Berliner Weihnachtsmarkt Wir sind Berliner

Der Gefühlsausbruch und die Solidarität mit den Opfern ersetzt nicht die klare Analyse der Tat. Zurückhaltung ist unsere schärfste Waffe.

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Berlin nach Lkw-Todesfahrt unter Schock

Nun also Deutschland, nun also wir. In diesen Stunden verdichten sich die Anzeichen, dass es das gezielte Werk von Terroristen war, dem am Montagabend ahnungslose Menschen in Berlin brutal zum Opfer gefallen sind. Und es macht sich das Gefühl der Hilflosigkeit breit, des Ausgeliefertseins, der Ohnmacht: Ein Weihnachtsmarkt an einem zentralen Platz in Deutschland, zur beliebtesten Ausgehzeit, kurz vor dem Fest, das hierzulande als eines der wenigen religiösen Ursprungs vielen noch immer etwas bedeutet. Wer plant und führt einen so perfiden Anschlag aus, und wer kann uns davor schützen?

"Wir sind Berliner", rufen wir in einem Ausbruch von Solidarität.

Gerade wegen allem Entsetzen, aller Trauer, aller Wut und allem Mitgefühl mit den Opfern und ihren Müttern, Vätern, Kindern und Freunden ist es gut, jetzt auf einen bewährten Rechtsstaat zu setzen. Einen, in dem sich kein Despot aufschwingt und eine Verhaftungswelle inszeniert. Einen, in dem keiner Armeen in Gang setzt und Vergeltung übt. Einen, in dem die demokratischen Kräfte zusammenstehen und mit dem Werkzeugkasten des wehrhaften Staates die Lage unter Kontrolle bringen können.

Große Terroranschläge in Europa

Zuallererst schlägt die Stunde der Ermittler. Ihre Aufgabe ist es, die Tat und ihre Hintergründe aufzuklären und uns allen detailliert darüber Auskunft zu geben. Nur Fakten können Gerüchten widerstehen, Geheimniskrämerei wäre bei einer solchen Tat, die ein Land und seine Menschen so erschüttert, völlig fehl am Platz.

Nach den Ermittlern sind es die Richter, die über die Täter und ihre Helfer urteilen müssen. Es wird Anwälte und Staatsanwälte und ein Urteil im Namen des Volkes geben, und all das ist besser als jedes Schnellgericht.

Aber es gibt nach einer solchen Tat auch von der ersten Stunde an die Frage, ob etwas schief gelaufen ist, dass das möglich war? Warum hat kein Geheimdienst dieser Welt die Situation rechtzeitig einschätzen können? Wie konnte der Todesfahrer unerkannt bis ins Herz Berlins dringen?

Es sind die Fragen nach einer Sicherung im System, die unsere Art zu Leben schützen soll. Die Antworten werden vielstimmig sein, ihr wahrscheinliches Ergebnis wird lauten, dass vor einer gezielten Attacke kein absoluter Schutz möglich ist.

Es ist diese Einsicht, die uns am Ende helfen kann, die Empörung im Zaum zu halten und die Trauer zu überwinden. Es wird die nüchterne Arbeit der professionellen Aufklärer sein, die uns weiter bringt als jede Frage nach einer möglichen Mitschuld unter garantiert Unschuldigen. Der Empfindsame, so formulierte es der Schriftsteller Berthold Auerbach, ist der Waffenlose unter lauter Bewaffneten. Jenen, die uns mit den Mitteln ihres schmutzigen Krieges erschüttern wollen, mit kühlem Kopf entgegenzutreten, wird unsere stärkste Waffe bleiben.



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