Nahost-Experte Bassam Tibi Es gibt keine Lösung für den Syrien-Krieg

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Giftgas und Napalm-Bomben

Nach 41 Jahren alawitisch-schiitischer Terrorherrschaft erreichte der „Arabische Frühling“ 2011 Syrien. In Kenntnis der Unbarmherzigkeit alawitischer Geheimdienste konnte ich nicht an ein Wunder glauben. Zu Beginn gab es friedliche Demonstrationen mit dem Aufruf „al-Scha’b yurid isqat al-Nizam“ („Das Volk möchte den Sturz des Regimes“). Die Antwort des Alawiten-Staates waren Giftgas und Napalm-Bomben. Der junge Assad-Diktator nahm sich das Eingreifen seines Vaters in Hama 1982 zum Vorbild.

Damals hatten alawitische Truppen in einer einzigen Nacht 30.000 rebellierende Sunniten getötet. Doch 2011 ging es nicht so einfach wie 1982. Heute kontrollieren die Alawiten nur noch ein Drittel des Landes.

Als Humanist liegt es mir fern, die syrischen Sunniten freizusprechen. Die sunnitischen Djihadisten sind ebenso grausam. Unter den Todesopfern sind 70.000 Alawiten. Die Ablösung des Alawiten-Staates durch einen sunnitischen Scharia-Staat ist keine Lösung.

Folter, Entführungen, standrechtliche Tötungen: In von den Rebellen gehaltenen Gebieten in Syrien kommt es laut Amnesty International zu brutalen Übergriffen.

Die Schlussfolgerung ist, dass jeder Konfliktlösungsversuch von der Tatsache ausgehen muss, dass syrische Sunniten und Alawiten nicht mehr zusammenleben können. Eine Versöhnung ist moralisch wünschenswert, aber sie ist realpolitisch unter diesen Bedingungen völlig ausgeschlossen. Das Problem ist nicht nur der Assad-Clan, sondern die alawitische Minderheitenherrschaft über die Sunni-Bevölkerung. Die Entfernung des Diktators Assad genügt nicht. Die von Alawiten besetzte Armee und der Sicherheitsapparat müssen aufgelöst werden.

Nicht nur auf lokaler Ebene hat der Konflikt eine religiöse Dimension - Alawiten/Schiiten gegen Sunniten – sondern auch auf regionaler Ebene. Die regionale Umwelt des Konflikts ist diese: Im westlichen Nachbarland Libanon kämpfen schiitische Hisbollah-Milizen als Sunniten-Killer auf der Seite der syrischen Alawiten-Armee. Im Norden befindet sich ein vorwiegend sunnitisches Land, die Türkei, das von einer sunnitisch-islamistischen Partei, also der AKP autoritär bis diktatorisch regiert wird.

Im Osten stehen zwei schiitisch beherrschte Staaten, Irak und Iran, auf der Seite der Alawiten-Diktatur. Der Iran unterstützt Assad militärisch sowie auf allen anderen Ebenen. Die sunnitischen Akteure Saudi-Arabien und Katar sind Verbündete der Sunniten gegen Iran und gegen die alawitische Diktatur.

Dennoch sind die gegeneinander kämpfenden lokalen Akteure keine „Stellvertreter“ der staatlichen regionalen Akteure. Diese mischen sich zwar ein und verkomplizieren die lokale ethnisch-religiöse Fragmentation Syriens. Aber sie haben den Konflikt nicht verursacht – und  können ihn nicht beenden. Der Glaube der EU-Politiker, den Konflikt von außen lösen zu können, wird durch die Tatsachen vor Ort Lügen gestraft. Frau Merkel wird diese Fluchtursache nicht meistern, es sei denn durch Magie.

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