
Mounawer Mnassria weiß genau, was er sich für 2015 wünscht: „Ich möchte meine eigene Autowaschanlage aufmachen.“ Das Gebäude von der Größe einer Doppelgarage am Stadtrand von Sidi Bouzid, wo drei Angestellte emsig Kotflügel, Felgen und Windschutzscheiben polieren, hat der 29-Jährige bisher nur gemietet. „Wenn alles klappt, kann ich noch mehr jungen Leuten Arbeit geben. Das ist wichtig in dieser Region.“
Hier in Sidi Bouzid, im tristen Landesinnern von Tunesien, hat sich vor vier Jahren der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi selbst verbrannt und damit die Revolution gegen Diktator Zine al Abidine Ben Ali ausgelöst. An der Fassade des Postamts hängt noch immer sein riesiges Konterfei, nur wenige Meter von dem Platz, wo Bouazizi sich mit Benzin übergoss und anzündete. An den Transparenten, die an den Jahrestag erinnern, zerrt der Wind. Die größte Gewerkschaft UGTT ist den Gedenkveranstaltungen ferngeblieben. Aus Protest, weil sich in den vergangenen vier Jahren zwar zahlreiche Regierungen in der Hauptstadt Tunis abgewechselt haben, aber die Lage der Menschen keinen Deut besser wurde.

Im vierten Jahr nach der Revolution sind 16 Prozent der Tunesier arbeitslos. Die Wirtschaft erholt sich nur langsam, das Pro-Kopf-Einkommen erreicht umgerechnet 4300 Dollar. Seit einem Vierteljahr hat Tunesien ein demokratisch gewähltes Parlament und seit einem Monat einen vom Volk gewählten Präsidenten. Schaffen die Tunesier also, was in allen anderen arabischen Ländern nicht gelingen will?
Zu wenig Touristen
In Sidi Bouzid sieht es nicht danach aus. Gewiss: Seit der Revolution dürfen die ambulanten Händler ihr Obst und Gemüse überall ohne Lizenz feilbieten und riskieren dafür nicht, wie einst der Märtyrer Bouazizi, Schläge und Schikanen von korrupten Polizeibeamten. Aber das reicht nicht. Tunesiens Hinterland leidet unter jahrzehntelanger wirtschaftlicher Vernachlässigung.





Wohlstand und Arbeitsplätze konzentrieren sich auf die Hauptstadt Tunis und die Küstenorte mit den Touristen. Aber auch mit den Urlaubern verdient das Land viel weniger Geld als zu Zeiten der Ben-Ali-Diktatur bis 2011: Nachrichten über politische Unruhen wirken abschreckend auf potenzielle Touristen. Sicher auch ein Grund dafür, dass die Tunesier bei den Wahlen dieses Winters auf Super-Stabilität gesetzt haben. Neuer Präsident ist der 88-jährige frühere Innen- und Außenminister Béji Caid Essebsi, Abkömmling einer der vornehmsten und reichsten Familien des Landes. Sein designierter Ministerpräsident Habib Essid war sogar unter der Diktatur eine Weile Staatssekretär im Innenministerium. Alles nicht so wichtig, meint die Mehrheit ihrer Landsleute, solange sie das Land endlich auf Wachstumskurs bringen und die Islamisten in Schach halten.
Auch das unterscheidet Tunesien von anderen Ländern: Hier gibt es eine starke islamistische Partei, die Ennahda („Wiedergeburt“). Die war unmittelbar nach der Revolution mit Abstand stärkste Partei, beherrschte mehrere Übergangsregierungen und verlor jetzt haushoch die Wahlen. Nicht nur, weil die Mehrheit der Tunesier nichts von religiösem Zwang hält, sondern vor allem, weil sie schlechte oder vielmehr gar keine Wirtschaftspolitik machte. Doch auch die jetzt gewählten Politiker um Caid Essebsi sind bisher keineswegs mit wirtschaftspolitischen Ideen hervorgetreten.





Bei den jungen Tunesiern ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch. 73 000 junge Männer und Frauen machen jährlich einen Universitätsabschluss, ungefähr ein Drittel jedes Geburtsjahrgangs, und viele von ihnen finden dann keinen Job. Auf der Prachtstraße Avenue Bourguiba in Tunis, wo vor vier Jahren die Revolutionäre demonstrierten, sind seitdem etliche elegante Geschäfte und Straßencafés verschwunden. An ihrer Stelle finden sich oft winzige Bankfilialen von Western Union und ähnlichen Instituten. Überweisungen tunesischer Gastarbeiter an ihre Familien zu Hause sind zum überlebenswichtigen Faktor der Volkswirtschaft geworden.