Nord Stream 2 Zwei Dörfer werden zum Spielball der Weltmächte

Wolken ziehen über der Seebrücke von Lubmin. Die Vergiftung des Kremlkritikers Nawalny hat den Streit um die fast fertige Gaspipeline Nord Stream 2 neu entfacht. Quelle: dpa

Die Vergiftung von Alexej Nawalny hat den Streit um Nord Stream 2 neu entfacht. In Vorpommern stecken zwei Dörfer mitten im Konflikt, dessen Protagonisten Tausende Kilometer entfernt ihren Einfluss geltend machen wollen.

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Ein wenig erinnert die Situation an die Asterix-Geschichten, bei denen sich das kleine gallische Dorf einer römischen Übermacht gegenübersieht – Sassnitz auf Rügen und Lubmin im struktur- und menschenarmen Vorpommern sind mitten drin in einem Konflikt, dessen Protagonisten teils Tausende Kilometer entfernt ihren Einfluss geltend machen wollen. Zwischen Washington, Moskau, Brüssel und Berlin geht es wegen Nord Stream 2 seit langem heiß her, und nun geht es darum, ob das Milliardenprojekt Nord Stream 2 zur Investmentruine wird.

Zunächst wurde in den USA ein Sanktionsgesetz erlassen, das auf Investoren und beteiligte Firmen der Gaspipeline zielt. Jetzt hat die Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny die Debatte neu angeheizt, und auch die Bundesregierung steht mit einem Mal nicht mehr ganz so klar hinter dem weit fortgeschrittenen Projekt.

Nach früheren Angaben der Nord Stream 2 AG hätten die US-Sanktionen erhebliche Folgen. Sie würden mehr als 120 Unternehmen aus mindestens zwölf europäischen Ländern direkt treffen, davon mehr als 40 deutsche Firmen. Sie würden Investitionen von rund 700 Millionen Euro zur Fertigstellung der Pipeline verhindern und darüber hinaus Investitionen von rund zwölf Milliarden Euro in rechtsstaatlich genehmigte, größtenteils fertiggebaute Energieinfrastruktur der EU untergraben.

Die Baustelle der Empfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 2. Ursprünglich sollte die Pipeline für Erdgas aus Russland Ende 2019 in Betrieb gehen. Quelle: dpa

„Auf der Zielgeraden darf man nicht stehenbleiben“, sagt der Bürgermeister von Sassnitz auf Rügen, Frank Kracht (parteilos). Der Ort des 53-Jährigen und der Fährhafen Sassnitz-Mukran war jüngst ins Visier von drei US-Senatoren geraten. Denn im Hafen wurden die Rohre für die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 mit Beton ummantelt, gelagert und von dort aus ins offene Meer zu den Verlegeschiffen transportiert.

Die Senatoren drohten dem Fährhafen, wo noch Tausende Rohre lagern, mit schweren Sanktionen wegen seiner Rolle beim Bau der Pipeline. „Die Fährhafen Sassnitz GmbH soll zerstört werden“, interpretiert Kracht einen entsprechenden Brief. Es seien wirtschaftliche und rechtliche Sanktionen angedroht werden – auch für die Mitarbeiter. „Das war für mich der Gipfel der Unverfrorenheit.“ Denn es bestehe die Gefahr, dass sich künftig Firmen einen anderen Ostseehafen suchen, um ihre Geschäfte zu tätigen.

Noch fehlen gut 150 der beiden – insgesamt 2360 Kilometer langen – Stränge der Pipeline, die künftig bis zu 55.000 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich liefern soll. Viele Menschen in Vorpommern fordern, dass die Leitung vollendet wird. Experten in Moskau gehen mittlerweile davon aus, dass das erste Gas – wenn überhaupt – erst im nächsten Jahr durch die Röhren gepumpt wird. Ursprünglich sollte die Leitung längst in Betrieb sein.

Neben Sassnitz spielt Lubmin, gut 20 Kilometer östlich von Greifswald, eine zentrale Rolle in der Logistik: Dort soll das Erdgas ankommen und von dort aus verteilt werden. Auch die idyllisch beim Nationalpark Jasmund gelegene Stadt sah sich unvermittelt als Spielball der Weltpolitik.

Der Vorpommern-Staatssekretär der Schweriner Landesregierung, Patrick Dahlemann (32), sieht ebenfalls die positiven Effekte der Pipeline. Überall sei es zu spüren gewesen, dass die Bauarbeiter da waren. Politisch zeigt sich Dahlemann jedoch eher zurückhaltend: „Die Landesregierung kann sich nicht an den Spielchen beteiligen, die an das Szenario des Kalten Krieges erinnern.“

Die Erinnerung an diese Zeiten, als Deutschland noch geteilt und die Sowjetunion sehr nah war, ist in Vorpommern noch vielfach vorhanden. Diese Vergangenheit prägt die Stimmung, sagte Lubmins Bürgermeister Axel Vogt (CDU). „Die Nähe zu Russland ist noch bei vielen Menschen da.“ Beim Bau des in den 1970er Jahren in Betrieb genommenen Lubminer Atomkraftwerks sei viel russisches Fachpersonal in der Region gewesen, deren Kinder gingen auf die gleichen Schulen.



So hinterfragen Menschen in Lubmin laut Vogt auch die Vorgänge um die Vergiftung Nawalnys, in deren Zusammenhang die Forderung nach einem Baustopp von Nord Stream 2 laut wird. Vielleicht müsse der Kreis der Verdächtigen viel größer gezogen werden, sagt Vogt.

Der hauptberufliche Rechtsanwalt betont zudem, die Pipeline sei auf Basis internationaler Baugenehmigungen gebaut worden. „Wenn jetzt Rufe nach Baustopp laut werden, frage ich mich, was hat das noch mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.“ Was sei im Falle eines Baustopps mit dem Rückbau, der wiederum Milliarden kosten würde? Wer ist für den fälligen Schadenersatz verantwortlich?

Noch will sich Vogt nicht mit den wirtschaftlichen Aspekten von Nord Stream 2 befassen. Er weiß aber, dass die Gewerbesteuern der im November 2011 in Betrieb gegangenen alten Pipeline Nord Stream 1 in Höhe von 1 bis 1,5 Millionen Euro jährlich rund 20 Prozent der gesamten Gewerbesteuer-Einnahmen ausmachen. Die Anlandestation für das Gas von Nord Stream 2 ist bereits fertig. „Wenn Nord Stream 2 nicht fertig wird, hätten wir eine große Investruine“, so Vogt. Das wäre kein gutes Aushängeschild für Interessenten.

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Rob Bishop, Mitglied des US-Repräsentantenhaus aus Utah, gilt eigentlich als Deutschlandfreund. Im Zuge der Debatte um die Ölpipeline Nord Stream 2 ist er jedoch genervt von der Untätigkeit der Bundesregierung.

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