Der entscheidende Grund dürfte aber vor allem die weitverbreitete Ansicht sein, dass die Fruchtbarkeit der Bürger durch familienpolitische Maßnahmen ohnehin kaum beeinflussbar ist. „Wir mussten bescheidener werden nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre“, sagt Krings. „Es wäre unredlich, wenn wir behaupteten, wir könnten durch politisches Handeln wieder zu einer Geburtenrate von mehr als zwei Kindern im Durchschnitt pro Frau kommen.“ Tatsächlich wurde manche Hoffnung bitter enttäuscht. Die von der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen im Herbst 2006 angekündigte „bevölkerungsorientierte Familienpolitik“ ist mittlerweile ad acta gelegt. Denn ihr Lieblingsprojekt, das Elterngeld, konnte die Geburtenzahl vermutlich kaum steigern. Mittlerweile bestreitet auch ihre Nachfolgerin Kristina Schröder, dass dies jemals das Ziel des Elterngeldes gewesen sei. Im Gesetzestext blieb es – vorsorglich – unerwähnt.
Ist also tatsächlich Resignation angebracht? Nein. Die Politik könnte durchaus etwas bewirken, da sind sich die meisten Experten einig. Die „Arbeitsgruppe Zukunft mit Kindern“ der Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stellt fest, „dass die Verbesserung von Infrastrukturangeboten und die Erhöhung von Geldleistungen die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung für Kinder erhöhen können.“ Allerdings seien diese Zusammenhänge „äußerst komplex“. Im Klartext: Nur an einer Stellschraube zu drehen, also etwa das Elterngeld einzuführen oder das Kindergeld zu erhöhen, reicht nicht.
Wirtschaftspolitik ist demografisch entscheidend
„Es gibt wirksame Instrumente für eine Demografiepolitik mit demokratischen Zielen und Mitteln“, sagt Herwig Birg. Aber bisher habe das eben noch keine deutsche Nachkriegsregierung ernsthaft und konsequent versucht. Dabei habe Deutschland sogar das Potential für eine der höchsten Geburtenraten in Europa. Aber nicht die klassische Familienpolitik, sondern Wirtschafts- und Sozialpolitik seien die entscheidenden Hebel, sagt Birg. Er schlägt zum Beispiel vor, Eltern bei der Besetzung von Arbeitsplätzen bei gleicher Eignung zu bevorzugen.
Für Birg die wichtigste und längst überfällige Maßnahme: „Vor allem müssten die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Reform der Sozialversicherung angemessen umgesetzt werden.“ Von diesen seit Jahren politisch ignorierten Urteilen ist bezeichnenderweise in der Demografiestrategie überhaupt keine Rede. Die entsprechenden Forderungen des „Aktionsbündnis Familie“, die Kindererziehung als gleichwertige Beitragsleistung in die Rentenversicherung einfließen zu lassen, bleiben bislang völlig wirkungslos. Und das obwohl dadurch ein vom Bundesverfassungsgericht festgestelltes Unrecht beseitigt würde. Ebenso unerfüllt bleibt die durch das „Pflegeversicherungsurteil“ von 1990 gestützte Forderung, das steuer- und sozialabgabenfrei gestellte Existenzminimum pro Kind und pro Jahr von 7008 Euro an das von Erwachsenen anzupassen (8.004 Euro).
An konstruktiven Vorschlägen für eine demografiebewusste Politik mangelt es wahrlich nicht – auch wenn man beim Lesen der Demografiestrategie diesen Eindruck gewinnen könnte. Der Deutsche Familienverband fordert etwa einen „Solidaritätsfonds demografischer Wandel“, in den alle noch verfügbaren Überschüsse der Krankenkassen und Sozialversicherungen einfließen. Diese Mittel sollten dann in den Kommunen für Kinderbetreuungsangebote und andere kinderfreundliche Maßnahmen eingesetzt werden.