Elitenforscher Michael Hartmann „Die globalisierte Wirtschaftselite ist eine Legende“

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„Die vorgeblichen Brutstätten der globalen Elite sind auch eine Legende“

Es gibt also eine Diskrepanz zwischen dem pseudoglobalen Selbstbild und der faktischen nationalen Gebundenheit der Manager?

Ja. Die Selbstsicht nimmt die kulturelle Gebundenheit nicht wahr. So etwas wird nicht reflektiert. Man sieht sich selbst als globale Manager. Vor allem, weil man sich mit den Generationen davor vergleicht, die viel seltener auf internationalen Dienstreisen waren. Zu der Entstehung der Legende kommt neben dem Eigeninteresse der Manager und ihrer Selbstwahrnehmung durchs viele Reisen noch die Verstärkung durch die Medienberichterstattung. Wer die These von der globalen Wirtschaftselite in allen Wirtschaftsressorts immer wieder liest, der wird in seiner Selbstsicht noch bestärkt.

Welche Rolle spielt die Hochschulausbildung der Wirtschaftseliten für deren globalistisches Selbstbild?

Die vorgeblichen Brutstätten der globalen Elite, etwa die London School of Economics oder die Harvard Business School, sind auch eine Legende. Von den CEOs der 1000 weltgrößten Unternehmen haben gerade einmal 19 an einer berühmten Business-School im Ausland studiert, davon fünf an der LSE. In Harvard waren zwar insgesamt 20, aber davon sind 16 US-Amerikaner. Die amerikanischen CEOs haben sehr oft an ihren eigenen Elite-Unis studiert, da gehört Harvard als Krönung natürlich dazu. Für die Franzosen haben die Grandes Écoles diese Funktion, für die Briten LSE, Oxford und Cambridge, für die Japaner die Big-Five-Unis. Aber dass ein Ausländer da studiert und CEO wird, ist eine Seltenheit. Wenn doch kommen diese meist aus kleineren Ländern, in denen es keine renommierten Unis gibt. Wenn deutsche Vorstandschefs im Ausland studiert haben, waren sie meist in St. Gallen in der Schweiz. Selbst kürzere Studienaufenthalte im Ausland sind in den Lebensläufen der Vorstandschefs selten. Fazit: Auch die Elitebildungseinrichtungen bleiben den Traditionen des eigenen Landes verhaftet.

Und die deutschen Management-Kaderschmieden?

Im Wesentlichen haben Vorstandschefs nach deutscher Tradition studiert, das heißt, sie kommen querbeet von allen möglichen deutschen Universitäten. Die privaten Business Schools wie die WHU und die EBS spielen keine Rolle. Selbst Absolventen von Provinzuniversitäten sind häufiger in Vorständen vertreten als die von privaten Business Schools. In den Vorständen der 100 größten deutschen Unternehmen sitzen z.B. drei Paderborner Absolventen und genau einer von der EBS. Von der WHU auch nur einer. Aber von der Universität Passau zwei. 

Welche politischen Folgerungen ziehen Sie aus Ihren Ergebnissen? Sollte die Wirtschaftselite anders behandelt werden?

Dieser vorauseilende Gehorsam der Politik gegenüber der Wirtschaftselite ist auf ganz vielen Gebieten nicht nötig. Wenn es zum Beispiel um die Begrenzung von Managergehältern oder die Steuergesetzgebung geht, muss man zunächst einmal feststellen: Es ist machbar, ohne dass die Spitzenmanager zuhauf das Land verlassen. Sie können zwar damit drohen, tun aber es faktisch nicht, weil es die unterstellten Ausweichmöglichkeiten für sie gar nicht gibt. Die Politik hat also viel mehr Handlungsmöglichkeiten, als man gemeinhin annimmt. Was man umsetzen will, hängt natürlich vom politischen Standpunkt ab, aber man kann die Debatte nicht einfach dadurch beenden, dass man sagt: Es geht sowieso nicht anders. Unternehmen können noch am ehesten woanders investieren. Aber auch da sind die Grenzen enger, als man annimmt, vor allem für die Firmenzentralen.  Beispiel Autoindustrie. So ein Geflecht von Kompetenz, wie es im Großraum Stuttgart existiert, kann man nicht beliebig verlegen. Gleiches gilt für das Silicon Valley. Die könnten sagen: Wir gehen nach Irland wegen der niedrigen Steuern. Aber dann haben sie nicht mehr die Anbindung an Stanford und Berkeley. Die informellen Netzwerke, die für Innovation und Produktivität entscheidend sind, bleiben gebunden an bestimmte Standorte. Darum ist das Drohpotential geringer, als es erscheint.

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