Feministische Entwicklungspolitik Warum wir das Potenzial der Frauen mehr nutzen müssen

Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, schreibt in ihrem Gastbeitrag über das Potenzial von Frauen in Entwicklungsländern. Quelle: imago images/Wavebreak Media Ltd

Wer Frauen fördert, handelt im Sinne der gesamten Gesellschaft. Deshalb braucht es einen Paradigmenwechsel hin zu einer feministischen Entwicklungspolitik. Um Ungleichheiten zu beseitigen – und Wirtschaft wie Sicherheit zu stärken. Ein Gastbeitrag

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Am 8. März feiern wir den Weltfrauentag, ein Tag, der mit einem großen Ziel verbunden ist: echter Gleichstellung auf der ganzen Welt. Seit über 100 Jahren treten Frauen und Männer an diesem Tag dafür ein. Wie sinnvoll und wichtig die internationale Zusammenarbeit dazu ist, wurde mir am Dienstag noch einmal deutlich. Ich war zu Gast bei einem CEO Lunch – nein, nicht im Bayerischen Hof in München, sondern in Ruandas Hauptstadt Kigali. Es war eine reine Frauenrunde. Ruanda liegt beim Global Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums vor Deutschland – aber auch in Kigali haben mir die Frauen im Gespräch verdeutlicht, wie alte Strukturen echte Gleichstellung noch immer verhindern. Frauen und Mädchen müssen für ihren Platz am Tisch immer noch härter kämpfen als Männer und Jungen. In Deutschland und weltweit, für einen Platz am CEO-Tisch, und vielerorts selbst um einen Platz auf der Schulbank.

Dabei ist Gleichberechtigung der Geschlechter ein Menschenrecht. Warum eigentlich wird immer noch darüber diskutiert? Das Grundgesetz, internationale Menschenrechtsverträge und auch die gemeinsam beschlossenen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sprechen eine klare Sprache. Alle diese Dokumente spiegeln den großen Wert der Gleichstellung wider und weisen auf ihre enorme Bedeutung für die Gesellschaft insgesamt hin.

In der Realität gibt es jedoch noch kein einziges Land, in dem alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht die gleiche politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Teilhabe genießen. Zudem hat die Covid-19-Pandemie mühsam errungene Erfolge nicht nur zunichte gemacht, sondern Ungleichheiten verschärft. Es reicht daher nicht, das Thema Geschlechtergleichheit nur als Randaspekt in der Entwicklungspolitik zu berücksichtigen. Es braucht einen Paradigmenwechsel: eine feministische Entwicklungspolitik, die strukturelle Ungleichheiten, Ungleichbehandlung und Diskriminierung beseitigt.

Geschlechterungleichheit ist kein Zufall, sondern die Folge von patriarchalen Machtstrukturen, sozialen Normen und Rollenbildern. Es sind Strukturen, die Ungleichheit zementieren, Diskriminierung oft fördern und marginalisierte Gruppen im Abseits belassen. Diese Ursachen müssen wir an der Wurzel packen und hierfür all unsere entwicklungspolitischen Instrumente einsetzen – in breiten Allianzen zusammen mit multilateralen Organisationen wie UN Women, aber auch mit der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Wenn Entwicklungspolitik auf Frauen setzt, ist sie erfolgreicher.

Der Kampf gegen Armut, strukturelle Ungleichheit und jede Form von Diskriminierung sowie das Empowerment von Frauen und Mädchen sind die zentralen Aspekte von feministischer Entwicklungspolitik. Unzählige Studien belegen die positiven Effekte, wenn Frauen genauso viel Verantwortung tragen wie Männer – weniger Hunger und Armut, stabilere Gesellschaften und nicht zuletzt produktivere Volkswirtschaften.

Frauen spielen als Wissensträgerinnen eine zentrale Rolle, in der Landwirtschaft oder bei der Anpassung an den Klimawandel. Sie machen den Großteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft aus – doch weniger als 15 Prozent der Landbesitzer und Landbesitzerinnen weltweit sind Frauen. Auch in der Krisenprävention und Friedenssicherung führt die Einbindung von Frauen zu nachhaltigeren Ergebnissen. Nutzen wir das Potenzial der Frauen!

von Varinia Bernau, Henryk Hielscher, Christian Schlesiger

Deswegen ist eine uneingeschränkte Wahrung der Menschenrechte aller Geschlechter alternativlos. Dazu gehören die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sowie der Schutz vor geschlechtsbasierter Gewalt. Auch hier hat die Coronakrise die Situation für Frauen und Mädchen verschärft: Aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen hatten Millionen Frauen, insbesondere in den ärmeren Ländern, keinen Zugang zu Verhütungsmitteln, und durch die Aussetzung von Präventionsprogrammen sind leider auch im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung deutliche Rückschritte erkennbar.

Die Zivilgesellschaft, darunter Frauenrechtsorganisationen und Vertretungen von LSBTIQ+, werden in Zukunft stärker einbezogen. In unseren Partnerländern haben sie oft die größte Expertise und den besten Zugang zu benachteiligten Personen und Gruppen. Die Gleichstellung der Geschlechter soll sich wie ein roter Faden durch die deutsche Entwicklungspolitik ziehen. Das heißt: Die Maßnahmen, die wir fördern zum Schutz von Umwelt, Gesundheit oder Ernährungssicherheit, sollen das Ziel von Geschlechtergleichstellung viel stärker als bisher mitverfolgen.

Mit Projekten der Entwicklungszusammenarbeit werden wir möglichst viele Frauen und Mädchen unterstützen. Es geht um gezielte Maßnahmen – vom Schutz vor geschlechtsbasierter Gewalt über Mädchenbildung bis zur Förderung von Unternehmerinnen.

Wer Frauen stärkt, handelt im Sinne der gesamten Gesellschaft – auch der Männer. Steigt die Erwerbstätigkeit von Frauen, hat das eine Rückwirkung auf die ganze Gesellschaft. Es nutzt einer Gesellschaft insgesamt, wenn Frauen gleiche Rechte haben, repräsentiert werden, wenn die Ressourcen in diese Richtung gelenkt werden.

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