Das Geschäft mit Lumpen Wie mit unseren Altkleidern Profit gemacht wird

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Alle Marktverzerrungen treffen aufeinander

Sie handelt davon, was passiert, wenn Gewinnstreben, Moral und klamme Staatskassen aufeinandertreffen. Sie zeigt, dass Märkte nicht immer zu optimalen Ergebnissen führen – sie auch gestört sein können durch asymmetrische Information, öffentliche Güter, Marktmacht und externe Effekte. Der Markt für Altkleider ist geradezu ein einzigartiges Panoptikum des ökonomischen Grauens: Alle Verzerrungen, die schon vereinzelt absurde Auswirkungen haben, hier existieren sie fröhlich nebeneinander.

I. Öffentliche Güter

In Daressalam, Tansania, ist der Einkaufsbummel an diesem Mittag ein Balanceakt auf Holzbohlen, doch das stört die Menschen nicht: Kaum ist die Sonne nach dem Regenguss zurück, zwängt sich Kundschaft durch die matschige Enge des Markts von Mchikichnini. Sofort wird es laut. Unter all dem Gebrüll immer wieder dieses eine Wort: „Mitumba“, der Suaheli-Begriff für „Ballen“. Das beschreibt den Zustand, in dem die Ware ankommt, um die sich hier alles dreht. Klamotten, sauber, aber ungebügelt und verschnürt, in Paketen zu je 50 Kilogramm. Mehr als 12.000 Händler bieten hier Tag für Tag ihre Waren an, es ist neben dem kenianischen Mombasa der zentrale Umschlagplatz für den kompletten ostafrikanischen Altkleidermarkt – den bedeutendsten der Welt.

So sauber sind unsere Modelabels
Eine Frau mit einer Zara-Tasche Quelle: REUTERS
Ein Laden von Tommy Hilfiger Quelle: AP
Platz 12: PrimarkEs ist gar nicht einfach, den H&M-Herausforderer aus Irland zu kontaktieren. Primark hat weder in Deutschland noch im Rest der Welt eine Pressestelle, an die Journalisten ihre Anfragen richten können. Erst nach einer knappen Woche melde sich eine externe PR-Agentur und beantwortet einige Fragen zu Recherchen der WirtschaftsWoche: Dass eine Primark-Bestellung bei einem Zulieferer landete, der westlichen Standards nicht entspricht, sei ein Einzelfall gewesen. Ein lizenzierter Lieferant habe die Order ohne Kenntnis und Einverständnis der Iren an diese Fabrik ausgelagert. Was eigentlich gar nicht passieren darf, denn über seine Homepage verpflichtet nagelt sich der irische Discounter auf „ethischen Handel“ und höchste Sozialstandards bei Lieferanten fest. Dies wird allerdings nicht nur durch die Recherchen der WirtschaftsWoche konterkariert – zumal der Hersteller insgesamt bei Details merkwürdig mauert: Primark will weder die Zahl der Lieferanten oder die der internen Auditoren kommunizieren, noch die wichtigsten Lieferländer und den Anteil der Direktimporte nennen.Transparenz -Kontrolle -Verantwortung - Quelle: Screenshot
Ein New Yorker-Store in Braunschweig Quelle: Screenshot
Menschen vor einer Ernsting's Filiale Quelle: Presse
Das Logo der Modekette Tom Tailor Quelle: dapd
Eine Verkäuferin reicht in einem Esprit-Store in Düsseldorf eine gepackte Einkaufstasche über die Kasse Quelle: dpa

Während in Ostafrika die meisten Abnehmer von Altkleidern leben, ist Deutschland einer der wichtigsten Exporteure. Das liegt zwar auch daran, dass Deutschland ein wohlhabendes und leidlich großes Land ist, in erster Linie aber an der einzigartigen Kultur des Sortierens und Wiederverwertens hierzulande. In Südeuropa sind Altkleidersammlungen völlig unüblich.

Triviale Erfindung

Bei uns waren es zunächst kirchliche und wohltätige Organisationen, die in der Nachkriegszeit begannen, von Tür zu Tür zu gehen, um die Spenden zu sammeln. Die gesammelten Klamotten landeten dann in Kleiderkammern, wo Bedürftige sich versorgen konnten. Bald aber überstieg die Menge der gesammelten Kleider die Nachfrage bei Weitem, man begann, die Kleider weiterzuverkaufen.

Eine ziemlich trivial erscheinende Erfindung machte Anfang der Neunzigerjahre daraus ein Geschäftsmodell: der Altkleidercontainer. Die Container standen von nun an dauerhaft an der Straße und wurden regelmäßig geleert. Für die Wohltätigkeitsorganisationen wurden die Altkleider so zur regulären Einnahmequelle. Sie schlossen Verträge mit Entsorgungsunternehmen ab, die feste Mengenpreise garantierten. Die Container passten perfekt in das Heimatland des „Kreislaufwirtschaftsgesetzes“: So wie wir leere Weinflaschen brav zum Glascontainer bringen, landen Altkleider im Container. Einfach wegwerfen? Wäre doch schade drum!

Insgesamt kommen so in Deutschland pro Jahr rund 750.000 Tonnen Altkleider zusammen, das entspricht 1,5 Milliarden ordnungsgemäß entsorgten Textilien oder einem Marktvolumen von rund 300 Millionen Euro – wenn die Klamotten verkauft werden. Das hinterlässt einen ordentlichen Profit, denn in der Herstellung sind sie unschlagbar günstig: Sie kosten nichts außer dem guten Willen des Entsorgenden.

Ein öffentliches Gut zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass es in scheinbar unbegrenzter Menge verfügbar ist. So steht die Sache auch bei den Altkleidern: Was in den nie ausgeräumten Umzugskisten, unerreichbaren Regalmetern und vergessenen Schubfächern der deutschen Reihenhaussiedlungen lagert, würde genügen, um den Weltmarkt dauerhaft zu versorgen.

Das macht Altkleider attraktiv, aber wie bei jedem öffentlichen Gut gibt es auch hier einen Haken. Wenn die Nutzung nicht koordiniert erfolgt, sondern exzessiv, dann verbraucht es sich. Das passiert bei Altkleidern nicht auf so klassische Weise wie bei Fischgründen, sondern über Umwege. Denn den Kampf um die Altkleider gewinnt nicht derjenige, der den besten Preis bietet oder die besten Herstellungsverfahren kennt. Sondern wer die beste Geschichte zu erzählen hat – oder sie sich ausdenkt. Bald aber prangte auf jedem Container ein glückliches Kindergesicht, und die Suche nach dem Haken begann.

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