AfD-Alterspräsident Saarland-Wahl befeuert Debatte um „Lex AfD“

Die Saar-AfD war wegen ihrer NPD-Nähe in die Schlagzeilen geraten. Jetzt hat sie erstmals den Sprung in den Landtag geschafft. Und kann sogar den Alterspräsidenten stellen. Das dürfte für Diskussionen sorgen.

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AfD-Vize Alexander Gauland könnte im nächsten Bundestag Alterspräsident werden - dagegen regt sich Widerstand. Quelle: dpa

Berlin Der Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), mit einer Art „Lex AfD“, einen Politiker der Alternative für Deutschland als möglichen Alterspräsidenten des Bundestages zu verhindern, hat durch die Saarland-Wahl eine ungeahnte Aktualität bekommen. Grund: Die Alternative für Deutschland schaffte am Sonntag mit 6,2 Prozent nicht nur auf Anhieb den Sprung in den Saarbrücker Landtag, sie kann auch den Alterspräsidenten stellen, der die erste Rede zu Beginn der neuen Legislaturperiode halten darf.

In Berlin könnte die Personalie für neue Diskussionen sorgen. Es geht um Josef Dörr, den AfD-Landesvorsitzenden. Wegen seiner Kontakte zu Rechtsextremen sollte die Saar-AfD vor rund einem Jahr aufgelöst werden. Im Mittelpunkt der Vorwürfe stand auch sein Stellvertreter Lutz Hecker. Gegen beide laufen in der Partei immer noch Ausschlussverfahren. Kurz vor der Wahl erhob ein Kreischef noch schwere Vorwürfe gegen Dörr, Hecker und einen weiteren AfD-Spitzenpolitiker. Unter ihnen sei die AfD zu „einer demokratiefeindlichen Partei“ geworden. Genutzt hat die Warnung aber nichts. Dörr, der nicht über die Landesliste abgesichert war, zog in Saarbrücken über ein Direktmandat ins Parlament ein.

Mit seinen 78 Jahren steht Dörr nun zu, als Alterspräsident die erste Rede im neuen saarländischen Landtag zu halten. Ein Umstand, den Bundespolitiker im Bundestag gerne verhindern wollen. Denn nach der Bundestagswahl im Herbst ist es durchaus möglich, dass ebenfalls ein AfD-Politiker Alterspräsident wird. Die Saar-Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sieht die Debatte gelassen. Als sie mit Blick auf Dörr gefragt wurde, ob auch sie überlege, die Geschäftsordnung des Parlaments zu ändern - wie Bundestagspräsident Lammert - sagte die Ministerpräsidentin: „Unser saarländischer Landtag ist so demokratisch gefestigt, dass er auch die Rede eines AfD-Politikers zu Beginn ertragen wird.“

Das wird in Berlin anders gesehen. Und die Saarland-Wahl dürfte die Debatte in dieser Hinsicht weiter befeuern. Zumal inzwischen auch innerhalb der Bundestagfraktionen die Meinungen darüber auseinandergehen, wie mit dem Alterspräsidenten-Thema umgegangen werden soll. Die Grünen etwa agieren nicht geschlossen.


Schäuble oder ein AfD-Politiker als Alterspräsident

Während die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagfraktion, Britta Haßelmann, Bedenken gegen den Lammert-Vorschlag wegen des schlecht gewählten Zeitpunkts äußerte, plädierte ihr Fraktionskollege Dieter Janecek dafür, noch vor der Bundestagswahl im Herbst die Parlaments-Geschäftsordnung entsprechend zu ändern.

„Es entspricht nicht meiner Vorstellung eines selbstbewussten und wehrhaften Parlamentarismus, wenn wir uns per Zufallsprinzip womöglich einen Alterspräsidenten gefallen lassen müssen, der sich in der Vergangenheit antisemitisch und antidemokratisch geäußert hat“, sagte Janecek dem Handelsblatt. Bislang habe es diese Gefahr nicht gegeben, künftig aber wohl schon. „Damit aber würde unser aller Ansehen als freiheitliche Demokratie auch international beschmutzt“, warnt der Sprecher des grünen Realo-Flügels. „Deshalb finde ich den Vorschlag von Lammert überlegenswert, für alle künftigen Wahlperioden sicherzustellen, dass eine parlamentarisch bewährte Persönlichkeit die ehrenvolle Aufgabe erhält, die neue Wahlperiode einzuleiten.“

