Die CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft will auch Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) vor dem Untersuchungsausschuss zum „Cum-Ex“-Skandal vernehmen. „Um die Wahrheit ans Licht zu bringen“, müsse der enge Vertraute von Olaf Scholz und frühere Hamburger Staatsrat für auswärtige Angelegenheiten als Zeuge in den Ausschuss geladen werden, sagte der Sprecher der Bürgerschaftsfraktion im Ausschuss, Götz Wiese, am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Die CDU-Fraktion werde dies zeitnah beantragen. Bundeskanzler Scholz soll am kommenden Freitag ein zweites Mal vor dem Ausschuss aussagen.
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) will den Vorwurf einer möglichen Einflussnahme führender SPD-Politiker auf die steuerliche Behandlung der in den „Cum-Ex“-Skandal verwickelten Warburg Bank klären. Hintergrund sind Treffen des damaligen Bürgermeisters und jetzigen Bundeskanzlers Scholz mit den Mitinhabern der Bank, Christian Olearius und Max Warburg, in den Jahren 2016 und 2017.
Gegen Olearius liefen damals schon Ermittlungen wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung in Zusammenhang mit „Cum-Ex“-Geschäften, die darauf angelegt sind, sich beim Aktienhandel unrechtmäßig Steuern erstatten zu lassen.
Nach den ersten Treffen hatte das Finanzamt für Großunternehmen 2016 mit Ablauf der Verjährungsfrist zunächst auf Rückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro verzichtet. Weitere 43 Millionen Euro wurden 2017 erst nach Intervention des Bundesfinanzministeriums eingefordert.
Scholz hatte die Treffen eingeräumt, bei seiner ersten Vernehmung im Ausschuss aber angegeben, sich an den Inhalt der Gespräche nicht erinnern zu können. Eine Einflussnahme auf das Steuerverfahren schloss er aus. In seiner Sommerpressekonferenz in Berlin hatte der Kanzler am Donnerstag erneut alle Vorwürfe im Zusammenhang mit dem „Cum-Ex“-Skandal zurückgewiesen.
Peter Tschentscher, Scholz' Nachfolger im Rathaus, war zur fraglichen Zeit Finanzsenator. Er hatte im November 2016 - gut eine Woche vor der Entscheidung der Finanzbehörde, die zu Unrecht erstatteten Steuern nicht zurückzufordern - ein Schreiben von Olearius an die Finanzverwaltung weitergeleitet. Darin hatte Olearius die Rechtsauffassung der Bank, dass die Rückforderung unbegründet sei, vertreten.
Er habe das Schreiben auf Empfehlung der Steuerverwaltung mit der Bitte um Informationen zum Sachstand weitergeleitet, sagte der Bürgermeister am Freitag im Sommerinterview von NDR 90,3 und Hamburg Journal. Der Vorwurf des früheren Finanzsenators Wolfgang Peiner (CDU), der dies am Donnerstag vor dem PUA als Beginn der Einflussnahme bezeichnet hatte, sei falsch. „Alle Zeugen haben bestätigt, dass es keine politische Einflussnahme gegeben hat. Und deswegen sollte man das irgendwann auch mal zur Kenntnis nehmen“, sagte Tschentscher.
Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag, um Kapitalertragssteuern mehrfach vom Fiskus erstattet zu bekommen. Am Tag vor der Dividendenzahlung ist diese im Aktienkurs mit eingepreist. An der Börse spricht man von einem Kurs „cum Dividende“.
Am Tag nach der Ausschüttung, in der Regel einen Tag nach Hauptversammlung, die die Dividendenzahlung beschließt, ziehen die Börsenbetreiber die Dividende vom Kurs ab, das heißt die Aktie wird „ex Dividende“ gehandelt. Von Banken bekamen die Aktienkäufer und -verkäufer eine Bestätigung, die Kapitalertragsteuer abgeführt zu haben, was sie beim Fiskus mehrfach steuerlich geltend machten - obwohl sie so nicht gezahlt hatten.
