Rennen um US-Präsidentschaft Warum Michael Bloomberg trotz 500.000.000 Dollar Budget gescheitert ist

Alles umsonst? Kein Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur hat im Wahlkampf so viel Geld ausgegeben wie Michael Bloomberg. Quelle: REUTERS

Bei Wahlkampfauftritten ließ Michael Bloomberg seine Zuhörer zuletzt ratlos zurück – von Begeisterung kaum eine Spur. Nun beendet er seine Kandidatur. Warum Bloomberg trotzdem noch nicht ganz verloren hat.

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Der Jubel nahm zunächst gar kein Ende, als Michael Bloomberg um kurz nach drei Uhr nachmittags im Sheraton in Midtown Manhattan vor seinen Anhängern auf die Bühne trat. Der 78-jährige, eigentlich kein Freund emotionaler Ausbrüche, ließ es geschehen, winkte in Zuschauermasse, reckte den Daumen in die Luft. Für einen kurzen Moment schien er die Szenerie einfach nur zu genießen. Und so zögerte der Milliardär, Unternehmer und Ex-Bürgermeister kurz, bevor er offiziell seiner Bewerbung um die Präsidentschaftsnominierung der Demokratischen Partei ein Ende setzte. „Ich danke dem besten Wahlkampfteam, das jemals zusammengestellt wurde“, sagte er. „Wir hätten Donald Trump im November geschlagen.“

Dass seine Kandidatur so abrupt enden würde, hatte kaum jemand erwartet. Am wenigsten wohl Bloomberg selbst. Gerade einmal 101 Tage war es her, dass er seinen Einstieg in den Wettbewerb verkündet hatte – wie es sich gehört schriftlich, mit einer Erklärung auf seiner Website. In kürzester Zeit hatte er daraufhin ein eindrucksvolles Wahlkampfteam auf die Beine gestellt und hunderte Millionen seines eigenen Geldes in die Kampagne gepumpt. Kein anderer Demokrat, nicht Joe Biden, nicht Bernie Sanders, konnte finanziell auch nur annähernd mit Bloomberg Schritt halten. Bald kletterte er auch in den Umfragen Stück um Stück nach oben. In wenigen Wochen wurde er so vom Außenseiter zum ernstzunehmenden Player.

Zunächst konnte sich der Ex-Bürgermeister über viel Zuspruch freuen. Seit Jahren hatten amerikanische Zentristen seine Kandidatur geradezu herbeigesehnt. Bloomberg galt für sie als Inbegriff des pragmatischen Problemlösers. Ein ehemaliger Republikaner und Neu-Demokrat, der in der Wirtschaft und als Verwaltungschef der größten Stadt des Landes bewiesen hatte, dass seine Managerqualitäten ausreichen, um komplizierte Regierungsmaschinen effektiv zu bedienen. Businessfreundliche Demokraten wünschten sich einen wie ihn an ihrer Spitze, und moderate Republikaner – als es sie noch gab – bewunderten seine Fähigkeiten.

Der Name Bloomberg stand für radikale Mitte, für wirtschaftspolitischen Konservatismus bei gleichzeitiger gesellschaftspolitischer Liberalität. Auch nach seiner Zeit als Bürgermeister von New York City setzte er seine Energie und sein massives Vermögen von rund 60 Milliarden Dollar für die Bekämpfung des Klimawandels und die Reduzierung von Waffengewalt ein. Für Themen also, die der großen Mehrheit der Amerikaner abseits der polarisierten Flügel am Herzen liegen. Gleichzeitig baute Bloomberg Beziehungen in seine neue politische Heimat auf, unterstützte bereits in den Zwischenwahlen 2018 zahlreiche Demokraten massiv finanziell. All dies, gepaart mit einem zum Bersten gefüllten Wahlkampfkonto, machte ihn auf dem Papier zu einer Naturgewalt unter den potenziellen Trump-Herausforderern. Trotzdem ist er in nur gut drei Monaten vollständig gescheitert. Wie konnte das passieren?