Lammert hatte dem Ältestenrat des Parlaments am Donnerstag vorgeschlagen, der Alterspräsident des Bundestags solle künftig statt nach Lebensjahren nach den parlamentarischen Dienstjahren bestimmt werden. Damit würde die Ehre, im September die erste Sitzung des neugewählten Bundestages zu leiten, wahrscheinlich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zuteilwerden. Mit der Änderung solle sichergestellt werden, dass die erste Sitzung des neugewählten Bundestags von einem Abgeordneten mit ausreichender Erfahrung geführt werde, lautete die offizielle Begründung. Tatsächlich dürfte der Vorschlag allerdings darauf abzielen, einen AfD-Abgeordneten in dieser Rolle zu verhindern.

Als aussichtsreicher Kandidat gilt etwa der niedersächsische AfD-Politiker Wilhelm von Gottberg, der in wenigen Tagen 77 Jahre alt wird. Er war früher CDU-Mitglied und bis 2012 Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen. Sollte die AfD bei der Bundestagswahl weniger gut abschneiden, liefe es auf den etwas jüngeren Gauland zu. Der Brandenburger AfD-Fraktionschef hat einen besseren Listenplatz.

Der Vorschlag sei nicht schlecht, der Zeitpunkt dafür aber schlecht gewählt, sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Haßelmann. „Wir halten nichts davon, eine bewährte Regelung im Hauruck-Verfahren zum Ende einer Legislaturperiode über Bord zu werfen.“ So werde der Eindruck erweckt, es gebe einen Zusammenhang mit der anstehenden Wahl. Haßelmann sagte: „Natürlich wäre es eine Zumutung, wenn ein Rechtsnationalist eine Parlamentssitzung eröffnen würde, doch wir sind überzeugt: unser Parlament und unsere Demokratie halten das aus.“

Einem „Zeit“-Bericht von Mitte März zufolge hatte von Gottberg 2001 in einem Artikel für das Ostpreußenblatt (heute „Preußische Allgemeine Zeitung“) den Holocaust als „wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen und ihrer Geschichte“ bezeichnet.


SPD, CSU und Linke für Lammerts Anti-AfD-Vorschlag

Vor diesem Hintergrund erwägt auch die Linkspartei, den Vorschlag Lammerts zu unterstützen. Mit dem Thema dürfe zwar „nicht leichtfertig“ umgegangen werden, sagte Linkenchefin Katja Kipping dem Handelsblatt. „Aber wenn droht, dass mit einem Herrn von Gottberg jemand als Alterspräsident reden würde der klare geschichtsrevisionistische Thesen vertritt, der die Singularität der Naziverbrechen in Frage stellt, dann haben wir eine kollektive Verantwortung.“

AfD-Vize Alexander Gauland sagte, Lammerts Vorstoß zeige, dass die etablierten Parteien Angst vor der AfD hätten. Es erfülle ihn mit Genugtuung, „wenn ich an dieser Lammert-Posse erkennen kann, dass die AfD bereits jetzt schon die Altparteien vor sich hertreibt“.

Der Alterspräsident leitet laut Geschäftsordnung die erste Parlamentssitzung nach der Wahl, bis ein neuer Bundestagspräsident gewählt ist. Bislang entscheiden die Lebensjahre, welcher Parlamentarier Alterspräsident wird. Nach Lammerts Plänen soll hingegen derjenige Abgeordnete diese Aufgabe übernehmen, der dem Bundestag am längsten angehört - erst bei Gleichstand würden die Lebensjahre herangezogen. Eine Änderung der Geschäftsordnung müsste allerdings vom Parlament mehrheitlich beschlossen werden.

Die SPD hatte ihre Unterstützung für Lammerts Idee angekündigt. Auch aus der CSU kam Zustimmung. Die konstituierende Sitzung zu leiten, „braucht Erfahrung und nicht Alter“, sagte der Justiziar der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), dem Handelsblatt.

Der Politikwissenschaftler Hajo Funke hält indes nichts von einer Ausgrenzung der AfD. „Lammert sieht wohl die Würde des Amtes in Gefahr, wenn ein AfD-Politiker die erste Sitzung des neuen Bundestages leiten würde“, sagte Funke. „Ich bin aber gegen eine solche Lex AfD, weil ich finde, dass man da souveräner mit umgehen sollte“. Sollte ein AfD-Alterspräsident „etwas Verrücktes oder etwas Undemokratisches sagen“, könnten die Abgeordneten ja dagegen protestieren, etwa indem sie den Saal verließen.

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