Ein Beispiel: Die Banken verkaufen die Aktien leer an einem „cum“-Tag, müssen sie aber wegen der Börsenregelungen erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Sie beschaffen sich die Papiere also nach dem Dividendenstichtag zum „ex“-Preis – also ohne Dividende – von einem Dritten und liefern diese Aktien an den Käufer. Dabei parallel abgeschlossene Kurssicherungsgeschäfte, die Risiken ausschließen, sichern den Gewinn aus der Transaktion.
Papiere werden rund um den Dividendenstichtag – meist der Tag der Hauptversammlung – schnell hintereinander ge- und wieder verkauft. Leerverkäufer verdienen, wenn der Aktienkurs bis zum Liefertermin gefallen ist und sie so die Aktien billiger kaufen können, als sie sie verkauft haben.
Generell wird auf die gezahlte Dividende Kapitalertragssteuer fällig. Im geschilderten Konstrukt ließen sich sowohl der Käufer als auch der jeweilige Dritte, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten, die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten. Die Finanzämter zahlten so mehr Steuern zurück, als sie zuvor eingenommen hatten.
Im Wesentlichen nutzten Banken und Profianleger wie Fonds oder Börsenhändler den Steuertrick mittels Dividendenstripping.
Für Privatanleger sind Cum-ex-Geschäfte zu aufwendig, zumal es sich bei kleinen Anlagesummen kaum rechnet. Sie hätten nur geringe bis keine Chancen gehabt, an solchen Deals zu verdienen.
Banken und Investoren nutzten bestimmte Eigenheiten der Abwicklungssysteme an den Börsen, aber auch steuerrechtliche Besonderheiten – und das offensichtlich über Jahre hinweg und mit Wissen von Bund, Ländern und Finanzbehörden. So erklärte der Bundesfinanzhof das Dividendenstripping bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1999 für grundsätzlich rechtens. Geschlossen wurde das Schlupfloch aber erst 2012 durch eine Neuregelung der Nachweispflichten.
Wiese warf der SPD hingegen vor, Informationen zurückzuhalten. „Die Rolle des SPD-geführten Senats bei der Entscheidung, die Steuern von Warburg nicht zurückzuverlangen, bleibt völlig unklar“, sagte er. „Es ist erschütternd zu sehen, wie SPD-Politiker auf ganzer Linie mauern, zuletzt wieder Bundeskanzler Scholz in der Bundespressekonferenz.“
Scholz habe sich trotz wiederholter Nachfrage „um die Antwort gedrückt“, ob er seine Treffen mit den Bankiers auch mit Johannes Kahrs, damals Bundestagsabgeordneter und SPD-Kreisvorsitzender in Hamburg-Mitte, vorbereitet habe, sagte Wiese. „Johannes Kahrs lehnt jede Stellungnahme ab. Man kann sich kaum vorstellen, dass die dem Ausschuss bislang vorgelegten Informationen aus dem SPD-Umfeld vollständig sind.“
Gegen Kahrs, den früheren Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk (SPD) und eine für Warburg zuständige Beamtin im Finanzamt für Großunternehmen ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln. Ihnen wird Begünstigung zur Steuerhinterziehung im „Cum-Ex“-Zusammenhang vorgeworfen. Bei einer Durchsuchung im vergangenen Jahr waren bei Kahrs über 200 000 Euro in bar in einem Schließfach gefunden worden.
Der Obmann der SPD im PUA, Milan Pein, warf seinerseits CDU und Linken vor, den Überblick zu verlieren und sich „in immer neuen Behauptungen und Spekulationen“ zu verlieren, für die jeder Beweis fehle. „Über 50 Zeug:innen aus unterschiedlichen Ämtern, Behörden und Abteilungen haben unabhängig voneinander sehr deutlich gemacht, dass es keine politische Einflussnahme auf das Steuerverfahren der Warburg Bank gegeben hat“, sagte er.
Der PUA untersuche einen komplizierten Sachverhalt, in dem Gründlichkeit gefragt sei. „Vorschnelle und voreingenommene Spekulationen tragen nicht zur Aufklärung bei“, sagte Pein. „Ich erwarte, dass die Opposition zur ernsthaften Sacharbeit zurückkehrt.“
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