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Während alle Gewerkschaften für eine Homeoffice-Pflicht trommeln, winkt der Beamtenbund DBB ab, „weil die Aufgaben und die technische Ausstattung es nicht zulassen“. Quelle: imago images

Wie glaubwürdig ist der Staat noch?

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Egal, ob Homeoffice, Frauenquote oder Compliance, der Staat erhöht den Regulierungsdruck auf die Wirtschaft – aber erfüllt die Ansprüche oft selbst nicht.

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Achtung, diese Geschichte ist unglaublich, aber wahr. Ein Mitarbeiter eines Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts wird ohne Arbeitsmittel ins Homeoffice geschickt. Seinen privaten Computer darf er allerdings aus Datenschutzgründen nicht nutzen. „Drucken Sie sich aus, was immer Sie daheim lesen können“, meint der Chef.

Willkommen in der Offlinerepublik Deutschland. Die Politik verschärft den Lockdown zur Bekämpfung der Coronakrise. Sie stellt Unternehmer an den Pranger, weil sie angeblich ihre Mitarbeiter nicht ins virusfreie Homeoffice entlassen. Doch in den eigenen Amtsstuben regiert oft eine archaische Präsenzkultur, werden zum Beispiel in Gesundheitsämtern die Coronainfektionen teilweise noch gefaxt oder über Weihnachten gleich liegengelassen. Während alle Gewerkschaften für eine Homeoffice-Pflicht trommeln, winkt der Beamtenbund DBB ab, „weil die Aufgaben und die technische Ausstattung es nicht zulassen“.

Selbstverständlich gibt es auch vorbildliche Behörden und Ministerien, aber eben viel zu wenige. Womit wir bei einem Grundproblem der Regierungsarbeit wären. Corona bläht die Macht der Staatswirtschaft auf und verstärkt zusätzlich den Regulierungsdruck auf die private Wirtschaft. Die gesetzlichen Ansprüche an eine zeitgemäße, nachhaltige und mitarbeiterfreundliche Unternehmensführung steigen laufend. Doch wenn der öffentliche Sektor trotz jahrelang boomender Steuereinnahmen nicht erfüllt, was er vom privaten Sektor verlangt, leidet die Glaubwürdigkeit massiv.

Dabei stecken die Staatsangestellten längst nicht nur in der Homeoffice-Falle. So provozierte etwa die Privatwirtschaft die Frauenquote nicht allein. Seit Jahren wächst der Anteil weiblicher Führungskräfte auch in den Ämtern und Bundesanstalten viel zu langsam. Und die Compliance-Situation hält mit den Erfordernissen einer modernen Managementkultur nicht in Ansätzen Schritt – was sich bei den zockenden Finanzaufsehern in der Wirecard-Affäre oder der fragwürdigen Beschaffung überteuerter Schutzmasken von Gesundheitsminister Jens Spahn zeigte.

In den Privatfirmen wäre die Akzeptanz von Regulierungen höher, wenn der Staat mit gutem Beispiel voranginge. Noch sind die Fortschritte mitunter bescheiden. Der besagte Mitarbeiter eines Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts erhält im zweiten Lockdown ein Notebook zur Verfügung gestellt – das Modell ist zwölf Jahre alt.

Mehr zum Thema: Bund und Länder haben beschlossen, eine Homeoffice-Pflicht wo immer möglich durchzusetzen. Dabei schickt gerade der Staat Mitarbeiter bislang selten ins Homeoffice: In vielen Ämtern und Behörden herrscht Präsenzkultur.

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