Ukrainekonflikt „Der Ausschluss Russlands von Swift hätte dramatische Folgen“

Warnung an den Kreml: „Russland würde einen hohen politischen und vor allem wirtschaftlichen Preis für eine erneute Verletzung der ukrainischen Staatlichkeit zahlen“ Quelle: imago images

Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft fürchtet wegen der russischen Einschüchterungspolitik weitere Sanktionen des Westens und Rückschläge für den Handel.

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Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen steigen bei den Unternehmen die Befürchtungen vor einer Eskalation der Lage. „Die wachsenden Spekulationen über einen bevorstehenden Krieg bereiten uns sehr große Sorgen“, sagt Oliver Hermes, Vorsitzender des Ostausschuss der deutschen Wirtschaft (OA). „Der Frieden ist die entscheidende Grundlage für die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen“. Es müssten jetzt „alle diplomatischen Möglichkeiten genutzt werden, um eine weitere Eskalation abzuwenden“.

Die bevorstehende Verschärfung der Wirtschaftssanktionen beunruhigt die Wirtschaft am meisten, vor allem der bereits ins Spiel gebrachten Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungsverkehrsabkommen Swift. „Das hätte dramatische Folgen“, sagt Matthias Schupp, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Außenhandelskammer in Russland. Moskau habe zwar schon Alternativen für den ausländischen Zahlungsverkehr aufgebaut hat, so Schupp.

Aber die deutschen Firmen seien ohne Swift gezwungen, das Russlandgeschäft aus Ländern außerhalb der EU heraus zu führen. Die US-Regierung hatte den Ausschluss Russlands von Swift angedroht. Die Konsequenzen wären massiv: Der Irak war von Washington nach den gescheiterten Atomgesprächen ebenfalls ausgeschlossen worden, was zu einem Rückzug vieler westlicher Unternehmen geführt hatte. (Mehr dazu lesen Sie in der großen Analyse: Swift, die ultimative Sanktionswaffe gegen Russland)

Baerbock warnt Russland vor schweren Folgen

Die starke Konzentration russischer Truppen an der Ostgrenze der Ukraine war bereits am Dienstag Anlass für einen Videogipfel zwischen US-Präsident Joe Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Biden hatte von Putin einen Rückzug der Truppen verlangt und ihn deutlich vor einem Einmarsch in der Ukraine gewarnt. Die USA und ihre Verbündeten würden mit „starken wirtschaftlichen und anderen Maßnahmen“ auf einen russischen Angriff antworten, hieß es in einer anschließenden Erklärung des Weißen Hauses.

von Maxim Kireev, Silke Wettach, Lukas Zdrzalek

Nach westlichen Erkenntnissen ist der Truppenaufbau zwar seitdem nicht fortgesetzt worden, aber die massive Präsenz besitze immer noch ein nicht akzeptables Drohpotential. Die neue Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) drohte Russland bei ihrem Antrittsbesuch in Paris ebenfalls mit schweren Folgen im Falle einer Eskalation. „Russland würde einen hohen politischen und vor allem wirtschaftlichen Preis für eine erneute Verletzung der ukrainischen Staatlichkeit zahlen“, sagte Baerbock. Eine militärische Zuspitzung müsse verhindert werden, Lösungen könne man nur auf dem diplomatischen Weg finden.

Geschäfte in Russland erholen sich wieder

In einer neuen Umfrage des OA und der AHK Russland haben die im Land vertretenen deutschen Firmen ein mehrheitlich positives Bild gezeichnet. 52 Prozent der Befragten sehen im laufenden Jahr einen positiven oder leicht positiven Trend beim Geschäftsklima (Vorjahr zwölf Prozent).

Auch bezüglich der Wirtschaftsentwicklung im kommenden Jahr sind die Unternehmen deutlich optimistischer als vor Jahresfrist: 60 Prozent der Befragten rechnen 2022 mit einer positiven oder leicht positiven Wirtschaftsentwicklung (Vorjahr 36 Prozent). Die Geschäftslage der deutschen Unternehmen in Russland hat sich laut Umfrage ebenfalls verbessert: 48 Prozent bewerten die eigene Situation in Russland mit gut bis sehr gut. Das sind elf Prozentpunkte mehr als 2020 und zwei Prozentpunkte mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019. 36 Prozent der Befragten geben ihre Geschäftslage mit befriedigend an (Vorjahr 52 Prozent).

