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Schafe greifen nicht nach den Sternen

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Egal, ob Corona, Flüchtlinge oder Fortschritt, Angst lähmt das Denken der Deutschen. Das sind keine guten Nachrichten für ihre Zukunftsfähigkeit.

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Der schwarze Freitag ist nicht für alle schwarz. Als vor einer Woche an den Börsen die Panik vor dem Coronavirus um sich greift , stürmt die Anlegerherde den Ausgang. Nur ein paar wenige bleiben stehen und überlegen kurz: Trifft dieser Crash wirklich alle Aktien? Nein. So liefert etwa Teamviewer Lösungen für Videokonferenzen und Fernzugriffe auf Computer – ideal in einer Welt ohne Dienstreisen. Der Kurs schießt nach oben.

Willkommen in der Welt der mutigen Optimisten. Willkommen in der Welt der wenigen. Denn auch diese Krise belegt einmal mehr, dass Angst die meisten Menschen zu Schafen reduziert. Alle rennen blind allen hinterher. Das unorthodoxe Denken in Zukunftschancen ist nicht programmiert.

Die Deutschen gelten als besonders anfällig für dieses Verhalten. Über die „German Angst“ wurde viel geschrieben. Die Bloß-keine-Experimente-Mentalität hält unter anderem Kanzlerin Angela Merkel seit einer gefühlten Ewigkeit an der Macht. Und nicht nur das. Kaum ein Viertel der Bevölkerung schaut laut einer Umfrage optimistisch in seine ökonomische Zukunft. Nur Franzosen und Japaner schaffen schlechtere Werte. Die Amerikaner liegen dagegen bei 43, die Chinesen bei 69 und die Inder gar bei 77 Prozent.

Die gefühlte Wohlstandsdämmerung führt hierzulande zur kollektiven Unterwerfung unter das Prinzip der Besitzstandswahrung. Sie verwandelt jede Veränderung in eine Bedrohung, die konstruktive Gedanken im Keim erstickt. Prompt führt Corona zu sinnentleerten Hamsterkäufen, die Flüchtlingskrise zu wahnhaften Umsturzgelüsten, Digitalisierung und E-Autos zum Glauben an ein Jobmassaker. Der große Wurf stirbt in diesem Klima einen schnellen Tod. „Das Silicon Valley ist uns deshalb so haushoch überlegen, weil dort ein ganzes Ökosystem tagtäglich nach dem Unmöglichen sucht“, schreibt im „Handelsblatt“ Professor Günther Schuh, der das Aus für den E-Lieferwagen Street-Scooter betrauert.

Niemand plädiert hier für Leichtsinn, aber für eine differenzierte Zuversicht. Jede Krise geht mal zu Ende, jede Technologie entfaltet helle Seiten – und dann zeigt sich, wer sich rechtzeitig richtig positioniert hat. Man darf nicht in die Hände derjenigen fallen, „die Deutschland nach den Sparkassen-Regeln führen“, formuliert es Schuh. Mut kommt in dem Regelwerk nicht vor. Schafe greifen ja auch nicht nach den Sternen – höchstens freitags die schwarzen.

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