Nach Angriff auf türkische Soldaten Türkei erhöht Druck auf EU – tausende Migranten an Grenze

Die Türkei verschärft ihr militärisches Vorgehen in Syrien. Gleichzeitig droht Ankara den Europäern mit einer neuen Migranten-Welle und berichtet von vielen Grenzübergängen.

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Die griechische Grenzpolizei hat bereits Tränengas und Blendgranaten eingesetzt. Quelle: dpa

Nach der von der Türkei angekündigten Öffnung ihrer Grenzen Richtung EU sind nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) mehr als 13.000 Migranten an der Grenze zu Griechenland angekommen. Tausende Migranten, darunter auch Familien mit kleinen Kindern, verbrächten hier eine kalte Nacht, berichtete IOM am frühen Sonntagmorgen. Zuvor hatte der türkische Innenminister Süleyman Soylu via Twitter mitgeteilt, bis Samstagabend (21.00 Uhr Ortszeit; 19 Uhr MEZ) hätten sogar 36.776 Migranten über die Provinz Edirne die Grenze in Richtung EU passiert.

Bis Sonntagmorgen gegen 10 Uhr Ortszeit hätten laut Süleyman bereits 76.358 Migranten über die Provinz Edirne die EU betreten. Allerdings berichteten zunächst weder Sofia noch Athen über das Eintreffen größerer Zahlen von Migranten. In der Provinz Edirne gibt es Grenzübergänge nach Griechenland und nach Bulgarien.

IOM berichtete, ihre Mitarbeiter hätten entlang der 212 Kilometer langen Grenze zwischen der Türkei und Griechenland mindestens 13.000 Menschen beobachtet, die sich an Grenzübergängen in Gruppen von bis zu 3000 Menschen versammelt hätten. Zuvor hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bestätigt, dass die Türkei keine Flüchtlinge mehr auf ihren Weg nach Europa abhalte und gesagt, man habe die Grenze für Migranten geöffnet.

Seit Freitag machen sich zahlreiche Migranten in der Türkei auf den Weg zur Grenze und versuchen, in die EU zu gelangen. Griechenland hat in der Nacht zum Sonntag seine Einheiten entlang der Grenze zur Türkei weiter verstärkt. Die griechischen Sicherheitsbehörden befürchteten, dass die tausenden Migranten, die seit Freitag auf der türkischen Seite der Grenze ausharren, in der Nacht versuchen würden, nach Griechenland zu kommen.

Dies geschah nach Berichten des Staatsrundfunks ERT aber nicht. Insgesamt hinderte die griechische Polizei bislang 9600 Migranten daran, diese Grenze zu überqueren, wie das Migrationsministerium in Athen am Sonntag mitteilte.

Tränengas und Blendgranaten an Grenzübergängen

Verstärkt wurden nach griechischen Regierungsangaben auch die Patrouillen in den Meerengen zwischen den griechischen Inseln und der türkischen Ägäisküste. Die stürmischen Winde der letzten Tage haben nachgelassen, die Regierung in Athen befürchtet nun einen neuen Migrantenzustrom, diesmal über die Ägäis. Am frühen Sonntagmorgen kamen nach Berichten griechischer Fernsehsender knapp 170 Migranten allein auf der Insel Lesbos an.

Die griechische Grenzpolizei und Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei hatten am Freitag und Samstag Tränengas und Blendgranaten eingesetzt, um große Gruppen von Migranten daran zu hindern, über den bereits geschlossenen Grenzübergang bei Kastanies/Pazarkule aus der Türkei nach Griechenland zu kommen.

Einer unbekannten Zahl von Migranten gelang es, einen Zaun an der Grenze zu überwinden oder mit Schlauchbooten den Grenzfluss Evros zu überqueren und nach Griechenland zu kommen. Allein am Samstag seien 70 festgenommen worden, teilte die Polizei mit. Die Regierung in Athen hat wiederholt erklärt Griechenland werde keinen illegalen Grenzübertritt dulden.

Die Türkei hat bereits mehr als 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Ein Flüchtlingspakt mit der EU von 2016 sieht eigentlich vor, dass die Türkei Migranten vom Weg in die EU abhält. Mit dieser neuen Position versucht Ankara offensichtlich, mehr Geld der EU für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlingen zu erzwingen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel verfolgten die Lage an den EU-Außengrenzen zur Türkei mit Besorgnis. „Unsere oberste Priorität ist, dass Griechenland und Bulgarien unsere volle Unterstützung haben“, twitterte von der Leyen am Samstagabend. Die EU sei zu weiterer Unterstützung bereit, auch mit zusätzlichen Kräften der EU-Grenzschutzagentur Frontex.

FDP fordert Zahlungsstopp

Angesichts der Zuspitzung der Flüchtlingssituation an der EU-Grenze zur Türkei sehen die Grünen jetzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Pflicht. „Die Bundesregierung muss jetzt schnellstmöglich darauf dringen, dass es eine europäische Lösung für die Verteilung der Geflüchteten gibt“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag). Notfalls müsse Merkel eine „Allianz der Willigen“ schmieden.

Ganz andere Konsequenzen forderte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg angesichts der Berichte über die Öffnung der Grenzen durch die Türkei. „Die Zahlungen an die Türkei müssen umgehend ausgesetzt werden, wenn Präsident Erdogan Vereinbarungen bricht“, sagte Teuteberg der „Bild am Sonntag“.

Merkel müsse nun „ihr ganzes Gewicht zur Geltung bringen“, damit sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole. Zudem müsse sie betonen, „dass eine unkontrollierte Migration nach Deutschland mit allen Mitteln des Rechtsstaates verhindert wird“.

Die Türkei hatte nach Worten von Erdogan mehrere Angriffe in Syrien unternommen. Dabei seien Anlagen zum Bau von Chemiewaffen sowie Luftabwehrsysteme und Landebahnen zerstört worden, sagte Erdogan in Istanbul. Die syrische Regierung stritt die Behauptungen ab und warf Erdogan „irreführende“ Aussagen und Übertreibung vor.

Nach Angaben von Aktivisten hat die Türkei bei in den syrischen Provinzen Idlib und Aleppo mehr als 70 Soldaten der syrischen Regierung und verbündeten Milizen getötet. Zunächst seien bei Angriffen mit Kampfflugzeugen, Drohnen und Artillerie 45 Regimesoldaten getötet worden, bei späteren Angriffen 26 weitere Kämpfer, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstag mit. Hintergrund der Vergeltungsangriffe ist der Tod zahlreicher türkischer Soldaten in Syrien.

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