Nahost-Experte Bassam Tibi Es gibt keine Lösung für den Syrien-Krieg

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Elefant im Porzellanladen

Die überregionalen Akteure, USA und Russland, sind in Syrien gleichermaßen Elefant im Porzellanladen. Seit dem Aufstieg des IS erscheint nicht mehr Assad als Täter, sondern die Djihadisten. Die USA und Russland bombardieren gemeinsam vermeintliche IS-Basen. Die USA haben den IS geschwächt, aber nicht beseitigt. Die vom IS vorangetriebene antiamerikanische Mobilisierung lässt sich nicht aus der Luft besiegen. Russland bombardiert gezielt auch Zivilisten und jede Opposition von Assad.

Und die EU? Sie ist durch den Zustrom von Flüchtlingen aus der Kriegsregion in Mitleidenschaft gezogen. Ihre Außenminister glauben, eine iranisch-türkisch-saudische Annäherung auf den Weg bringen zu können. Sie erweisen sich als „Simplificateurs“, die offenbar wenig von der komplizierten Nahost-Politik verstehen.

Die außenpolitisch nicht sonderlich kompetente Bundeskanzlerin hat die harte Linie gegen Russland in der naiven Illusion aufgegeben, dass die EU im Dialog mit Putin und seinem Verbündeten Assad eine Lösung für den höchst komplexen Konflikt von außen aufoktroyieren kann. Das alleinige Motiv der Kanzlerin ist, eine Lösung für die globale Flüchtlingskrise zu finden, die sie selbst mit unverantwortlichen einladenden Sprüchen ausgelöst hat. Die Kanzlerin taktiert zwischen einer Appeasement-Politik gegenüber Russland und verbaler Politik der „Fluchtursachen-Bekämpfung“.

Politik ist wie Fußball, sie wird an ihren Ergebnissen gemessen. Merkels Erfolgsbilanz liegt bei null Treffern.

Dagegen scheint Russland das Ziel der Überwindung seiner Isolierung vor dem Hintergrund des Ukraine-Konfliktes erreicht zu haben. Die Rechnung von Putin ist voll aufgegangen: Anerkennung als Akteur in Nahost vom Westen zu erzwingen und dabei die europäischen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise schwächen.

Die aufgezeigte Komplexität auf lokaler, regionaler und weltpolitischer Ebene untermauert, dass der Syrien-Konflikt ein protracted conflict ist, also ein in die Länge gezogener Konflikt. In Syrien gibt es nicht eindeutige Täter und Opfer, da auf allen Seiten gemordet wird. Es findet sozusagen der „bellum omnium contra omnes“ (Der Krieg aller gegen alle) statt, den Hobbes als Folge der Abwesenheit des Staates beschreibt.

Einfache Lösungsvorschläge beweisen nur eines: die Naivität ihrer Urheber und deren Unkenntnis des Nahen Ostens. Als der Arabische Frühling, der Beginn dieser Krise, ausbrach, jubelten europäische Politiker einer vermeintlichen Demokratisierung zu. Stattdessen zerfielen Staaten, was eine millionenfache Völkerwanderung nach Europa auslöste.

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