Finanzkrisen-Manager „Man muss zu viel radikaleren Mitteln greifen, als man vorhat“

Jörg Asmussen Quelle: Getty Images

Jörg Asmussen war während der Finanzkrise einer der wichtigsten deutschen Krisenmanager. Er erklärt, was sich aus der damaligen Zeit für heute lernen lässt – und warum wirtschaftspolitische Lösungen nun schwierig sind.

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Jörg Asmussen war während der Finanzkrise Staatssekretär im Bundesfinanzministerium – und damit einer der wichtigsten Krisenmanager der Bundesregierung. Später wechselte er ins Direktorium der Europäischen Zentralbank und danach zur Investmentgesellschaft Lazard. Ab April leitet der 53-Jährige den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Weil sich Asmussen gerade zwischen zwei Jobs befindet und wegen der Coronakrise keine persönlichen Termine wahrnimmt, ist sein „Kalender so entspannt wie seit Jahren nicht mehr“.

Herr Asmussen, fangen wir mit einer ganz grundsätzlichen Frage an: Wie muss man in einer schweren Krise reagieren?
Man muss radikal sein.

Wie radikal?
Auf jeden Fall muss man zu viel radikaleren Mitteln greifen, als man eigentlich vorhat. Ich kann mich noch gut an die Finanzkrise erinnern: Wenn wir anfangs ein Loch von X in der Bankbilanz hatten, waren es später in der Regel dreimal X. Damals haben wir in Deutschland Finanzinstitute nicht zwangsrekapitalisiert, wie es etwa die USA getan haben. Im Nachhinein ist klar, dass wir es auch hätten tun müssen.

Ist Deutschland im Jahr 2020 denn auf sehr radikale Maßnahmen ausreichend vorbereitet?
In der Geldpolitik gibt es weniger Spielraum als 2008/2009, weil alle wichtigen Notenbanken – so auch die Europäische Zentralbank – bereits seit Langem expansiv unterwegs sind. Die Hauptantwort muss deshalb dieses Mal von der fiskalpolitischen Seite kommen. Und dort ist Deutschland sehr gut aufgestellt. Weil wir dank jahrelanger Haushaltsüberschüsse über große finanzielle Möglichkeiten verfügen, kann die Bundesregierung so umfassende Maßnahmen ankündigen, wie sie es in der vergangenen Woche getan hat.

Reichen die denn?
Das weiß im Moment niemand. Ich gehe davon aus, dass es für betroffene Firmen bald nicht nur Kredite und Bürgschaften geben wird, sondern auch direkte Finanzhilfen. Aber auch die können wir uns erlauben. Für Länder, deren Ausgangssituation weniger komfortabel ist, gibt es den Rettungsschirm ESM mit seinen Instrumenten.

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Die Finanz- und die Coronakrise sind inhaltlich natürlich nicht vergleichbar. Aber sehen Sie auch andere, eher strukturelle Unterschiede zwischen damals und heute?
Da gibt es einige. Die Finanzkrise war für die meisten Menschen virtuell, die Coronakrise ist dagegen real, für einige sogar eine Überlebensfrage. Natürlich waren damals bestimmte Akteure wie Bankmanager, Bankenaufseher, Politiker und Journalisten stark involviert. Aber für die meisten Menschen war die Krise nicht greifbar. Nun sind alle betroffen. Weil die Krise so konkret ist, tragen die Leute die Entscheidungen allerdings auch mit – etwa im Hinblick auf die Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Und in finanzieller Hinsicht: Es sagt ja niemand, man solle jetzt bloß kein Geld für die Forschung an Impfstoffen ausgeben. Das war in der Finanzkrise fundamental anders. Die Akzeptanz für die Bankenrettungsprogramme war gering – und sie ist es heute immer noch.

Wie unterscheiden sich die ökonomischen Auswirkungen?
Damals war zunächst nur der Finanzsektor betroffen, daraus ergab sich dann ein Nachfrageschock. Heute trifft es sofort die gesamte Realwirtschaft – und es gibt einen simultanen Angebots- und Nachfrageschock. Deshalb sind auch die wirtschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Einbrechende Nachfrage kann der Staat kompensieren. Auf der Angebotsseite ist das viel schwieriger, weil sich der Ausfall einer Lieferkette kaum durch staatliche Maßnahmen beheben lässt.

