
Nach heftigen Protesten wird das von der Regierungspartei AKP in der Türkei geplante Gesetz zu Sexualstraftaten an Minderjährigen zunächst zurückgestellt. Der Entwurf werde zurück in die zuständige Kommission überwiesen, sagte der Ministerpräsident und AKP-Chef Binali Yildirim am Dienstag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Istanbul. Zusammen mit der Opposition im Parlament und mit anderen gesellschaftlichen Gruppen solle der Entwurf weiterentwickelt werden.
Über das Gesetzesvorhaben sollte ursprünglich am Dienstag im Parlament abgestimmt werden. Kritiker hatten bemängelt, dass das Gesetz in bestimmten Fällen zu Straffreiheit bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen hätte führen können. Der Entwurf hatte vorgesehen, dass die Strafe ausgesetzt werden kann, wenn der Täter sein Opfer heiratet und der sexuelle Kontakt ohne Zwang und Gewalt stattgefunden hatte.
Schlüsselstaat Türkei
Die Republik Türkei ist laut der Verfassung von 1982 ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Regiert wird das Land von Ministerpräsident Binali Yildirim und dem Kabinett. Staatsoberhaupt ist Recep Tayyip Erdogan, als erster Präsident wurde er 2014 direkt vom Volk gewählt. Im türkischen Parlament sind vier Parteien vertreten, darunter - mit absoluter Mehrheit - die islamisch-konservative AKP von Erdogan. Parteien müssen bei Wahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um ins Parlament einziehen zu können. Die Türkei ist zentralistisch organisiert, der Regierungssitz ist Ankara. (dpa)
Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber konkret verhandelt. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrößte Mitgliedstaat, bei derzeitigem Wachstum in einigen Jahren wohl der größte.
Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite und Syrien sowie dem Irak auf der anderen Seite bildet die Türkei eine Brücke zwischen der EU-Außengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.
Seit Beginn des Syrien-Konflikts ist die Türkei als Nachbarstaat direkt involviert. Rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge nahm das Land nach eigenen Angaben auf. Die türkische Luftwaffe bombardiert allerdings auch kurdische Stellungen in Syrien und heizt so den Kurdenkonflikt weiter an.
1952 trat die Türkei der Nato bei. Das türkische Militär - mit etwa 640 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern ohnehin eines der größten der Welt - wird bis heute durch Truppen weiterer Nato-Partner im Land verstärkt. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe sollen auch Atombomben auf dem Militärstützpunkt Incirlik stationiert sein.
Keinen Aufschub gewährt Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan dagegen seinen Kritikern: Per Notstandsdekret hat er fast 10 000 weitere Angehörige der Sicherheitskräfte aus dem Dienst entlassen. Erneut werden außerdem zahlreiche Organisationen geschlossen, darunter 375 Vereine, 18 Stiftungen und ein Gesundheitszentrum. Der Grund sind stets angebliche Verbindungen zu Terrororganisationen. In den Ministerien kommt es ebenfalls zu weiteren Massenentlassungen. Auch gegen Medien geht die Regierung mit dem Dekret weiter vor: Sieben Regionalzeitungen und ein lokaler Radiosender müssen den Betrieb einstellen.
Seit Verhängung des Ausnahmezustands in Folge des Putschversuches Mitte Juli kann Erdogan per Dekret regieren. Die Dekrete haben Gesetzeskraft und gelten ab ihrer Veröffentlichung, das Parlament muss sie nur nachträglich bestätigen. Der bereits einmal verlängerte Notstand gilt mindestens bis Mitte Januar.
Die entlassenen Staatsbediensteten werden in Anhängen zu dem neuen Dekret erneut namentlich benannt. Diese Praxis ist hoch umstritten, da die Betroffenen damit öffentlich an den Pranger gestellt werden, ohne jemals von einem Gericht verurteilt worden zu sein.