Bruttoinlandsprodukt Warum die deutsche Wirtschaft erstmals seit 2015 schrumpft

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt fiel von Juli bis September um 0,2 Prozent zum vorangegangenen Vierteljahr. Quelle: dapd

Die deutsche Wirtschaftkraft ist erstmals seit dreieinhalb Jahren wieder schwächer geworden – um 0,2 Prozent. Warum geht Tempo verloren? Und droht jetzt eine Rezession? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Der deutsche Daueraufschwung verliert in seinem neunten Jahr an Tempo. Im Sommer schrumpft die Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt sinkt nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes im dritten Quartal gegenüber dem zweiten Vierteljahr um 0,2 Prozent.

Warum verliert die deutsche Wirtschaft an Tempo?

Nach Einschätzung von Ökonomen hat vor allem die für Deutschland so wichtige Autoindustrie die Konjunktur von Juli bis September ausgebremst. „Die Automobilindustrie zieht wegen WLTP die Produktionsnotbremse und bringt den deutschen Konjunkturzug vorübergehend nicht nur zum Stillstand, er rollt sogar etwas rückwärts“, erläutert KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. Der neue Abgas-Prüfstandard (WLTP) gilt seit September in der EU. Deutsche Hersteller hatten das Prüfverfahren jedoch nicht rechtzeitig für alle Fahrzeugtypen durchlaufen, sie mussten daher die Produktion drosseln.

Was bremst Europas größte Volkswirtschaft noch?

Die Exportnation Deutschland leidet unter schwächerer Nachfrage nach Produkten „Made in Germany“. Vor allem die von den USA angeheizten Handelskonflikte schlagen zunehmend durch. „Die Abkühlung der Exporte im dritten Quartal war fast greifbar“, beschrieb der Präsident des Außenhandelsverbandes (BGA), Holger Bingmann, jüngst die Lage. Aus Sicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) drohen der Weltwirtschaft wegen der aggressiven Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump deutlich trübere Zeiten.

Droht jetzt eine Rezession?

Nach gängiger Definition ist von einer Rezession die Rede, wenn die Wirtschaftsleistung zwei Quartale in Folge sinkt. Mit einem derartigen Einbruch rechnen Ökonomen jedoch nicht. Schon im vierten Quartal dürfte der deutsche Konjunkturzug wieder Fahrt aufnehmen, „jedoch ohne das hohe Tempo der jüngeren Vergangenheit sobald wieder zu erreichen“, sagt Zeuner voraus. Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), verweist auf die nach wie vor gut gefüllten Auftragsbücher der Unternehmen. „Für das Schlussquartal rechnen wir daher mit einem deutlichen Wiederanziehen der Wirtschaftsleistung.“ Auch die „Wirtschaftsweisen“ sehen keine „akute Gefahr“ einer Rezession.

Gleiches gilt für die Bundesregierung. „Der Aufschwung wurde im dritten Quartal nur unterbrochen“, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium in seinem Monatsbericht. Ohne die Probleme der Autoindustrie bei der die Umstellung auf den neuen Abgasprüfzyklus WLTP hätte es ein erneutes Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegeben. „Mit zunehmender Auflösung des Zulassungsstaus wird sich der Aufschwung bereits im Jahresschlussquartal fortsetzen“, erklärte das Ministerium.

Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sieht trotz des jüngsten Rückgangs der Wirtschaftsleistung in Deutschland keinen Grund zum Konjunkturpessimismus. „Ausschläge der Zahlen nach oben und unten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Der Wirtschaftsaufschwung in Deutschland und im Euroraum bleibt intakt.“ Das geringere Wachstumstempo sei ein Ausdruck der gestiegenen Auslastung von Kapazitäten und zunehmender Engpässe am Arbeitsmarkt.

Was stützt die Konjunktur?

Die Konsumlust der Verbraucher hält nach Einschätzung von Ökonomen die deutsche Wirtschaft am Laufen. „Die Stimmung der Konsumenten ist nicht zuletzt wegen des exzellenten Arbeitsmarktes und deutlicher Lohnzuwächse weiterhin auf sehr hohem Niveau“, argumentieren Ökonomen der Deutschen Bank. Zwar schwächelte der Privatkonsum im dritten Quartal. BayernLB-Experte Stefan Kipar führt dies aber auf die Probleme in der Autoindustrie zurück. „Die verminderte Auslieferung von Automobilen hat statistisch auch zu der Eintrübung des privaten Konsums geführt.“ Kaufwillige Kunden hätten teilweise nicht die Möglichkeit gehabt, ihr Wunschauto zu bekommen und den Kauf verschoben.

Grundsätzlich scheinen die Verbraucher aber weiter in Konsumlaune. „Offenbar unbeeindruckt von externen Risiken wie Handelskonflikt und Brexit sind die Konsumenten bereit, ihr Geld auszugeben“, heißt es in der jüngsten Konsumklimastudie des Nürnberger Marktforschers GfK. Denn Sparen sei angesichts extrem niedriger Zinsen nach wie vor keine attraktive Alternative.

Was belastet die Aussichten?

Sorgen bereiten die internationalen Handelskonflikte. Die Streitigkeiten zwischen den USA und China drücken bereits das Wachstum der wichtigen chinesischen Volkswirtschaft. Deutsche Exporteure, Autobauer und andere Investoren müssen sich auf magerere Zeiten im Reich der Mitte einstellen. China ist ein wichtiger Markt für Waren „Made in Germany“. Hinzu kommen die Unwägbarkeiten des Brexits sowie die Schuldenpolitik des Eurolandes Italien, die zu Turbulenzen an den Finanzmärkten führen könnte.

Wie geht es weiter?

Das hohe Tempo des Boomjahres 2017 wird Europas größte Volkswirtschaft wohl nicht halten können. „Wirtschaftsweise“ Wirtschaftsforschungsinstitute, internationale Organisationen sowie die Bundesregierung senkten zuletzt ihre Konjunkturprognosen für dieses und das kommende Jahr auf teilweise deutlich unter zwei Prozent. 2017 war die deutsche Wirtschaft noch um 2,2 Prozent gewachsen. „Unserer Einschätzung nach wird es weiterhin beim Aufschwung bleiben, aber mit vermindertem Wachstumstempo“, sagte Christoph M. Schmidt, Chef des Beratergremiums der Bundesregierung, jüngst. Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank Gruppe argumentiert, die aktuelle Konjunkturschwäche passe in das übliche Muster von Phasen steigender und fallender Wachstumsraten. „Um es einmal positiv auszudrücken: Ab und an eine kalte Dusche verhindert eine Überhitzung und macht einen Aufschwung länger haltbar.“

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