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Beim Impfen läuft einiges schief in Deutschland. Quelle: dpa

Dieser Wahlkampf hat auch Ihre Gesundheit gefährdet

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Aus Angst vor dem Stimmverhalten der Impfgegner hat die Politik wertvolle Zeit verloren. Und die Idee eines Exinnenministers wurde sträflich ignoriert.

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Stell dir vor, es ist seit zwei Jahren Corona, und keiner hat was gelernt. Gerade überrollt die vierte Welle das Land, und die Verantwortlichen wirken ungefähr so schlecht vorbereitet, als wär’s die erste. Wieder wird hektisch nachgebessert, wieder führt der föderale Freestyle zu einem Flickenteppich der Regulierung, wieder schlagen die Intensivstationen Alarm. Der Abgesang der Ampel auf die epidemische Notlage gilt als schwerer Fehler, der faktisch drohende Lockdown für die Ungeimpften wirkt wie der Offenbarungseid eines chronisch scheiternden Krisenmanagements.

Selten wurde in einer Notlage so viel wertvolle Zeit verspielt wie in der aktuellen Pandemie. Kaum etwas illustriert das besser als die bundesweite Impfwoche Mitte September. Die kam ähnlich harmlos daher wie eine Aktionswoche für Mülltrennung. Und sie kam nur einmal und noch dazu viel zu spät. Während in Frankreich der Präsident seine impfmüden Citoyens längst zu den Nadeln gerufen hatte, genoss das Berliner Establishment erst untätig die Sommerfrische, um danach im Wahlkampf bloß keinen Impfgegner mit offensiven (2G-)Maßnahmen zu verschrecken und ins Lager der AfD zu treiben. Nicht nur, aber vor allem die CDU fürchtete sich vor dieser Bewegung, vertagte härtere Maßnahmen und machte diese Bundestagswahl aus gesundheitspolitischer Sicht zur teuersten aller Zeiten.

Dabei hätte sich dieser fatale Zielkonflikt zumindest entschärfen lassen. Egal, ob Schneechaos oder Entführungen, in jeder Krise richtet dieses Land einen Krisenstab ein – nur in einer Pandemie nicht. Seit Längerem fordert Exinnenminister Thomas de Maizière die Einsetzung eines permanent operativen, nationalen Krisenstabs mit Wissenschaftlern und Landesvertretern. Sie sollen der Politik Entscheidungsgrundlagen liefern.

De Maizières Vorschlag wird ignoriert, obwohl das ganze Land die Inkonsistenz des Regierungshandelns beklagt. Nun fordern auch 35 Mediziner und Wissenschaftler in einem Brandbrief die Schaffung eines Krisenstabs. Doch wieder hört niemand zu. Föderalismus und Freiheitsdebatte stehen im Weg.

Laut Grundgesetz ist die Würde des Menschen unantastbar, seine körperliche Unversehrtheit geschützt – aber eben nicht nur vor staatlichen Eingriffen, sondern vor allen äußeren Bedrohungen. Stell dir vor, es ist Freiheit, und keiner geht hin – weil zu viele auf der Intensivstation liegen.

Mehr zum Thema: So ginge es besser: Dank einer Hauruckaktion von Unternehmern, Politik und Hilfsorganisationen kann sich Bremen als deutscher Coronaimpfmeister feiern. Das Beispiel zeigt, wie blockiert das Krisenmanagement des Bundes ist.

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