Überrascht Sie, dass die meisten Länder selbst in der EU nun egoistisch handeln?
Viele Antworten werden derzeit unkoordiniert von den Nationalstaaten ergriffen. Ich verstehe, dass es nicht leicht ist, auf europäischer Ebene ein Gesamtkonzept gegen die Coronakrise zu entwickeln. Aber es gibt ja bislang nicht einmal gemeinsame deutsch-französische Antworten. Die wären aber zumindest ein Anfang, weil sich viele in Europa dann wahrscheinlich anschließen würden. Die Finanzkrise dagegen hat dem Multilateralismus einen Schub gegeben. Es gab eine neue Art der internationalen Kooperation wie die Gründung der G20.

Was werden die langfristigen Folgen der Coronakrise sein?
Für Prognosen ist es natürlich noch sehr früh. Ich glaube aber, dass sich zwei langfristige Trends dadurch verstärken werden: Erstens wird es eine beschleunigte De-Globalisierung geben, weil die Firmen ihre Lieferketten verkürzen. Davon kann Deutschland sogar profitieren, weil die Lohnkosten bei vielen Standortentscheidungen eine immer geringere Bedeutung bekommen. Und zweitens erleben wir gerade die Vorteile der Digitalisierung. Unzählige Firmen mit Millionen Arbeitnehmern erkennen, was sich alles von zu Hause erledigen lässt. Und Berufsgruppen wie etwa Notare werden damit konfrontiert, wie anachronistisch es ist, dass etwas nur beurkundet ist, wenn ein Stempel drauf ist. Wir werden deshalb in Deutschland eine beschleunigte Digitalisierung erleben.

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Halten Sie den Vorwurf an die Bundes- und Landesregierungen für begründet, dass sie zu spät auf die Coronakrise reagiert haben?
Was die aktuellen Krisenmanager am wenigsten gebrauchen können, sind superkluge Ratschläge von außen. Sicherlich hemmt der Föderalismus schnelle Entscheidungen, aber es ist in den vergangenen Tagen auch eine beeindruckende Dynamik an Entscheidungen entstanden.

Vielleicht kommt uns die Reaktion der Politik auch verspätet vor, weil es nicht leicht ist, zu erkennen, wann eine Krise wirklich ernst ist. Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Ihnen das damals klar wurde?
Das ist genau der Punkt: Diese eine Telefonkonferenz oder das eine Meeting hat es nicht gegeben. Sie dürfen nicht vergessen, dass Lehman Brothers an einem Wochenende verschwand und der Montag danach relativ ruhig war. Dann hat es etwa 14 Tage gedauert, bis sich die Schockstarre durch das globale Finanzsystem gefressen hatte. Erst dann war wirklich klar, dass es sich um ein systemisches, globales Problem handelt.

Wer waren damals die wichtigsten Krisenmanager in Deutschland?
Das Kanzleramt, die Bundesbank, die Finanzaufsicht BaFin und das Bundesfinanzministerium waren die entscheidenden Spieler. Die Krisenteams waren übrigens relativ klein, vielleicht gab es im Finanzministerium zwei Dutzend Leute. Aber das Prinzip, nur die Menschen zusammenzuziehen, die es wirklich für Entscheidungen braucht, hat gut funktioniert.

Wie sah in dieser Zeit Ihr Alltag aus?
Es war für alle Beteiligten auch eine physische und psychische Belastung. Oft waren wir erst um drei oder vier Uhr morgens zu Hause. Ich bin dann meistens um kurz vor sieben wieder aufgestanden, habe geduscht, mir frische Sachen angezogen und bin zurück ins Büro. Es gab auch Kollegen, die im Ministerium übernachtet haben. Ich wollte lieber im eigenen Bett schlafen, wohnte aber auch in Fahrraddistanz vom Ministerium entfernt.

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