Keine Trump-Begeisterung, keine Sanders-Euphorie

An einem sonnigen Donnerstagmorgen im späten Januar biegt eine Kolonne schwarzer Chevrolet Suburbans von der H-Street in Washington, DC, auf den Parkplatz des Atlas Performing Arts Center. Hier, im überwiegend afroamerikanisch geprägten Osten der Stadt, ist die Zahl der politischen Veranstaltungen normalerweise überschaubar. Vielleicht hat sich Michael Bloomberg genau deshalb diesen Ort ausgesucht, um eine Rede über bezahlbaren Wohnraum und Obdachlosigkeit zu halten. Begleitet wird er von der Bürgermeisterin von Washington, eine wichtige Powerbrokerin in der Hauptstadt. Dass sie den Wahlkampf ihres ehemaligen New Yorker Amtskollegen unterstützt, ist ein früher Coup für dessen Kampagne.

Entsprechend groß ist das Interesse am Kandidaten. Der fensterlose Raum im Atlas ist gut gefüllt, als Bloomberg schließlich auf die Bühne tritt. Kurzes Geplänkel mit dem Publikum, dann fixiert er die beiden Teleprompter, die rechts und links des Podiums angebracht sind. Die nächsten 20 Minuten wird er ihn nicht mehr aus den Augen lassen.

Es ist keine schlechte Rede, die der Ex-Bürgermeister da hält, wenngleich ein bisschen trocken. Er spricht über seine Leistungen als New Yorker Stadtoberhaupt, schafft den Schlenker von Wohnungspolitik zu seiner Präsidentschaftskandidatur. „Mike schafft das“, wiederholt er seinen Wahlkampfslogan. „Das dürfen Sie schon mal gehört haben. Und wenn nicht, habe ich verdammt viel Geld verschwendet“, spielt er auf sein jetzt schon unerhört hohes Wahlkampfbudget an. Es ist nicht das erste Mal, dass er diesen Spruch bringt. Und es wird nicht das letzte Mal sein. Doch das weiß das Publikum in Washington nicht. Höfliches Lachen. Als Bloomberg schließlich seinen Auftritt beendet, fällt der Applaus solide aus. Von der Begeisterung einer Trump Rally oder einer Sanders-Veranstaltung ist im Atlas allerdings nichts zu spüren.

Hat sich der Besuch für Bloomberg gelohnt? Die Unterstützung der Washingtoner Bürgermeisterin, einer wichtigen Stimme in der afroamerikanischen Community, könnte ihm noch helfen. Schließlich hat Bloomberg vor allem bei Minderheiten zu diesem Zeitpunkt noch massive Probleme. Als Bürgermeister verschärfte er eine Polizeitaktik, die es New Yorker Cops erlaubte, Passanten anlasslos anzuhalten und zu durchsuchen – „Stop and Frisk“ genannt.

Unter Bloomberg wurde die Taktik millionenfach angewandt, traf zu rund 90 Prozent Schwarze und Latinos. Fast alle von ihnen hatten sich nichts zu Schulden kommen lassen. Der Ex-Bürgermeister verteidigte die Maßnahme dennoch lange. Sie habe zur Senkung der Kriminalität beigetragen, beteuerte er. Die Betroffenen und ihre Angehörigen fühlten sich hingegen ohne Grund kriminalisiert. Ein Bedenken, das der Milliardär lange ignorierte. Erst nachdem er seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gab, entschuldigte er sich für „Stop and Frisk“.

Im späten Januar braucht Bloomberg also die Unterstützung von Afroamerikanern, wenn aus seiner Kampagne etwas werden soll. Trotzdem wirft der Abstecher nach DC Fragen auf. Was genau macht Bloomberg hier? Die Vorwahl der Hauptstadt findet erst im Juni statt. Und auf viel Aufmerksamkeit kann er an diesem Donnerstag auch nicht zählen. In wenigen Tagen finden die Vorwahlen in Iowa statt. Bloomberg wird sie auslassen, doch seine Konkurrenten und die halbe politische Presse wohnen derzeit geradezu in dem Bundesstaat im Mittleren Westen. Die andere Hälfte sitzt derweil im Kongressgebäude, wo sich in der Senatskammer der Impeachment-Prozess gegen Präsident Trump in den letzten Zügen befindet. Mit klassischer Wahlkampflogik lässt sich Bloombergs Washington-Besuch kaum erklären.

