Novartis-Bestechungsaffäre wird zum Politikum Griechische Justiz geht gegen Ex-Regierungschefs vor

Bisher hat Griechenlands Regierung ihr Versprechen nicht eingelöst, die Korruption auszurotten. Die Affäre um angeblich von Novartis bestochene Amtsträger ist ihr Trumpf. Ein Verdächtiger: der heutige Zentralbankchef.

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Die Vorwürfe der Bestechung und der Untreue sind zwar inzwischen für die Politiker verjährt, nicht hingegen das Delikt der Geldwäsche. Quelle: AP

Athen, Zürich Die größte Schmiergeldaffäre aller Zeiten? Oder ein Versuch, politische Gegner anzuschwärzen? Seit über einem Jahr ermitteln griechische Staatsanwälte im Zusammenhang mit angeblichen Bestechungspraktiken des Schweizer Pharmakonzerns Novartis. Jetzt wird der Fall zum Politikum. Mindestens acht frühere Minister und zwei ehemalige Regierungschefs sollen in die Affäre verstrickt sein. Die Betroffenen bestreiten die Vorwürfe energisch. Am Dienstag leitete die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakten dem Parlament zu. Die Abgeordneten müssen nun entscheiden, ob die Immunität der genannten Politiker aufgehoben wird. Sie könnten dann vor einem Sondergericht angeklagt werden.

Der Vorwurf: Novartis soll Amtsträger bestochen haben, um Zulassungsverfahren für seine Arzneimittel zu beschleunigen, höhere Preise durchzusetzen und angeblich überteuerte Pharmaka und Dienstleistungen im griechischen Gesundheitswesen zu lancieren. Die Praktiken hätten zu einer Kostenexplosion im Gesundheitsetat geführt, erklärt Justizminister Stavros Kontonis. Die Rede ist von Mehrkosten in Milliardenhöhe. Aber auch „die moralischen Folgen sind enorm“, sagt der Minister.

Bei Novartis hieß es dazu: „Wir kennen die Medienberichte über unsere Geschäftspraktiken in Griechenland.“ Der Konzern arbeite bei der Beantwortung von Anfragen mit lokalen und ausländischen Behörden zusammen. Weder Novartis noch einer der derzeitigen Mitarbeiter habe eine Anklage im Zusammenhang mit dem Fall erhalten. „Überall dort, wo Novartis Geschäfte tätigt, sind wir den gleichen hohen Standards für ethisches Geschäftsgebaren und der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften verpflichtet“, teilte der Basler Konzern dem Handelsblatt mit. „Wir nehmen jeden Vorwurf von Fehlverhalten sehr ernst und überprüfen alle Berichte gründlich.”

Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND), der die Mehrzahl der in den Ermittlungen genannten Ex-Minister angehört, wirft der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras vor, sie instrumentalisiere die Justiz für eine politische Verleumdungskampagne. Tsipras hatte am Montagabend mit Justizminister Kontonis und dessen Stellvertreter Dimitris Papangelopoulos über den Fall konferiert. Am Dienstag kündigte Kontonis dann an, die Staatsanwaltschaft werde die Ermittlungsakten dem Parlament zuleiten. Es sei verfassungswidrig, dass sich die Regierung Einblick in laufende Ermittlungen verschafft habe, argumentiert die Opposition.

Im Fadenkreuz der Ermittlungen stehen zwei frühere Ministerpräsidenten – der Übergangspremier Panagiotis Pikrammenos, der von Mai bis Juni 2012 amtierte, und der konservative Regierungschef Antonis Samaras (2012 – 2015) – sowie acht ehemalige Minister, unter ihnen der frühere Finanzminister Yannis Stournaras. Das gibt dem Fall zusätzliche politische Brisanz, denn der parteilose Stournaras, der unter Samaras das Finanzressort führte, ist heute Chef der griechischen Zentralbank. Wegen seiner Kritik am schleppenden Reformtempo ist Stournaras ständiges Ziel persönlicher Angriffe aus Regierungskreisen. In einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung weist Stournaras die Vorwürfe zurück. Er sei in seiner Amtszeit als Finanzminister niemals mit Vorgängen befasst gewesen, „die direkt oder indirekt mit der Firma Novartis zu tun haben“. Wörtlich heißt es in der Erklärung des Notenbankers: „Die politische Verleumdung und die Einschüchterungsversuche, denen ich und meine Familie seit drei Jahren ausgesetzt sind, haben jetzt eine Grenze erreicht.“

Auch Übergangspremier Pikrammenos wies die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zurück. Der frühere Regierungschef Samaras sagte, es handele sich um „Verleumdungen von Herrn Tsipras, die sich auf konstruierte Aussagen anonymer Zeugen stützen“.

