Bildungsbericht 2022 So viele Fachkräfte fehlen in deutschen Kitas und Schulen

Der Bedarf steigt: Heute besuchen gut 280.000 mehr Unter-Drei-Jährige eine Kita als noch im Jahr 2010. Quelle: dpa

Deutschland, Bildungsrepublik? Zwar ist der Personalzuwachs an Kindertageseinrichtungen und Hochschulen gewaltig. Doch diese drei Grafiken zeigen: Das reicht noch lange nicht aus.

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Bildung, sagen Politiker gern, sei in einem rohstoffarmen Land die wichtigste Ressource. Die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel rief 2008 die „Bildungsrepublik Deutschland“ aus. Im Laufe ihrer Regierungsjahre geriet das allerdings ein wenig in Vergessenheit. Deutschland schneidet in Bezug auf die Chancengerechtigkeit seines Bildungssystems im internationalen Vergleich oft schlecht ab.

„Wer für gute Schulen sorgt, macht immer auch die grundlegendste Wirtschaftspolitik überhaupt – dieses Bewusstsein fehlt leider meistens“, sagt Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Das habe damit zu tun, dass die bedeutende Rolle von Lehrerinnen und Lehrern zu wenig gesehen würde, sie nicht ausreichend Wertschätzung genössen. Aber auch damit, dass Weiterbildung und Teamarbeitskultur oft Fremdwörter seien. Wie steht es also um das Bildungspersonal in Deutschland? Die Frage hat gerade der 9. nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2022“ in den Fokus genommen. Ein Ergebnis: Quantitativ gesehen sehen auf den ersten Blick einige der Zahlen gewaltig aus.

So verzeichneten Kindertageseinrichtungen seit 2010 einen Personalzuwachs von 75 Prozent. An den Hochschulen arbeiten im Vergleich inzwischen 25 Prozent mehr Lehrkräfte. Allerdings beschäftigen die Einrichtungen heute vor allem mehr Personal, weil auch mehr Kinder beziehungsweise Studierende sie besuchen. Das heißt auch: Qualitativ hat sich kaum etwas verändert.



So werden in Tageseinrichtungen deutlich mehr Kinder betreut als vor gut zehn Jahren. Besuchten 2010 gerade etwas mehr als 400.000 Unter-Drei-Jährige eine Kita, sind es heute gut 680.000 Kinder. Bezogen auf den gleichen Zeitraum werden heute auch knapp 286.000 Kinder mehr zwischen drei und sechs Jahren betreut. Nach wie vor sind die Betreuungsquoten in den ostdeutschen Bundesländern am höchsten.

Ähnlich sieht die Entwicklung an den Hochschulen aus: Gut 2,9 Millionen Studierende 2020 stehen etwa 2,2 Millionen Studierenden 2010 gegenüber. Das Betreuungsverhältnis hat sich daher – trotz des großen Personalaufbaus – weder an Hochschulen noch an Kitas bedeutend verbessert, wie der Bildungsbericht betont.

Zudem fällt auf, dass es in Berufsschulen und unter den Ausbildern und Ausbilderinnen keinen Personalzuwachs gegeben hat. Viele Handwerksvertreter kritisieren schon lange, dass überproportional mehr Geld in die akademische als in die berufliche Ausbildung investiert würde, es in vielen Berufsschulen an moderner Ausstattung fehle – und Unterricht ausfalle, weil es zu wenig Lehrkräfte gebe.

Trotzdem fällt der Personalengpass an beruflichen Schulen, so beschreibt es der Bildungsbericht, noch am geringsten aus. Dort fehlen bis 2030 gut 13.000 Lehrkräfte, weniger als an den allgemeinbildenden Schulen, wo es mehr als 17.000 Lehrerinnen und Lehrer sind. Vor allem aber zeigt sich weiterhin ein großer Bedarf in Kitas – und in der Ganztagsbetreuung für Grundschüler.



Denn Familien haben von August 2026 an einen Anspruch, ihre Grundschulkinder der ersten Klassenstufe ganztägig betreuen zu lassen. Dieser Rechtsanspruch wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet, von August 2029 an gilt er für jedes Grundschulkind. Es ist noch ein Projekt der vorigen Bundesregierung, um es Familien zu erleichtern, Kinder und Berufstätigkeit zu vereinbaren.

Doch bislang fehlt dafür vielerorts die Infrastruktur, inklusive der Menschen, die diese Aufgabe übernehmen sollen. Fast bis zu 66.000 Fachkräfte werden gebraucht werden.

Eine bessere Ganztagsbetreuung ist auch ein Baustein, mit dem die alte und die neue Regierung mehr Frauen überzeugen wollen, aus Teilzeit- in Vollzeitstellen zu wechseln. Wenn alle Frauen, die nicht nur Teilzeit arbeiten wollten, auch Vollzeit arbeiten könnten, sei das auch gut für die Fachkräftesicherung und das Rentensystem, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gerade im Interview mit der WirtschaftsWoche: „Die Frauenerwerbsbeteiligung muss steigen.“



Das könnte auch für das Bildungspersonal selbst gelten: Auffallend ist der noch immer nahezu durchgehend hohe Frauenanteil, der, zu dem Schluss kommt der Bildungsbericht, im letzten Jahrzehnt noch weiter zugenommen hat. Auch die Teilzeitquoten sind vergleichsweise hoch: Selbst an allgemeinen Schulen, den Einrichtungen mit der höchsten Quote, arbeiten nur 55 Prozent des Lehrpersonals in Vollzeit.

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