Nach einem Medienbericht über die Überwachung ausländischer Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) hat sich der Geheimdienstexperte der Union, Clemens Binninger (CDU), verwundert über den Aufschrei der Opposition geäußert. Das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste (PKGr) habe nach einer Untersuchung einer Task-Force in der BND-Affäre schon Mitte 2016 in einem öffentlichen Bericht dargelegt, „dass in der Vergangenheit auch Medien in die strategische Fernmeldeaufklärung geraten waren“, sagte der PKGr-Vorsitzende der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Diese zurückliegende Praxis des BND sei damals parteiübergreifend zu Recht stark kritisiert worden, sagte Binninger. Die Politik habe daraus aber bereits Konsequenzen gezogen. Im Ende 2016 verabschiedeten neuen BND-Gesetz gebe es deswegen „eine ganze Reihe von Verbesserungen, die den Schutz von Deutschen und auch von EU-Bürgern deutlich verbessert“ hätten. „Die gezielte Überwachung und das Erfassen von EU-Bürgern ist mit dem neuen Gesetz nicht zulässig“, sagte der CDU-Politiker. Ausnahmen seien nur denkbar, „wenn zum Beispiel ein unmittelbarer Terrorbezug besteht - was sich angesichts von mehr als 3000 IS-Kämpfern aus der EU nicht ganz ausschließen lässt“, sagte Binninger. Hinzu komme das neu geschaffene und mit hochrangigen Juristen besetzte Unabhängige Gremium, das Entscheidungen über Abhöraktionen prüfe. Deutsche Bürger sind per Gesetz grundsätzlich auch im Ausland vor Ausspähung durch den deutschen Auslandsgeheimdienst geschützt.
Die absurdesten Spionage-Ziele
Diese Webadresse gehört ibau, einem Dienstleister im Baubereich, der unter anderem eine Datenbank für Bauprojekte und Ausschreibungen unterhält und den jährlichen ibau-Fachkongress veranstaltet. Der war gerade wieder vor drei Wochen im alten Bundestag in Bonn. Wohlgemerkt: Im ALTEN(!) Bundestag – also eigentlich kein Grund, gleich den Geheimdienst zu schicken. Ibau wiederum gehört zur Schweizer Docu-Gruppe, die auf Bau-Fachinformationen spezialisiert ist. Die Docu-Tochter Baumarktforschung Deutschland GmbH schürft besonders tief: Ihre Informationen betreffen Straßen-, Ingenieur-, Brücken- sowie Garten- und Landschaftsbau. Ein Manager von Ibau hat nicht mehr zurück gerufen nach einem ersten freundlichen Gespräch. Ist nicht schlimm, hat sich erledigt!
Klingt gefährlich, ist aber eine legal arbeitende Werbeagentur aus Berlin. Geschäftsführer Sven Barth erfuhr durch den WiWo-Anruf, dass er gerade eine Rolle im Geheimdienst-Skandal spielt. Sein Erklärungsversuch: Vielleicht sei der „provokante Name“, den er seiner Agentur bei der Gründung 1999 gab, irgendwie im Raster der Fahnder hängen geblieben. Das passt! Aber warum interessieren die Schlapphüte sich dann auch für seniorenheim.com und orgelbau.com? In die USA eingereist ist Brandstifter Barth übrigens nach dem Anschlag aufs World Trade 2001 problemlos – und kam unbehelligt wieder heraus.
Erich Katschke, Schriftführer der Freiwilligen Feuerwehr in Ingolstadt, geht beim unerwarteten Anruf von wiwo.de erst mal auf Nummer sicher, ob wir uns nicht verwählt haben: „Meinen Sie vielleicht die Berufsfeuerwehr?“ Als ob die Berufs-Kollegen immer schon im Verdacht der Geheimdienste gestanden hätten. Aber nein: Laut der Liste im „Spiegel“, von der Katschke noch nichts wusste, interessieren sich BND und NSA nicht für die Ingolstädter Lösch-Profis, sondern ausschließlich für die 1863 gegründete Freiwillige Feuerwehr. Sie werden ihre Gründe haben. Oder auch nicht.
Das schwierigste Gespräch von allen: Eigentlich sollte die Telefonnummer, die die Homepage im Impressum angibt, Hartmut Dicke gehören. Der soll Inhaber des marxistisch-leninistischen, vielleicht auch trotzkistischen – oder maoistischen? – Verlages sein. Aber Dicke, der unter dem Pseudonym Klaus Sender sendete, sei 2008 „unter ungeklärten Umständen verstorben“, raunt eine weibliche Stimme am Telefon. Wie die Dame heißt, sagt sie nicht. Wem der Verlag jetzt gehört, fragen wir. Antwort: „Den Nachfolgern.“ Wer das ist? Keine Antwort. Die Neue Einheit ist jedenfalls KPD-nah und mit seeeehr weit links richtig eingeordnet. Ob der Verfassungsschutz die Redaktion schon mal im Visier hatte? „Das müssen Sie den Verfassungsschutz fragen“, sagt die weibliche Stimme am Telefon. Aber ist das wirklich ein Fall für die Internationale der Auslandsgeheimdienste oder für eine andere Anstalt?
