Arbeit im Alter „Niemand sollte den Weiterbildungs-Willen Älterer unterschätzen“

Sind Fortbildungen im Alter sinnvoll? Quelle: Getty Images

Trotz Fachkräftemangels konstatieren Forscher eine Scheu, langjährige Beschäftigte weiter zu qualifizieren. Sie fordern: Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssten umdenken.

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Besser Englisch zu sprechen, wäre schon gut. Wichtig, um ehrlich zu sein. Seit das Unternehmen, für das Bärbel Schäfer Forschungsförderanträge bearbeitet, Fachkräfte aus allen vier Himmelsrichtungen beschäftigt, fühlt sich die Münchner Verwaltungsangestellte im Hintertreffen. Die Neuen sprechen, so erscheint es ihr, fließend Englisch, selbst wenn es nicht ihre Muttersprache ist, und gerade auch, wenn sie Fachbegriffe aus ihrem Tätigkeitsbereich benutzen. Sie selbst stottert dann unbeholfen herum. Doch Schäfer, die tatsächlich anders heißt, traut sich nicht, ihre Vorgesetzte um eine Fortbildung zu fragen.

Das Pensum an Aufgaben in den vier Arbeitstagen pro Woche zu bewältigen, auf die die 55-Jährige schon vor Jahren reduziert hat, ist ohnehin schwierig genug. Wenn sie nun auch noch eine Woche oder gar zwei wegen eines Sprachkurses ausfällt, bleibt noch mehr liegen. In Bayern hat Schäfer als einzigem Bundesland neben Sachsen nicht einmal gesetzlichen Anspruch auf Bildungsurlaub. Also schweigt sie und wurstelt sich weiter durch. In der Hoffnung, dass der Fachkräftemangel auch in Verwaltungsberufen ihre sprachlich gewandtere Konkurrenz um ihren Posten für die nächsten paar Jahre vom Hals hält. Mit 60 spätestens will sie ohnehin ganz aufhören.

Deutschland soll eine „Weiterbildungsrepublik“ werden. So hat es Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD formuliert. Zugleich gilt Alter als eine der Kerndimensionen der oft geforderten Diversity in Betrieben. Doch in der Realität spielt Altersdiversität häufig eine Nebenrolle. Junge Talente gewinnen und fördern ist im sogenannten War for Talents für viele Unternehmen oberstes Ziel. So bleiben Beschäftigte wie Schäfer auf der Strecke.

Ältere Fachkräfte sollen länger arbeiten – sie werden gebraucht. Doch die Realität ist: je größer das Unternehmen, desto goldener die Brücken in den Frühruhestand. Das muss sich ändern – und so denken Firmen um.
von Karin Finkenzeller, Florian Kistler, Niklas Hoyer

Melanie Ebener kennt solche Situationen aus zahlreichen Branchen und weiß deshalb auch um ihre Brisanz. „Es kann ein Teufelskreis eintreten, wenn ich denke, in ein paar Jahren ist eh Schluss, ich mache nichts mehr“, sagt die Arbeitspsychologin, die seit mehr als zehn Jahren an der Bergischen Universität Wuppertal zum Thema „Übergang in die Rente“ forscht. „Ich glaube schon, dass es da manchmal ein gegenseitiges Signalisieren gibt von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und am Ende sind alle froh, wenn einer geht. Da muss mindestens eine Seite entgegenwirken, am besten natürlich beide.“

Seit 2009 gehört Ebener zum Forschungsteam, das im Abstand von etwa drei Jahren ältere Erwerbstätige aus der Babyboomer-Generation zu Arbeitsbedingungen und Erwerbsverläufen befragt sowie zu den persönlichen Motiven hinter der Entscheidung, das Erwerbsleben zu verlassen oder nicht. Die derzeit noch andauernde vierte Befragungs-Welle der repräsentativen Studie „lidA – leben in der Arbeit“ fühlt deutschlandweit bis zu 9.000 Erwerbstätigen der Jahrgänge 1959, 1965 und 1971 auf den Zahn.

Die endgültigen Ergebnisse werden erst im Laufe des Jahres vorliegen. Aber zwei Trends zeichnen sich bei den Hemmnissen zur Weiterbildung Älterer bereits ab: Die Aussage „lohnt nicht mehr in meinem Alter“, treffe nur bei einem einstelligen Prozentsatz der Befragten zu, steige allerdings mit 63 deutlich an, sagt Ebener. „Ich nehme an, dahinter steckt das Kalkül, ich mache noch ein, zwei Jahre, ich muss nicht mehr großartig investieren als Arbeitnehmer", so die Forscherin. Der prominenteste Grund war hingegen die Antwort der Befragten, dass ihnen keine inhaltlich passenden Angebote gemacht worden seien. „Ich verstehe das nicht so, dass die Gefragten meinen, schon alles zu wissen. Aber man hat so vieles schon besucht. Und das, was standardmäßig angeboten wird, löst das Problem auch nicht.“ Eine Office-Schulung von der Stange etwa.

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Die Wuppertaler Wissenschaftler hatten Zugang zum Datensatz der Bundesagentur für Arbeit. Unter Anwendung eines aufwendigen Datenschutzkonzepts durften sie aus den jeweiligen Jahrgängen per Los Personen ziehen und befragen.

In der vorhergegangenen Befragung von 2018 hatten 60 Prozent der zum Zeitpunkt der Erhebung etwa 53 oder 59 Jahre alten Studienteilnehmer angegeben, dass sie in den 12 Monaten vor der Befragung an betrieblicher Weiterbildung teilgenommen hatten. Durchschnittlich waren es knapp 18 Stunden, der Median liegt bei 8 Stunden. Dabei hätten sich 40 Prozent der Befragten gewünscht, mehr betriebliche Weiterbildung zu erhalten.

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