Schon seit Mittwoch weiß jeder, wer Kubas neuer Präsident wird, allein: Offiziell kannte den Namen niemand außer dem kubanischen Parlament – und natürlich der Partei. Erst am Donnerstag sollte dann auch der Rest des Landes und der Welt den Namen des Nachfolgers erfahren: Das Parlament in Havanna wählte den bisherigen Vizepräsidenten Miguel Díaz-Canel. Es sind Situationen wie diese, die verdeutlichen, dass Kuba immer noch ein Sonderfall in der internationalen Staatenlandschaft ist, ein System, das fast 60 Jahre nach der Revolution um seine Identität ringt.
Seit der Revolution hat ein Castro das Land geprägt, vor allem natürlich der erste, Fidel, der das Land seit der Revolution 1959 bis zu seiner schweren Erkrankung 2006 bis ins kleinste Detail diktierte. Fidel bestimmte, wer welches Auto fuhr, welchen Kochtopf nutzte, welcher Arbeit nachging, welches Essen aß. Dabei gab er dem Land eins der besten Gesundheitssysteme Lateinamerikas, stürzte das Land mit schlechter Planung aber auch immer wieder in bittere Armut.
Nach einer Phase des Aufschwungs in den Achtzigerjahren fiel Kuba bei Zusammenbruch des Sowjetimperiums in eine existenzielle Krise. Castro rief eine Art Kriegswirtschaft aus, die er ausgerechnet „Sonderperiode in Friedenszeiten“ nannte und die bis heute nie offiziell beendet wurde. 2008 folgte mit der Finanzkrise und einer besonders schweren Hurrikansaison der nächste Tiefpunkt.
Doch die Krisen hatten eine Kehrseite: Sie zwangen erst Fidel und vor allem später Raúl Castro dazu, die Wirtschaft des Landes zu öffnen. Heute dürfen Kubaner nicht nur für den Staat, sondern auch selbstständig oder sogar als Angestellte für andere Kubaner arbeiten. In den egalitären Ursprüngen des Landes wäre das undenkbar gewesen. Vor allem seit sich die Beziehungen zu den USA entspannt haben, ist das Land deutlich offener geworden: Die Reisesperren sind aufgehoben, Privatpersonen dürfen Autos und Immobilien kaufen und verkaufen. Horden sonnenhungriger Touristen überrennen die Strände im Norden des Landes und lassen dringend benötigte Devisen im Land.
All das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die marktwirtschaftliche Öffnung Kubas bislang bestenfalls in homöopathischen Dosen geschehen ist – und das ist durchaus so gewollt. Die Reformen sollen den Kommunismus erhalten, nicht ersetzen. Und so steht Kubas neuer Präsident Díaz-Canel vor einem kaum lösbaren Dilemma: Er soll Kubas Wirtschaft stabilisieren, ohne den ideologischen Kern das Landes aufzugeben. Dabei hat er stets die Partei im Nacken, die Raúl Castro immer noch anführt. Raúl Castro kann getrost weiterhin als mächtigster Mann des Landes gelten.
„Die Geschlossenheit der Elite ist zentral für den Machterhalt“, sagt Bert Hoffmann, Professor am Giga-Institut für Lateinamerika-Studien. Genau diese Geschlossenheit demonstriere die Elite nun überall, um zu zeigen, dass es trotz des Generationenwechsels keinen Politikwechsel geben werde. Das Volk solle nicht auf tiefgreifende Veränderungen hoffen.
Dabei wären die dringend nötig. Der Durchschnittlohn im Staatsdienst liegt bei 28 Euro – im Monat. Obwohl laut Statistik Vollbeschäftigung herrscht, haben Experten zufolge 35 Prozent aller Kubaner keine formale Beschäftigung. Ohnehin ist das so eine Sache mit der Statistik: Wie gut oder schlecht es der kubanischen Wirtschaft tatsächlich geht, kann niemand so genau sagen, seit das Land im Jahr 2005 im Alleingang die Berechnung des BIPs verändert hat. Ökonomen gehen jedoch davon aus, dass das BIP seit Jahren schrumpft und Kuba erneut in eine Krise rutscht. Auslöser ist auch diesmal wieder ein Partnerstaat, nämlich Venezuela, das Kuba in Zeiten des hohen Ölpreises großzügig unterstützte, jetzt jedoch selbst in einer schweren Wirtschaftskrise steckt.
„Kubas Wirtschaft ist in keiner guten Verfassung“, bilanziert auch Thomas Otto Fischer, Professor für die Geschichte Lateinamerikas an der Universität Eichstätt. Es gebe zu wenige sinnvolle Arbeitsplätze und zu wenige Investitionen aus dem Ausland, die wenigen Industrien des Landes stagnierten, die Menschen seien immer unzufriedener. Es sind große Herausforderungen, denen Díaz-Canel begegnen muss, ohne die Linie zu verlassen.
Dabei könnte sich ausgerechnet die international gefeierte Entspannung zwischen den USA und Kuba als Problem für Kubas Führung entpuppen. Denn bislang fungierten die USA als imperialistischer Erzfeind, der die kubanische Gesellschaft von außen zusammenhält. Fällt der weg, müssen echte Verbesserungen her, um die Kubaner auf Linie zu halten.
Immerhin: Dass mit Trump ein Hardliner in Washington sitzt, der die Entspannungspolitik Schrittweise rückgängig macht und wie kaum ein anderer den imperialistischen Amerikaner repräsentiert, dürfte Díaz-Canel ein wenig Zeit verschaffen.