Hier stoßen wir bei der Recherche auf andere Geheimnisse. Die beiden Telefonnummern auf der Website führen ins Nichts. Urheber der „Website of german organ builders“ ist ein Heiko R. mit Adressen in Nordrhein-Westfalen und der Schweiz. Aber Thomas Jann, Vorsitzender des Bundes Deutscher Orgelbauer, kennt den vermeintlichen Kollegen nicht. Janns Verdacht: „Vielleicht hat sich da einer eine Web-Adresse gesichert und will sie verhökern.“ Warum das aber BND und NSA interessieren sollte? Keine Ahnung. Wir bleiben dran.
Ist das 25-Mann-Unternehmen aus Buchholz im Erzgebirge ein Fall für Industriespionage? Es ist immerhin ein Hidden-Champion der deutschen Wirtschaft. Feine Schmuck- und Uhrenkassetten aus dem Hause Sacher stehen in Juwelier-Geschäften und Nobel-Kaufhäusern in 42 Ländern, unter anderem bei Harrods in London. Und Unternehmerin Gerhild Sacher weiß: „Wenn man in der ersten Liga mitspielen will, geht das nur über Qualität. Die Chinesen können es billiger.“ Aber spioniert haben laut der NSA-Liste nicht die Chinesen, sondern Deutsche und Amerikaner. Sohn und Mit-Geschäftsführer Ulf Sacher kommt im Gespräch spontan ein Verdacht: „Vielleicht sind die ja wegen unserer Exporte in die Arabischen Emirate und an den Persischen Golf auf uns aufmerksam geworden.“ Aber was konnten sie dann bei dem Unternehmen finden? Sacher meint: „Nichts.“
Geschäftsführer Reiner Ebner hat wie alle Betroffenen erst durch wiwo.de erfahren, dass ausgerechnet sein Pflegezentrum im bayrischen Bischofsgrün ins Visier der Geheimdienst NSA und BND geraten sein soll. Auf die skeptische Frage, welche Klientel denn so wohne in seinem Haus „am Fuße des Ochsenkopfes in idyllischer Waldrandlage“, fällt Ebner aber nichts Verdächtiges ein: „Ganz normale pflegedürftige Leute, viele davon Sozialhilfeempfänger“, sagt er. Vielleicht suchten die Geheimdienstler ja auch im Eigeninteresse einen Platz für die Jahre nach dem stressigen Dienst? Die große Sonnenterrasse des Pflegezentrum verführt laut Seniorenheim-Homepage schließlich „zum Entspannen“, und man kann dort die „Seele baumeln lassen“.
Nach einem „Spiegel“-Bericht hatte der BND von 1999 an ausländische Journalisten unter anderem in Afghanistan, Pakistan und Nigeria überwacht. Laut Dokumenten, die das Nachrichtenmagazin einsehen konnte, führte der deutsche Auslandsgeheimdienst mindestens 50 Telefon- und Faxnummern oder Mail-Adressen von Journalisten oder Redaktionen in seiner Überwachungsliste als eigene sogenannte Selektoren. Der BND wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern.
Unter den Spähzielen seien mehr als ein Dutzend Anschlüsse der britischen BBC in Afghanistan und in deren Zentrale in London, zudem seien Redaktionen des internationalen Programms BBC World Service überwacht worden, heißt es weiter. Auf der Liste standen demnach ein Anschluss der „New York Times“ in Afghanistan wie auch Anschlüsse von Mobil- und Satellitentelefonen der Nachrichtenagentur Reuters in Afghanistan, Pakistan und Nigeria. Vertreter von Journalistenorganisationen sowie von Grünen und Linken äußerten scharfe Kritik am Vorgehen des BND.
Das Unternehmen
friedrich30 ist eine Beraterfirma, die vom ehemaligen Staatssekretär und SPD-Politiker Fritz Rudolf Körper und dem Unternehmensberater Sebastian Warnemünde gegründet wurde. Das Unternehmen versteht sich als Netzwerk aus Politik und Wirtschaft, das Firmen und Menschen aus Bund und Ländern zusammenbringt. Die Schwerpunkte liegen auf Lobbying und Business Development.
Binninger wollte sich nicht zu Einzelfällen äußern. Er betonte, auch für Medienvertreter gelte: „EU-Bürger und deutsche Bürger sind geschützt.“ Gleichwohl könne der BND nicht bei jeder ausländischen Handy-Nummer oder E-Mail-Adresse sofort erkennen, ob es sich um einen Medienvertreter handele.
Denkbar sei auch, dass Nummern von Journalisten bei der Überwachung einer anderen Telefonnummer mit auftauchten. „In diesen Fällen muss dann im Nachhinein und im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob die Erkenntnisse zum Beispiel einen Bezug zu Terror haben und ob es verhältnismäßig ist“, sagte Binninger. Eine andere Möglichkeit bestehe kaum, denn von vornherein alle Telefonnummern von ausländischen Journalisten auszuschließen, sei „ein Ding der praktischen Unmöglichkeit“.