Die Ermittlungen beziehen sich auf Vorgänge in den Jahren 2006 bis 2015. Die Vorwürfe der Bestechung und der Untreue sind zwar inzwischen für die Politiker verjährt, nicht hingegen das Delikt der Geldwäsche. Dafür könnten die Beschuldigten belangt werden, sofern das Parlament einer Strafverfolgung zustimmt. Mit einer schnellen Entscheidung ist aber nicht zu rechnen. Die parlamentarischen Beratungen dürften viele Monate dauern. Die zuständigen Parlamentsausschüsse müssen umfangreiche Ermittlungsakten studieren, die ihnen jetzt von der Justiz zugleitet werden.


Nicht die erste Untersuchung der Novartis-Geschäftspraktiken

Justizminister Kontonis spricht allerdings bereits von einem Skandal, „größer noch als die Siemens-Affäre“. Der deutsche Technologiekonzern soll Ende der 1990er Jahre in Griechenland Schmiergelder von 70 Millionen Euro gezahlt haben, um lukrative Aufträge des staatseigenen Telekommunikationsunternehmens OTE an Land zu ziehen. Wegen der Vorwürfe wird seit über zwei Jahren vor dem Athener Berufungsgericht gegen 64 Angeklagte verhandelt, darunter 13 ehemalige Siemens-Manager wie den früheren Konzernchef Heinrich von Pierer.

Vizejustizminister Papangelopoulos sieht in der Novartis-Affäre sogar „den größten Skandal seit Gründung des modernen griechischen Staates“ vor fast 190 Jahren. In den Ermittlungsunterlagen geht es nach Informationen aus Justizkreisen um Schmiergelder in Höhe von rund 50 Millionen Euro. Davon sollen 40 Millionen vor 2010 an drei Politiker geflossen sein, im Zusammenhang mit der Beschaffung von Novartis-Impfstoffen. Die Ermittler stützen sich unter anderem auf die Aussagen von drei „Kronzeugen“, deren Identität aus den Akten nicht hervorgeht. Es soll sich um „glaubwürdige“ Insider handeln, die mit den Vorgängen vertraut seien, heißt es inoffiziell in Justizkreisen.

Die Vorwürfe sind nicht neu. Die Affäre hatte bereits im Januar 2017 in Griechenland Schlagzeilen gemacht. Damals durchsuchten Staatsanwälte die Athener Büros von Novartis. Die Ermittlungen stützten sich auf Presseberichte über mutmaßliche Schmiergeldzahlungen des Basler Arzneimittelkonzerns an griechische Ärzte und Beamte, hieß es damals in Justizkreisen. Es ging damals um rund 4000 „Zielpersonen“, die der Pharmariese mit Geldzuweisungen und anderen Geschenken für seine Zwecke eingespannt haben soll. Ihre Absicht: höhere Preise durchzusetzen, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und den Absatz von Novartis-Produkten zu steigern. Ein ehemaliger Novartis-Mitarbeiter berichtete damals anonym in der Zeitung „Kathimerini“: Der Konzern habe seiner Organisation in Griechenland hohe Verkaufsziele vorgegeben und extremen Druck auf die Vertriebsmitarbeiter gemacht, diese Vorgaben zu erreichen – obwohl der griechische Pharmamarkt in jenen Jahren infolge der Krise deutlich schrumpfte. Novartis erklärte damals, man kooperiere bei der Klärung der Vorwürfe „vollumfänglich mit den lokalen und ausländischen Behörden“.

Bereits vor einem Jahr zeichnete sich die innenpolitische Brisanz der mutmaßlichen Affäre ab. Der stellvertretende Gesundheitsminister Pavlos Polakis, ein prominenter Politiker des Tsipras-Linksbündnisses Syriza, sprach von „Schwarzgeldern in Höhe von über vier Milliarden Euro“. Verstrickt in den Skandal seien „zahlreiche Politiker, Ärzte und Journalisten“, die „ihre Hand tief in den Honigtopf gesteckt“ hätten. Parallel zu den damals eingeleiteten Ermittlungen gegen Novartis und mögliche Schmiergeldempfänger in der Politik und im staatlichen Gesundheitswesen prüfte die Staatsanwaltschaft auch Kontobewegungen von Ärzten daraufhin, ob sie Zuweisungen von Novartis erhalten haben. Zu welchen Ergebnissen diese Ermittlungen führten, ist bisher nicht bekannt.

Die griechische Staatsanwaltschaft bat seinerzeit die US-Justizbehörden um Unterstützung bei den Ermittlungen. Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Pharmakonzern mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, die Absätze eigener Medikamente mit unlauteren Mitteln zu steigern. Auch in Südkorea und in der Türkei gab es in der Vergangenheit Untersuchungen im Zusammenhang mit Geschäftspraktiken des Basler Pharmakonzerns. Im Jahr 2015 hatte Novartis in den USA ein Verfahren wegen so genannter Kickback-Zahlungen beigelegt. Demnach soll das Unternehmen zwischen 2007 und 2012 spezialisierten Apotheken Rabatte gewährt haben, damit diese die beiden Novartis-Produkte Exjade and Myfortic empfehlen. Der Pharmakonzern zahlte 390 Millionen US-Dollar Buße und räumte das Vorgehen ein.

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