Allerdings gelten diese Zahlen nur eingeschränkt, weil die Umfrage im November erhoben wurde und somit vor der Verschärfung der Lage an der Grenze zur Ukraine. Das dennoch so viele Firmen vor Ort sind, erklärt AKH-Chef Schepp mit den guten Geschäften. „Der russische Markt ist mit seinen hohen Gewinnmargen immer noch einer der attraktivsten Märkte weltweit, auch wenn die Entwicklungen manchmal sehr volatil sind“.

OA-Chef Hermes will trotz der aktuellen Spannungen die Rückkehr der Zuversicht ausgemacht haben. „Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen stehen auf einem festen Fundament und haben die Delle des ersten Corona-Jahres 2020 hinter sich gelassen“, sagt Hermes. Allerdings könnten die aktuellen Spannungen „den insgesamt positiven Ausblick in Frage stellen“.

Zustimmend bewertet der Ostausschuss, dass die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag den Wunsch nach einem konstruktiven Dialog mit Russland und nach „substanziellen und stabilen Beziehungen“ unterstrichen habe, so Hermes. „Sehr positiv sehen wir, dass Russland ausdrücklich als Partner für Zukunftsthemen wie Klima, Umwelt, Wasserstoff und Gesundheit genannt wird“. Ein „starkes Signal“ sieht die Wirtschaft zudem in dem Ziel der neuen Bundesregierung, die Visa-Pflicht für junge Russen unter 25 Jahren abzuschaffen.

Nord Stream II zu Ende führen

Zum Thema Nord Stream verwies Hermes vor dem Hintergrund der hohen Energiepreise auf „eine gewisse Ungeduld“ der deutschen Unternehmen. Mit 44 Prozent sprechen sich die meisten der Befragten dafür aus, die Pipeline sofort in Betrieb zu nehmen, auch wenn die finale Genehmigung noch aussteht. 32 Prozent der Befragten wollen erst das laufende Zertifizierungsverfahren abwarten. Eine Minderheit von 22 Prozent ist für eine Art Stoppmechanismus, um sicherzustellen, dass Russland Energielieferungen nicht als Druckmittel einsetzt.

Die Ungeduld der Unternehmen müsse man verstehen, meinte Hermes. Es bleibe aber bei der Position des Ost-Ausschusses, dass das laufende Zertifizierungsverfahren ohne wirtschaftlichen, aber vor allem auch ohne politischen Druck durchgeführt werden sollte. Man habe „volles Vertrauen in die Bundesnetzagentur und ihre unabhängige Expertise“, so Hermes. Deshalb sei es gut, dass die neue Koalition sich offenbar darauf verständigt habe, keinen politischen Einfluss auf den laufenden Zertifizierungsprozess zu nehmen.“ Nord Stream 2 werde für eine ausreichende und stabile Versorgung Deutschlands und Europas mit bezahlbarem Erdgas gebraucht, ebenso wie die Pipelines durch die Ukraine. AHK-Chef Schepp sagte, „auch amerikanische Politiker müssen akzeptieren, dass europäische Energiepolitik nicht in Washington gemacht wird“.

Ärger über Pflichtuntersuchung

Dominierende Hindernisse im Russland-Geschäft sind nach der Umfrage der volatile Wechselkurs des Rubels sowie die gegenseitigen Wirtschaftssanktionen und die immer noch hohen bürokratischen Hürden. Für Verdruss sorge auch die neueste Idee Moskaus, ausländische Manager und Unternehmer, die in Russland wohnen, alle drei Monate zu einer ausführlichen medizinischen Untersuchung zu verpflichten – einschließlich psychologischer Tests. Damit würden, so Schepp, sicher viele deutsche Manager die Koffer packen.

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Russland ist unter den internationalen Handelspartnern Deutschlands auf Platz 15 abgerutscht, wobei das Ranking auch stark von den Schwankungen der Rohstoffpreise beeinflusst wird. Insgesamt gehe man von einem positiven Investitionsklima aus, wobei China in Russland zunehmend als Konkurrent auftrete, beobachtet Schepp. Im Gegensatz zu den EU-Ländern könne China unbeeinflusst von bestehenden Sanktionen agieren. Seit der Teilbesetzung der Ukraine und der Annexion der Krim bestehen zahlreiche Wirtschaftssanktionen gegen Russland, deren Abbau von Fortschritten bei der Erfüllung des Minsker Abkommens abhängen.

Mehr zum Thema: Russland lässt Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren, der Westen droht mit Sanktionen. Eine Option wäre der Ausschluss aus dem Finanzsystem Swift. Sie würde zu gewaltigen Verwerfungen führen.

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