Wahlkampf Warum sich die Bürger immer wieder teure Geschenke andrehen lassen

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Statt Steuersenkungen mehr soziale Gerechtigkeit

Zwar will jeder Deutsche im Kleinen Steuern sparen, ob nun bei der Putzfrau oder mit Steuersparmodellen. Doch eine allgemeine Senkung der Steuerlast würden die Bürger eher als unkonkrete Maßnahme wahrnehmen, sagt Korte – im Gegensatz etwa zu höheren Renten, mehr Elterngeld oder besseren Kitas als fassbare Aufwertung des eigenen Lebens.

Deshalb verhielt sich Martin Schulz durchaus politökonomisch, als der frisch gekürte SPD-Kanzlerkandidat statt Steuersenkungen unverzüglich „mehr soziale Gerechtigkeit“ einforderte.

Die Union empörte sich. Aber mit welcher Berechtigung eigentlich? Schließlich hat sie in den vergangenen dreieinhalb Jahren eine soziale Wohltat nach der anderen mit beschlossen – von der vorzeitigen Rente mit 63 Jahren über die Reform der betrieblichen Altersversorgung bis zur Ost-West-Rentenangleichung plus den von der CSU verlangten Ausbau der Mütterrente. Alles Milliardenausgaben mit einem klaren Ziel: Angela Merkels CDU beim Thema Soziapolitik, einem Kernanliegen der Sozialdemokraten, für die nächste Wahl unangreifbar zu machen.

Hier schmeißt der Staat das Geld zum Fenster raus
Das Schwarzbuch 2017/18, herausgegeben vom Bund der Steuerzahler Deutschland. Quelle: dpa
Münchner Maximilianeum Quelle: dpa
Schutzwürdige Bäume in Hameln Quelle: dpa
Wohncontainer für Flüchtlinge Quelle: dpa
Bundestag Quelle: dpa
Frankfurt am Main Quelle: dpa
Ehrenbürg-Gymnasium in Forchheim Quelle: dpa

Dieser wohl einmalige Dauerwahlkampf über eine ganze Legislaturperiode hinterlässt tiefe finanzielle Spuren in Deutschland. Allein die Rentengeschenke kosten die Steuer- und Beitragszahler bis 2030 wohl weit mehr als 250 Milliarden Euro. Dafür hätte man allen Bundesbürgern ein Jahr lang komplett die Lohnsteuer oder die Mehrwertsteuer erlassen können.

Theoretisch.

Praktisch findet sich in der Bilanz der großen Koalition so gut wie keine Steuerentlastung – abgesehen von minimalinvasiven Einzelmaßnahmen wie der Anhebung der Grundfreibeträge bei der Einkommensteuer. Die kam aber auch nicht ganz freiwillig zustande, sondern durch Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Zahlen und Schweigen

Erreicht die steuerliche Belastung mal wieder Rekordwerte, bricht sich kurz Empörung Bahn. Aber eben nur kurz. Schon bald darauf spricht kaum noch jemand über Steuern und Abgaben. Die Masse der Bürger zahlt und schweigt. Und die Politiker? Sie schweigen auch lieber. So dürfte es wieder sein, wenn die offiziellen Steuerschätzer am 11. Mai ihre nächste Prognose bekannt geben und wie in den vergangenen sieben Jahren steigende Steuereinnahmen verkünden dürften.

Dieses Schweigekartell kann vielleicht niemand so gut erklären wie ein distinguierter österreichischer Herr mit grauen Haaren. Ernst Fehr, 60, ist einer der renommiertesten Ökonomen der Welt, er gilt als Anwärter auf einen Nobelpreis. Sein Spezialgebiet an der Uni Zürich ist die Verhaltensforschung, und der Steuerzahler an sich ist für ihn ein besonders faszinierendes Studienobjekt.

„Es gibt Millionen von Steuerzahlern, aber sie sind leider eine sehr schlecht organisierte Lobby“, sagt Fehr. Der Grund: Meist ließen sich die Bürger vom Gefühl leiten. Und das lässt sich manipulieren, etwa durch Versprechen an klar umrissene Wählergruppen. Wähler wiederum würden meist den Umkehrschluss nicht bedenken: Zeigten sich Politiker nämlich gegenüber jeder Klientel freigiebig, müssten am Ende doch alle die hohe Rechnung begleichen.

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