woche jedoch vor einem „enormen Schaden“ für die US-Technologieindustrie. Die von der Biden-Administration eingeführten US-Exportkontrollen hätten Nvidia in eine Position gebracht, in der es seine fortschrittlichen Chips nicht mehr auf einem riesigen Markt wie China verkaufen könne.
„Wenn wir vom chinesischen Markt abgeschnitten werden, haben wir keinen Notfallplan. Es gibt kein zweites China“, warnt Huang. Der Nvidia-Chef fordert die US-Gesetzgeber auf, sich weitere Handelsbeschränkungen gut zu überlegen. China, ist sich Huang sicher, werde alles daran setzen, eigene Top-Prozessoren zu entwickeln. Sollte dies eines Tages gelingen, hätten die US-Chiphersteller gleich zwei Probleme: In China könnten sie ihre Prozessoren nicht mehr verkaufen. Im Rest der Welt müssten sie sich mit neuen chinesischen Konkurrenten herumschlagen.
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