Gas aus Russland Wie konnten wir von Putin so abhängig werden, Herr Gabriel?

Sigmar Gabriel Quelle: dpa

Deutschland importiert schon lange gigantische Mengen Gas aus Russland. Warum eigentlich? Der frühere Bundeswirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel antwortet auf die Frage der WirtschaftsWoche zur Energiepolitik.

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Sigmar Gabriel war als Minister und SPD-Vorsitzender über viele Jahre mitverantwortlich für die Energiepolitik der verschiedenen Bundesregierungen. Für eine ausführliche Analyse der deutschen Energieversorgung stellte ihm die WirtschaftsWoche diese zentrale Frage: Wie konnten wir von Putin so abhängig werden, Herr Gabriel? In seiner Antwort erinnert Gabriel an den damals herrschenden Zeitgeist der Liberalisierung und das gewachsene Vertrauen in Russland. Hier seine Antwort im Original:

„Im Jahr 2002 hat die Europäische Union einstimmig beschlossen, die Energiemärkte zu liberalisieren. Hinter diesem damals hoch populären Begriff steckte die Idee, dass in den verschiedenen Märkten der Staat und die Politik möglichst keine Rolle spielen sollte. Märkte – also Anbieter und Nachfrager – würden die Versorgungssicherheit effizienter und preiswerter herstellen, als der Staat dies könne. Auch in der Kommentierung der WirtschaftsWoche aus dieser Zeit finden Sie viele Beiträge Ihrer Redaktion, in der diese Liberalisierung nachdrücklich empfohlen wurde.

Natürlich steckte hinter dieser politischen Entscheidung ein massives wirtschaftliches Interesse der Unternehmen, die im Rahmen dieser Liberalisierung neue Geschäftsfelder für sich entdeckten.

Viele haben vor der Abhängigkeit vom russischen Gas gewarnt. Sie prallten an dem gewachsenen Netzwerk aus Politik und Wirtschaft ab. Zu stark die Interessen, zu niedrig der Preis, zu gut der Profit. Eine Spurensuche.
von Daniel Goffart, Florian Güßgen, Max Haerder

Dafür wurden dann EU weite Richtlinien erlassen, in deren Rahmen sich die Marktteilnehmer frei entscheiden konnten. Und natürlich entschieden sich die Unternehmen im Energiebereich für die preiswertesten Energieanbieter – und das war in hohem Maße russisches Pipelinegas. (Die Privatisierung der Gasspeicher war eine logische Folge dieser Liberalisierung.) Eine staatliche Einflussnahme auf die dann durch die Unternehmen selbst zu verantwortenden Lieferverträge sollte ausdrücklich unterbleiben!



Im Kern hat die gesamte Europäische Union damals die „Friedensdividende“ in der Energiepolitik überschätzt. Die Erfahrungen mit der Sowjetunion, die selbst in den dunkelsten Zeiten des kalten Krieges immer ihren Lieferverträgen nachgekommen war, wurden auf Russland übertragen. Und vermutlich liegt hier der eigentliche Fehler, denn zumindest wir Westeuropäer haben dabei übersehen, dass die alte SU eine Status-Quo-Macht und dadurch ziemlich berechenbar war. Russland dagegen ist eine revisionistische Macht mit entsprechender Unberechenbarkeit.

Heute wissen es natürlich „alle“ besser. Insbesondere die, die damals auf dem Altar der Liberalisierung die deutschen Staatsbetriebe der Energiewirtschaft privatisiert haben, die heute in nicht unwesentlichen Teilen ausländischen Staaten gehören (Tennet, Uniper, …) .“

Die ausführlich Rekonstruktion, wie Deutschland in diese Abhängigkeit vom russischen Gas geraten konnte, lesen Sie hier

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