Syrien-Konflikt Wieso der Militärangriff für Frankreich unausweichlich war

Der Angriff auf Syrien sei Teil einer umfassenden Strategie gewesen, heißt es aus Paris. Dort fordert die Politik weiter eine politische Lösung.

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Paris Frankreich hofft nach den militärischen Schlägen in der Nacht zum Samstag gegen Chemiewaffen-Depots und -Forschungseinrichtungen in Syrien auf Fortschritte bei der Kontrolle dieser international geächteten Kampfstoffe. „Diese Aktion ist Teil einer umfassenden Strategie, Frankreich sucht eine politische Lösung der syrischen Krise“, hieß es am Samstagmorgen im Elysée-Palast. „Wir erwarten, dass Russland den bis November 2017 bestehenden Mechanismus zur Überwachung des Einsatzes von chemischen Waffen wieder in Gang setzt.“

Paris will nun schnell zu diplomatischen und politischen Anstrengungen zurückkehren. Französische Politiker betonten mehrfach, dass man keine Auseinandersetzung mit den Unterstützern von Syriens Diktator, Russland und Iran, suche. Russland habe aber auch nach den Angriffen mit Chemiewaffen durch Assad am 7. April in der Stadt Douma in der Nähe von Damaskus, bei denen 45 Menschen gestorben sein sollen, die Arbeit des UN-Sicherheitsrats blockiert.

Außenminister Jean-Yves Le Drian deutete an, dass damit Militärschläge unausweichlich wurden, weil ein „so flagranter Verstoß gegen das seit 1925 bestehende Chemiewaffenverbot“ nicht hingenommen werden könne.

Eine tiefe Krise im Verhältnis zu Russland erwartet die französische Regierung trotz der offiziellen, scharf formulierten Reaktion aus Moskau nicht. „Präsident Macron hat am Freitagabend mit Präsident Wladimir Putin telefoniert, beide machten sich zu diesem Zeitpunkt keine Illusionen darüber, was in den nächsten Stunden geschehen würde, trotzdem war der Ton des Gesprächs beinahe konstruktiv“, so die Darstellung des Elysée. Die beiden Politiker hätten bereits „vorausgeschaut in die folgende Phase“. Die Militärschläge hätten „eine politische Botschaft, wir hoffen, dass die verstanden wird“.

Die französische Regierung will Fortschritte auf mehreren Gebieten erreichen. Unmittelbar bezieht sich das auf die Kontrolle – oder Zerstörung – des syrischen, illegalen Arsenals an chemischen Kampfstoffen und die Möglichkeit, deren eventuellen Einsatz vor Ort kontrollieren und die Urheber feststellen zu können. Zweitens soll humanitäre Hilfe ungehindert die Zivilbevölkerung erreichen und deren Leid lindern.

Und drittens will Paris den Prozess einer politischen Lösung der syrischen Krise reaktivieren: „Wir müssen eine Dynamik erreichen, bei der die derzeit getrennt wirkenden Kräfte wieder zusammenarbeiten.“ Der Übergang zu freien Wahlen sei nur möglich, wenn der Westen mit einigen arabischen Staaten auf der einen, Russland, Iran auf der anderen und auch die Türkei nicht mehr isoliert arbeiteten.

Auch wenn es kein spezielles Mandat des UN-Sicherheitsrates für die Schläge gebe, sei die völkerrechtliche Basis solide, sagte der Eylsée. Baschar al Assad habe gegen mehrere Resolutionen des Sicherheitsrates verstoßen. Der Einsatz chemischer Kampfstoffe sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht und gefährde das System der internationalen Sicherheit.

Frankreich hat alles getan, um trotz der Militärschläge Russland nicht zu provozieren. „Russland wurde vorab informiert“, sagte Verteidigungsministerin Florence Parly am Samstag. Im Elysée ergänzte man, Frankreich habe auf zeitweilig erwogene Angriffe gegen Luftwaffenbasen in Syrien verzichtet, „um eine Eskalation zu vermeiden“. Direkte Absprachen mit dem russischen Militär zur Konfliktvermeidung habe es gegeben, nachdem der Einsatzbefehl erging.

Frankreich vermied es sogar, die in unmittelbarer Nähe zu Syrien in Jordanien stationierten Kampfflugzeuge einzusetzen. Die Militärschläge in Antwort auf Assads Bombardement mit Chemiewaffen sollten strikt getrennt bleiben vom seit Jahren laufenden Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (Daesh) in Syrien und Irak. Stattdessen stiegen Rafale-Kampfflugzeuge von Basen in Frankreich auf, die auf dem mehrere Tausend Kilometer langen Flug mehrfach aufgetankt werden mussten.

Die Jets überflogen kein syrisches Gebiet, sagte eine Elysée-Quelle auf Nachfragen, sondern feuerten ihre Marschflugkörper aus der Entfernung ab. Offenbar wollte das französische Militär nicht das Risiko eingehen, womöglich doch von russischer Luftabwehr erfasst zu werden.

Unterstützt wurden die Kampfflugzeuge von drei französischen Multifunktions-Fregatten und einer Fregatte für die Luftabwehr, die extra ins östliche Mittelmeer beordert wurden. Die Grundsatzentscheidung für einen Schlag ist demnach bereits vor Tagen gefallen.

Der konkrete Einsatzbefehl sei „zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens“ am Samstag ergangen, hieß es. Die Regierung verbreitete ein Foto, das Präsident Macron, seinen persönlichen Militär-Stabschef Bernard Rogel und zahlreiche Berater im unterirdischen operativen Zentrum des Elysée-Palastes zeigt. Die Entscheidung über alle Ziele sei auf der Basis „sehr genauer Geheimdienst-Erkenntnisse“ gemeinsam mit Amerikanern und Briten gefällt worden.

Die französische Regierung verteilte am Samstag ein Dossier über die Erkenntnisse, die ihren Diensten in Bezug auf den Einsatz verbotener chemischer Kampfstoffe durch Assad vorliegen. Am 7. April nachmittags habe es mehrere Angriffe „mit tödlichen chemischen Waffen in Douma gegeben“. Die seien „mit hoher Sicherheit ein Akt des syrischen Regimes“. Die Umstände des Todes von mindestens 40 Personen seien „charakteristisch für einen Angriff mit chemischen Waffen, insbesondere mit phosphor-organischen Verbindungen oder Blausäure“.

Die erhaltenen „verlässlichen Erkenntnisse belegen, dass syrische Militärs die auch mit Chlor geführten Chemiewaffen-Angriffe koordiniert haben“. heißt es in der Dokumentation. Materielle Proben lägen Frankreich bislang allerdings nicht vor. Das syrische Militär habe seit 2012 immer wieder chemische Waffen in Städten eingesetzt, um die Bevölkerung zu terrorisieren und zur Kapitulation zu treiben.

Die französischen Dienste schlussfolgern, dass seit dem 4. April 2017, Datum eines schweren Angriffes mit dem Kampfstoff Sarin in der syrischen Ortschaft Khan Cheikhoun, in elf weiteren Fällen verbotene Substanzen zum Einsatz kamen. Trotz der seit Oktober 2013 bekundeten Bereitschaft, auf alle Chemiewaffen zu verzichten, habe das Regime ein heimliches Chemie-Programm fortgeführt.

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