WirtschaftsWoche Online: Herr Minister, als erste Amtshandlung vor einem Jahr drängten Sie die Deutsche Bahn zu besserem WLAN im Zug. Sind Sie inzwischen zufriedener?
Dobrindt: Ich sehe echten Fortschritt. Inzwischen bietet die Bahn kostenloses Internet bei ICE-Zügen in der ersten Klasse an. Sobald die Bahn die technischen Hürden genommen hat, wird sie auch in der zweiten Klasse kostenloses WLAN anbieten.
Pendler wünschen sich auch im Nahverkehr WLAN. Im Ausland gibt es solche Angebote. Warum nicht in Deutschland?
Das WLAN-Angebot entwickelt sich gerade, für die Zukunft darf es hier keine Ausnahmen geben. Kostenloses WLAN muss es im ICE genauso geben wie im Regionalexpress und in den Bahnhöfen. Wir befinden uns auf dem Weg in die digitale Gesellschaft. Wir brauchen überall gute Serviceangebote und schnellen Zugang ins Netz.
Zur Person
Alexander Dobrindt, 44, verantwortet als Bundesverkehrsminister seit 2013 den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Der CSU-Politiker muss Geld mobilisieren, um den schnellen Internet-Zugang in strukturschwachen Regionen voranzutreiben. Sein Credo: Kommunen sollen entscheiden, ob sie auf Glasfaser-, Kupfer- oder Mobilfunktechnik setzen.
Südkoreaner surfen im Schnitt mit 25 Megabit pro Sekunde. Deutschland ist nicht mal halb so schnell – Rang 31 weltweit. Hat Deutschland den Anschluss verpasst?
Keine Frage: Der Nachholbedarf ist vorhanden. Deshalb haben wir uns das Ziel gesetzt, bis 2018 bundesweit 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen – und zwar überall in Deutschland. Und das ist nur ein Zwischenziel, um alle Lebensbereiche zu digitalisieren. Das Datenvolumen verdoppelt sich jedes Jahr. Die EU-Kommission hat uns bestätigt, dass wir bei der Dynamik des Breitbandausbaus ganz vorne dabei sind.
New York prescht mit kostenlosem WLAN an 10.000 Hotspots in der Stadt voran. Warum ist Deutschland nicht Vorreiter?
New York investiert dafür 200 Millionen Dollar. WLAN in Städten wird eines der großen Themen in diesem Jahr sein. Mein Kabinettskollege Sigmar Gabriel wird ein Gesetz zur Störerhaftung vorlegen, das die Haftungsfragen klärt. Das wird eine neue Dynamik beim WLAN-Ausbau beflügeln. Ich habe die Netzallianz Digitales Deutschland ins Leben gerufen. Die daran beteiligten innovations- und investitionswilligen Unternehmen werden allein in diesem Jahr acht Milliarden Euro in den Breitbandausbau in Deutschland investieren.
Zusätzlich werden die Unternehmen für die 700-Megahertz-Frequenz bieten, die der Bund im ersten Halbjahr versteigert. Damit lassen sich Daten über besonders große Entfernungen übertragen. Mit welchen Einnahmen rechnen Sie?
Ich rechne mit einem Milliardenbetrag, den wir erstmals wieder zurück in den Breitbandausbau investieren. Der Bundesfinanzminister hat zudem ein Investitionsprogramm von zehn Milliarden Euro angekündigt. Ich will, dass ein Teil davon ebenfalls in die digitale Infrastruktur fließt. Über die Höhe verhandeln wir gerade.
Mittelständler halten die Frequenzvergabe für ungerecht, weil sie keine Chancen gegenüber den Konzernen Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica hätten. Wäre es nicht sinnvoll, neuen Wettbewerbern den Zugang zu erleichtern?
Die Kritik ist nicht nachvollziehbar. Die Ersteigerung der Frequenz ist eine Sache. Danach müssen die Unternehmen erst noch weitere Milliarden in den eigentlichen Breitbandausbau investieren. Der Kapitalaufwand ist also enorm. Da braucht es starke Unternehmen. Im Gegenzug profitiert der Mittelstand davon, dass wir die Vergabeerlöse wieder zurückfließen lassen in die Digitalisierung.
"Wir müssen unsere digitale Souveränität zurückgewinnen"
Wie wollen Sie den Ausbau von Breitband in ganz Deutschland konkret fördern?
Entscheidend sind die weißen Flecken in Deutschland, wo sich Investitionen von Unternehmen in schnelle Internet-Versorgung wirtschaftlich nicht rechnen. Diese Lücke werden Länder und Bund mit Förderprogrammen schließen.
Und davon profitiert dann vor allem die Deutsche Telekom, an der der Staat noch mit 32 Prozent beteiligt ist?
Nein. Wir fördern den technologieoffenen Breitbandausbau, also die Vielfalt. Ob die Haushalte auf dem Land per Glasfaser, Kupferkabel oder Mobilfunk mit 50 Megabit pro Sekunde ans Internet angebunden werden, wird regional sehr unterschiedlich sein. Oftmals sind Kombinationen aus mehreren Technologien der richtige Weg. Die Kommunen werden entscheiden, welche Technik vor Ort tragfähig ist. Im Übrigen haben sich inzwischen viele regionale Anbieter etabliert, die kleinere Gemeinden erfolgreich mit Glasfaser versorgen.
