In Zeiten geopolitischer Verwerfungen ist es wichtig, sich seiner wahren Freunde zu besinnen. Während man vor einigen Jahren noch die Hoffnung hatte, dass viele Handelspartner nur beste Absicht haben und wir von Freunden umgeben seien, scheint sich dies Hoffnung nicht zu erfüllen. Keineswegs sind alle Regierungen davon überzeugt, dass Außenhandel ein Positivsummenspiel ist und sein sollte, genauso wenig werden unsere Werte in sämtlichen Ländern geteilt. Das kann dramatische Konsequenzen haben, wie die beiden prominentesten Fälle im Folgenden zeigen.
Der bisherige Energielieferant Nummer 1 der Deutschen, Russland, hat sich fast vollständig von der zivilisierten Welt verabschiedet und dürfte auf absehbare Zeit keine Rolle im deutschen Außenhandel mehr spielen. Auch China als der zweitgrößte Exportmarkt Deutschlands – im Jahr 2021 exportierte die deutsche Wirtschaft Güter für knapp 104 Milliarden Euro nach China – und das wichtigste Bezugsland deutscher Importe bereitet zunehmend Probleme. Nicht nur die dortige Menschenrechtslage, sondern auch die zunehmende Orientierung des Reichs der Mitte nach innen sprechen dagegen, dass China noch lange eine derart bedeutende Rolle für den deutschen Außenhandel spielen wird. Man kann nur hoffen, dass der Prozess der Ablösung relativ störungsfrei und ruhig verlaufen wird.
Diese Trends machen deutlich, warum Politik und Wirtschaft in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen sich stärker um andere, eher ähnlich verfasste, Partner bemühen müssen. Es ist viel einfacher, Handel innerhalb der OECD, dem Club der Industrieländer, die zugleich überwiegend etablierte Demokratien sind, zu treiben, weil Konflikte in der Regel geräuschlos gelöst werden können. Das heißt natürlich nicht, die Beziehungen zu Ländern wie China oder Russland – von Extremsituationen abgesehen – grundsätzlich abzubrechen; das ginge gar nicht angesichts der Bedeutung, die nicht demokratisch verfasste Länder in der Rohstoffversorgung der Welt nach wie vor besitzen. Aber es gilt, vorsichtig und eben nicht so naiv wie im Falle Russland zu sein, in den wirtschaftlichen Beziehungen zu diversifizieren und gemeinsam mit befreundeten Partnern zu agieren.
Ein solcher Partner ist Australien, eine alte Demokratie und liberale Gesellschaft mit hohem Einkommen und großen Innovationspotential. Zugleich ist Australien einer der größten Rohstofflieferanten der Welt und einer der wenigen demokratisch verfassten dazu. Für die deutsche und andere europäische Volkswirtschaften könnte das Land eine wichtige Rolle nicht zuletzt bei der Bewältigung der Energiewende spielen.
Das europäisch-australische Verhältnis rückt deshalb zunehmend in den Blickpunkt; die Europäische Union (EU) und Australien verhandeln seit gut fünf Jahren ein Freihandelsabkommen; die Vorteile eines solchen Abkommens ergeben sich aus dem oben Gesagten, denn für beide sinken die Abhängigkeiten von China durch verstärkte bilaterale Beziehungen. Wie im Fall der EU nicht anders zu erwarten, gibt es noch ungelöste Fragen bei landwirtschaftlichen Produkten. Dennoch kann erwartet werden, dass das Abkommen zeitnah abgeschlossen wird.
Seit Jahren schon befinden sich darüber hinaus Wissenschaftler, Mitarbeiter von Think Tanks, die Politik und Vertreter der Wirtschaft in einem intensiven Austausch auf ganz verschiedenen Ebenen. Dabei werden auch interdisziplinäre Formate gewählt. In der abgelaufenen Woche fand zum Beispiel an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit dem Third Australia-Europe Economic Relations Dialogue ein solcher Austausch zwischen den Vertretern dieser Gruppen statt.
Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen dramatischen geopolitischen Ereignisse sowie der gerade laufenden Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen Australien und der EU diskutierten die Teilnehmer die wichtigsten wirtschaftspolitischen Herausforderungen, energie- und klimapolitische Fragen sowie das zunehmend wichtiger werdende Themenfeld des digitalen Handels. Es war das dritte Treffen in diesem Format; die ersten beiden fanden in Bologna (2018) und Adelaide (2019) statt. Solche Treffen sorgen neben der inhaltlichen Fokussierung auch für vertiefte vertrauensvolle Beziehungen der Teilnehmer auf individueller Ebene.
Besonders betont wurde in Jena die Bedeutung ähnlicher Wertesysteme für beide Partner, was die Zusammenarbeit fruchtbar macht. Diese Gemeinsamkeit wird nicht nur in Sicherheitsfragen relevant, sondern erleichtert auch die Zusammenarbeit auf Unternehmensebene im täglichen Geschäft. Es wird vermutlich wenige Konflikte zwischen den jeweiligen Unternehmen geben; und wenn dann stehen genügend Instrumente zur Streitschlichtung zur Verfügung. Auch wird kein Partner den anderen unterdrücken wollen, so wie es zuletzt China mit Australien und Litauen vorgeführt hat. Daneben spielt es eine Rolle, dass es beiden Ländern in einem Freihandelsabkommen leichter fällt, eigene Regulierungen und Produktstandards durchzusetzen.
Beide – Australien und die EU – können durch intensivere Handels- und Investitionsbeziehungen nicht nur ihre Abhängigkeit von China oder anderen Autokratien verringern, sondern ihre unterschiedlichen Stärken ausspielen. Gerade die deutsche Wasserstoffstrategie kann sehr davon profitieren, dass in Australien ein hohes Potential für die Produktion grünen Wasserstoffs besteht. Deutsche Unternehmen ihrerseits verfügen über Technologien, diesen Wasserstoff herzustellen. Dies ist ein Beispiel für die zunehmende Bedeutung Australiens für Deutschland, ein anderes wäre die Größe des australischen Marktes für deutsche Autobauer.
Damit ist aber nur ein Teil des Potentials intensivierter Beziehungen beschrieben. Man könnte über vertieften Austausch im Bildungswesen genauso nachdenken wie über höhere Mobilität der Arbeitskräfte (auch saisonal und zeitlich begrenzt), was sicherlich noch einfachere Visabestimmungen erforderte. Gemeinsam kann man zudem die westlichen Werte attraktiver für Dritte machen, wenn die Zusammenarbeit zu Erfolgen im Klimaschutz und anderen Themen führt. Wir sollten daher nichts unversucht lassen, unsere Beziehungen zum fünften Kontinent zu intensivieren.
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