US-Notenbank senkt den Leitzins Trump erzürnt, Anleger verunsichert, Ökonomen verwirrt

US-Notenbankchef Jerome Powell Quelle: dpa

Erstmals seit einem Jahrzehnt hat die US-Notenbank den Leitzins gesenkt. Fed-Chef Jerome Powell kann es keinem recht machen – die Reaktionen könnten unterschiedlicher nicht sein.

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Die Reaktion des US-Präsidenten ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte die amerikanische Notenbank am Mittwochnachmittag (Ortszeit) wie erwartet verkündet, erstmals seit der Finanzkrise die Zinsen zu senken, ließ Donald Trump über den Kurznachrichtendienst Twitter wissen: „Wie üblich hat Jerome Powell uns im Stich gelassen.“

US-Notenbankchef Powell hatte gerade erläutert, warum die Federal Reserve den Leitzins um einen Viertelprozentpunkt auf eine Spanne von 2 bis 2,25 Prozent senkt. Zudem wird die Fed ihre durch den Kauf von Anleihen aufgeblähte Bilanz ab sofort nicht weiter schrumpfen, zwei Monate früher als avisiert. Die Notenbank reagiere damit auf „Auswirkungen weltweiter Entwicklungen auf den Wirtschaftsausblick und den geringen Inflationsdruck“, so die Fed in ihrer offiziellen Mitteilung.

Trump war das nicht genug. Und auch an den Börsen sorgten Powells Worte, es vorerst dabei zu belassen, am Abend für Ernüchterung. Die Zinswende war an den Märkten bereits eingepreist. Die wichtigsten Indizes fielen zwischenzeitlich um bis zu 1,8 Prozent.

Beobachter sehen in der ersten Zinssenkung seit einem Jahrzehnt wahlweise eine „Vorsichtsmaßnahme“, eine „Versicherung“ oder „Absicherung“ gegen einen möglicherweise bevorstehenden konjunkturellen Abschwung. Powell bestätigte im Anschluss an die Entscheidung, dieses Ansinnen habe eine Rolle gespielt. Der Fed gehe es um „Risikomanagement“. Anzeichen leitet er aus der weltpolitischen Großwetterlage ab, nannte Wachstumsschwächen in der Europäischen Union und China. Vor allem der nach wie vor ungelöste Handelskonflikt der USA mit China bereitet dem Fed-Chef Sorgen.

Einen Einbruch der amerikanischen Wirtschaft, gar eine Rezession erwarten Fachleute jedoch nicht. Dafür sind die Wirtschaftsdaten zu gut. Die Statistikbehörde Bureau of Statistical Analysis vermeldet für das zweite Quartal ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 2,1 Prozent. Mit einer Arbeitslosenrate von unter vier Prozent herrscht de facto Vollbeschäftigung.

Umso stärker gehen die Meinungen über die Zinspolitik der Fed deshalb auseinander. Recht machen konnte es der Fed-Chef am Mittwoch keinem. Hier die Anleger und der unersättliche Präsident, dem die Wachstumsraten nicht hoch genug und die Zinsen nicht tief genug sein können. Dort eine wachsende Schar an Ökonomen, die den Schritt für verfrüht halten.



Nord-LB-Chefvolkswirt Tobias Basse äußert den Eindruck, „dass die amerikanische Notenbank gegen eine Phantom-Rezession kämpft“. Amerikanische Gelehrte diskutieren, inwiefern sich Fed-Chef Powell entgegen dessen Beteuerungen dem Druck aus dem Weißen Haus beugt. Manch einen treibt auch die Frage um, ob die Fed zu weit geht, wenn sie präventiv die Zinsen senkt.

So bemerkt Robert Barro, einflussreicher Ökonom der Harvard University: Ihm leuchte nicht ein, warum die Notenbank einer wirtschaftlichen Abschwächung „vorwegkommen“ sollte. Die Fed müsse glaubhaft ihre Unabhängigkeit sichern – und das könne sie nur, indem ihre Entscheidungsträger frei vom Einfluss Dritter entschieden. Damit meint Barro das Weiße Haus – aber auch die Wall Street.

Dabei waren die Anleger angesichts der sich abzeichnenden Zinswende ursprünglich in Champagnerstimmung gewesen. Im elften Jahr des Aufschwungs eilten die Aktienbarometer zuletzt von Höchststand zu Höchststand. Der Leitindex S&P 500 mit den 500 wertvollsten amerikanischen Unternehmen übersprang im Juli die Marke von 3000 Punkten.

Die Hoffnung, dass die gelockerte Zinspolitik den längsten Boom der Geschichte in die Verlängerung schickt, überwog bis zuletzt die Furcht vor einer weiteren Eskalation des Handelskriegs. Die Anleger hofften auf Signale Powells, dass die Fed die Zinsen weiter drücken könnte. Dieses Bekenntnis blieb aus. Den Schritt solle man „nicht als Beginn eines längeren Zinssenkungszyklus“ interpretieren, stellte Powell klar.

2015 hatte die Federal Reserve begonnen, die nach der Finanzkrise 2008 auf nahe null gesunkenen Zinsen zu erhöhen. Allein im vorigen Jahr zog sie viermal an. Für US-Präsident Trump hat die Fed, wie er zu Wochenbeginn klarstellte, „die Zinsen viel zu früh und stark erhöht“. Powells Institution, so seine Botschaft an den Fed-Chef, habe „alles falsch gemacht. Eine kleine Zinssenkung ist nicht genug, aber uns wird trotzdem niemand aufhalten!“

Seit Monaten sehen sich die Fed und ihr Präsident Powell Attacken Trumps ausgesetzt. Zeitweise grenzen Trumps Twitter-Tiraden an Stalking. Die Verunglimpfungen reichen von „völlig ahnungslos“ über „verrückt“ bis „hartnäckigstes Problem“ der amerikanischen Wirtschaft.

Nicht nur im Weißen Haus und an der Wall Street nimmt man das Umdenken der amerikanischen Notenbank interessiert zur Kenntnis. „Die Zinswende der Fed wird die globale Wende der Geldpolitik besiegeln“, heißt es in einer Analyse der Commerzbank. Zentralbanken rund um den Globus haben zuletzt die Zinsen gesenkt, darunter die Türkei, Südkorea, Indonesien und Australien.

Die Europäische Zentralbank verzichtete vorige Woche zwar zunächst auf eine weitere Lockerung, EZB-Chef Mario Draghi lässt aber entsprechende Pläne ausarbeiten. Dem globalen Zinstrend wird sie sich trotz Null- und Negativzinsen in der Eurozone kaum entziehen können. Aller Voraussicht nach im September wird die EZB nachziehen.

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