Solche Bedenken will das Wahlkampfteam nicht gelten lassen. Bloomberg, so signalisieren sie von Anfang an, verfolge seine eigene Strategie. Die ersten vier Wettbewerbe in Iowa, New Hampshire, Nevada und South Carolina wird er ignorieren, erst am „Super Tuesday“ ins Geschehen eingreifen. Dann, wenn 14 Bundesstaaten und ein Territorium ihre Vorwahlen abhalten.

Hohes Interesse, doch kaum Begeisterung

Es ist eine Herangehensweise, die auf dem Papier Sinn ergibt. Die ersten vier Vorwahlen haben höchstens symbolische Bedeutung. Um die Kandidatur zu gewinnen, brauchen die Bewerber vor allem Delegierte. Und die werden am Super Tuesday massenhaft vergeben. Warum sollte Bloomberg also Zeit in Iowa oder Nevada verschwenden, wenn er dank seines riesigen Wahlkampfbudgets schlicht Aufmerksamkeit in den entscheidenden Staaten kaufen kann? Der Ex-Bürgermeister, so die Theorie, kann dann ungestört Wahlkampf machen wo es darauf ankommt, während sich seine Konkurrenz in faktisch unbedeutenden Vorwahlen gegenseitig die Köpfe einschlägt.

Dass sie den Praxistest wohl nicht bestehen wird, zeichnet sich indes früh ab. Zwar gibt Bloomberg alles, reist mit dem Privatjet kreuz und quer durch das Land, besucht in 100 Tagen 73 Städte in 27 Bundesstaaten, doch sein Wahlkampf nimmt keine Fahrt auf.

Mitte Februar steht Bloomberg auf einer Bühne im Schankraum einer Craft-Beer-Brauerei in Richmond im Super-Tuesday-Staat Virginia. Wieder ist der Andrang groß. Die Neugierde auf den Ex-Bürgermeister ist mit Händen zu greifen. Doch Bloomberg nimmt die Energie des Saales nicht auf. Langsam liest er, wie schon in Washington, seinen Text vom Prompter ab, bringt den üblichen Witz über seine Wahlkampfausgaben. Selbst als ein Waffenrechtsaktivist in den Raum stürmt und ihn lauthals als Faschisten beschimpft, weicht der Kandidat kaum vom Skript ab. Stoisch steht er am Rednerpult, während das Publikum den Pöbler niederbrüllt und schließlich aus dem Saal scheucht. „Es ist am einfachsten abzuwarten, bis er draußen ist“, sagt Bloomberg nur. Dann schließt er fast nahtlos an seine Standardrede an. Wenige Minuten später eskortiert sein Sicherheitsdienst ihn von der Bühne. Kaum Händeschütteln, kaum Selfies. Als sich die Tür hinter dem Kandidaten schließt, bleibt das Publikum recht ratlos zurück.

von Jörn Petring, Julian Heißler, Malte Fischer, Silke Wettach

Den Rest geben seiner Kandidatur die Auftritte mit seinen Mitbewerbern. Bloomberg nimmt lediglich an zwei TV-Debatten der Demokraten teil, doch das reicht, um seine vermeintliche Retter-Aura nachhaltig zu beschädigen. Die anderen Kandidaten gehen das Neu-Parteimitglied heftig an, allen voran Senatorin Elizabeth Warren (mittlerweile selbst aus dem Rennen), eine Ikone des progressiven Flügels. Sie kritisiert seinen Umgang mit Minderheiten, seine lange Liste sexistischer Sprüche, die sich über Jahrzehnte angesammelt hat und seine kräftige Unterstützung für Republikaner in der noch jüngeren Vergangenheit. Bloomberg versucht sich zu verteidigen, doch das macht er so ungeschickt, dass alles nur noch schlimmer wird. Der Milliardär wirkt abgehoben, aus der Zeit gefallen.