Zeigen diese Beispiele nicht auch, dass der Breitbandausbau ganz ohne öffentliche Förderung funktionieren könnte?
Ganz ohne staatliche Unterstützung wird es nicht funktionieren. Aber wir setzen neben der finanziellen Förderung auch auf Vereinfachungen beim Ausbau. 80 Prozent der Kosten für den Breitbandausbau sind derzeit Grabungskosten. Ich arbeite an einer Verordnung, die beim Neubau von Straßen die Möglichkeit vorsieht, Leerrohre für Glasfaserkabel gleich mit zu verlegen. Das senkt die Ausbaukosten.
Die Kosten ließen sich auch durch neue Bautechnologien reduzieren. Beim Microtrenching fräsen Maschinen einen 20 Zentimeter tiefen Kanal in die Straßendecke. Viele Baubehörden lehnen das ab...
Microtrenching kann eine Lösung sein. Allerdings verletzt diese Technik geringfügig den Straßenaufbau. Das geht nur unter bestimmten Bedingungen.
Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger will den digitalen Binnenmarkt vorantreiben und den Konzernen durch laschere Regulierung unter die Arme greifen. Haben Sie dafür Verständnis?
Aufgabe muss sein, die Ertragskraft der Unternehmen zu erhöhen, damit sie ihre Zukunftsinvestitionen in Breitband finanzieren können. Die Investitionsleistung der Unternehmen ist in Deutschland pro Kunde nur halb so hoch wie in den USA.
Das hat Ihnen bestimmt Telekom-Chef Timotheus Höttges ins Ohr geflüstert...
Das sind objektive Daten. Wir haben Jahrzehnte der Regulierung hinter uns und ein hohes Maß an Wettbewerb erreicht. Fakt ist aber auch: Weder bei der Netzwerktechnologie noch bei Softwareunternehmen – mit einer großen Ausnahme – sind europäische Konzerne unter den Top Fünf der Welt. Europa braucht Unternehmen, die eine Innovationskraft wie Google entwickeln können. Wir müssen unsere digitale Souveränität zurückgewinnen.
"Ich plädiere dafür, die Roaminggebühren langfristig auslaufen zu lassen"
Was heißt das für die Politik?
Wir müssen europäische Marktkonsolidierung zulassen – wie letztes Jahr bei E-Plus und O2 geschehen. Eine Fusion kann zu Kostenvorteilen der Unternehmen und einer Stärkung der Kapitalisierung führen. Wir müssen uns an der Größe des europäischen Binnenmarktes mit seinen 350 Millionen Konsumenten orientieren.
Unterstützen Sie den Vorstoß der EU, die Roaminggebühren abzuschaffen?
Ich plädiere dafür, die Roaminggebühren langfristig auslaufen zu lassen. Das Ziel muss ein gemeinsamer Markt für Europa sein, wo es keine Unterschiede macht, ob sich jemand über Ländergrenzen bewegt.
Thema Netzneutralität: Sollten Unternehmen Daten priorisieren und unterschiedliche Preise verlangen können?
Ein diskriminierungsfreier Zugang zu allen Diensten muss auf jeden Fall gewährleistet sein. Aber es gibt Innovationen, die eine ständige gleichbleibende Qualität der Verfügbarkeit von Daten erforderlich machen. Solche Produkte muss man auch differenziert behandeln können. Denken Sie an die Automatisierung des Fahrens. Hier geht es um höchste Qualität, Sicherheit und den Schutz des Lebens. Diese Daten müssen Vorrang zum Beispiel vor Videostreamdiensten haben. Der beste Weg ist, ausreichend Netzkapazitäten aufzubauen.
Autonomes Fahren wird in den USA erprobt. Verpasst Deutschland den Anschluss?
Der Wert der Autos wird künftig immer mehr von der Software als von der Motorleistung abhängen. In weniger als zehn Jahren sehen wir eher Computer auf Rädern als Fahrzeuge mit Netzanschluss. Die Autoindustrie hat das erkannt und arbeitet an ihren Softwarekompetenzen.
Aber die deutschen Hersteller testen in Kalifornien, nicht auf deutschen Straßen. Warum ist Deutschland nicht Testfeld?
Wir müssen zunächst die rechtlichen Voraussetzungen für teil- und vollautonomes Fahren schaffen. Zum Beispiel ist die Haftungsfrage ungeklärt. Im Ministerium tagt ein runder Tisch automatisiertes Fahren mit Wissenschaftlern und Industrievertretern, um die wichtigsten Fragen zu klären.
Haben Sie nicht ein mulmiges Gefühl, sich autonom fahren zu lassen?
Nein, schon heute geben wir die Hoheit über das Fahren ab – in manchen U-Bahnen sogar teilweise komplett an die Technik. Und außerdem: Automatisiertes Fahren wird ja nicht zur Pflicht.