Putin empfängt Erdogan in St. Petersburg "Putin will die Türkei in einer eurasischen Allianz einbinden"

Nach mehrmonatiger Krise wollen Putin und Erdogan nach vorne blicken. Gibt das Treffen der beiden Präsidenten in St. Petersburg - Russlands „Tor zum Westen“ - am Dienstag einen Hinweis auf die Neuorientierung der Türkei?

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Russlands Präsident Wladimir Putin Quelle: AP

Für sein Versöhnungstreffen mit Recep Tayyip Erdogan hätte Wladimir Putin wohl keinen besseren Ort wählen können als St. Petersburg. Kaum eine andere Stadt in Russland führt Besuchern den Machtanspruch des Riesenreichs so deutlich vor Augen wie die prunkvolle Zarenmetropole an der Newa.

Hier, in Putins Geburtsstadt, wollen die beiden Präsidenten an diesem Dienstag ihre monatelange Eiszeit überwinden. Das Treffen der starken Männer wird international beachtet, denn es sind weitreichende Folgen möglich: für Europas Flüchtlingspolitik, aber auch für den Syrien-Krieg. 

„Es ist das erste Treffen seit dem Zusammenbruch unserer Beziehungen. Es wird also mehr als genug Themen geben“, heizt Kremlsprecher Dmitri Peskow die Erwartungen an. Für Erdogan ist es die erste Auslandsreise seit dem Putschversuch vom 15. Juli, der ihn entmachten sollte. Dass der Trip nach Russland führt, mag ein Hinweis auf die Neuorientierung der Türkei sein - die sich immer stärker von den USA und der Europäischen Union abwendet. „Der Westen hat sich auf die Seite der Putschisten gestellt“, kritisierte Erdogan vor wenigen Tagen scharf.

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Erdogan ärgert, dass westliche Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel den Putschversuch zwar verurteilen, im selben Atemzug aber die Einhaltung demokratischer Werte in der Türkei anmahnen. Putin dürfte weniger Wert auf solche Feinheiten legen. Noch am Putschwochenende rief er bei Erdogan an, um den Umsturzversuch „kategorisch“ zu verurteilen. In der Mitteilung des Kreml dazu sind keine moralinsauren Ermahnungen an Erdogans Adresse zu lesen.

Dass Putin und Erdogan überhaupt wieder miteinander sprechen, erschien bis Ende Juni höchst unwahrscheinlich. Dann aber gelang es Erdogan mit einem geschickten Schachzug, die seit Ende November schwelende Krise mit dem Kreml um den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs beizulegen. Er entschuldigte sich in einem Brief zwar wie von Putin gefordert - aber nicht bei der Führung in Moskau, sondern bei den Angehörigen des getöteten Piloten.

Kremlsprecher Peskow, von 1996 bis 2000 Diplomat an der russischen Botschaft in der Türkei, liest aus dem Brief hingegen das geforderte Bedauern heraus.

Moskau sieht sich als Sieger im Machtkampf mit Ankara und erhofft sich von der Wiederannäherung eine Schwächung der EU und der Nato. „Putin will die Türkei in seine Pläne einer eurasischen Allianz einbinden“, sagt der Politologe Fjodor Lukjanow. „Die Frage ist, ob Erdogan bereit ist, diesen Weg einzuschlagen“, meint der Herausgeber der Fachzeitschrift „Russia in Global Affairs“.

Mit der geplanten Gasleitung Turkish Stream durch das Schwarze Meer und dem Bau des Atomkraftwerks Akkuyu hat Russland auch wirtschaftliche Interessen.

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