Und so werden plötzlich Fragen immer lauter gestellt, die Bloombergs Kandidatur eigentlich von Beginn an überschatten hätten müssen. Warum soll ausgerechnet er, der langjährige Republikaner, die Demokraten retten können? Wie passt das Musterbeispiel eines Zentristen zu einer Partei, die derzeit nur darüber diskutiert, wie weit sie nach links rücken soll? Und weshalb soll ausgerechnet ein erfolgreicher Unternehmer und einer der reichsten Männer der Welt für Wähler interessant sein, die sich nach sozialem Ausgleich sehnen?

10.000 Dollar nur für Sushi

Bloomberg, das wird in den vergangenen Wochen deutlich, hat keine Antwort auf diese Fragen. Die Quittung bekommt er in dieser Woche. Am Super Tuesday gewinnt er eine einzige Vorwahl, die in Amerikanisch Samoa. Sie ist weitgehend unbedeutend, insgesamt holt der Kandidat dort 175 Stimmen, das reicht für den Sieg. In allen anderen Wettbewerben schneidet er enttäuschend ab. Einen Tag später verkündet er das Ende seiner Kampagne, verspricht, künftig Joe Biden zu unterstützen. „Auch wenn ich nicht der Kandidat sein werde, lasse ich diesen wichtigsten politischen Kampf meines Lebens nicht aus“, verspricht er.

Trotz Bloombergs krachender Niederlage könnte Biden von seinem Support noch erheblich profitieren. Die seit Monaten klamme Kampagne des Ex-Vizepräsidenten kann sich plötzlich über eine hervorragend ausgestattete Unterstützerstruktur freuen. Denn der Ex-Bürgermeister scheute beim Aufbau seines Wahlkampfteams keine Kosten.

Er stellte eine Armee von Datenexperten, Organisatoren und Kommunikationsprofis ein und bezahlte sie fürstlich. Rund 2400 Mitarbeiter zog der Milliardär so in kürzester Zeit an, viel mehr als jeder andere Kandidat. Er zahlte Gehälter, die teils doppelt so hoch waren wie bei der Konkurrenz. Zusätzlich lockte Bloomberg mit Boni, modernsten Laptops und iPhones für Mitarbeiter, möblierten Appartements an der New Yorker East Side für Führungskräfte und kostenlosem Essen für sein Team. Allein in den ersten Wochen seiner Kandidatur gab er mehr als 10.000 Dollar nur für Sushi aus.



Über eine halbe Milliarde Dollar pumpte Bloomberg so in seine Kurzzeitbewerbung, davon rund 400 Millionen Dollar nur für Werbung inklusive eines Spots während des Super-Bowls, der allein zehn Millionen Dollar verschlungen haben dürfte. Ein Ende der Kosten ist vorerst nicht abzusehen. Der Ex-Bürgermeister heuerte sein Team für die gesamte Dauer des Wahlkampfs an, also mindestens bis zum 3. November. Seine Mitarbeiterarmee will er nun Biden zur Verfügung stellen. Und damit ausgerechnet dem Kandidaten, wegen dessen vermeintlicher Schwäche er im November überhaupt erst in den Wettbewerb eingetreten ist.

Ganz verloren hat Bloomberg trotzdem nicht. Seine Kandidatur hat die Partei zumindest ein Stück weit in die Mitte geschoben. Ob sich seine moderaten Mitbewerber so schnell hinter Biden versammelt hätten, wenn der Milliardär nicht gewesen wäre, ist zumindest unsicher. Auch hat er durch seinen schnellen Ausstieg bewiesen, dass ihm der Sieg über Trump unterm Strich wichtiger ist, als seine eigene Ambition aufs Weiße Haus. Eine Kandidatur als Unabhängiger, die dem Präsidenten nützen könnte, hat er ausgeschlossen. Und selbst wenn der demokratische Sozialist Bernie Sanders die Nominierung der Demokraten gewinnen sollte, will der Ex-Bürgermeister ihn unterstützen. Sollte am 3. November also ein Demokrat Trump schlagen, dann wäre das auch ein kleiner Sieg für Michael Bloomberg.

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