Gemeindetag Steinmeier: „Antisemitismus trifft Deutschland im Herzen“

Rund 1000 Juden und Jüdinnen kommen zu einem bundesweiten Treffen in Berlin zusammen. Sie seien für Deutschland unverzichtbar, ruft ihnen der Bundespräsident zu.

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Der Gemeindetag in Berlin steht unter dem Motto „In Deutschland zu Hause“. Quelle: dpa

Die jüdische Gemeinde in Deutschland ist nach den Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein unverzichtbarer Teil des Landes, ihr Schutz eine zentrale Aufgabe des Staates. „Diese Republik ist nur dann vollkommen bei sich, wenn Juden hier vollkommen sicher sind“, erklärte der Bundespräsident zur Eröffnung des Jüdischen Gemeindetages am Donnerstag in Berlin.

„Dieses Land ist für uns alle nur dann ein Zuhause, wenn sich auch Juden hier zu Hause fühlen“, betonte der Bundespräsident bei der Eröffnung des Treffens mit mehr als 1000 Teilnehmern. Das Judentum habe die deutsche Geschichte mitgeschrieben und mitgeprägt – „vor und nach der Shoa.“

Unter dem Motto „In Deutschland zu Hause“ kommen bis Sonntag Mitglieder jüdischer Gemeinden aus dem ganzen Land zusammen. Dazu hat der Zentralrat der Juden Diskussionen, Lesungen und Podiumsgespräche geplant.

Das Vertrauen der Juden in Deutschland sei in den vergangenen Jahren brüchiger geworden, sagte Steinmeier. „Wer fürchten muss, dass er auf offener Straße angegriffen, beschimpft oder bespuckt wird; wer erleben muss, dass seine Kinder auf dem Schulhof verhöhnt werden, der wird das Vertrauen kaum aufbringen können, auf andere zuzugehen, sich zu öffnen und zu Hause zu fühlen.“

Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle und den vielen antisemitischen Angriffen müsse er als Bundespräsident feststellen: „Wenn Jüdinnen und Juden in dieser Weise angegriffen werden, dann ist diese Republik nicht vollkommen bei sich. Dann ist sie in ihrem Herzen angegriffen.“ Auch die Mehrheit muss verstehen, wenn das Recht und die Würde von Minderheiten bedroht werden. Antisemitismus sei ein Angriff auf die ganze Gesellschaft.

Zentralratspräsident Josef Schuster sagte, gegen die Radikalisierung von Rechts brauche es einen Wandel des gesellschaftlichen Klimas. Dazu gehöre, dass eine Minderheit ohne Angst in Deutschland leben könne. „Wir brauchen nicht nur einen Ausstieg aus der Kohle, sondern auch einen Ausstieg aus Rassismus und Antisemitismus“, sagte Schuster.

„Ideologisches Gift“

In Halle sei die Synagogentür der letzte Schutz, die letzte Barriere zwischen entfesseltem Hass, Gewalt, giftiger Ideologie und einer jüdischen Gemeinde gewesen, sagte Steinmeier. „Nach diesem mörderischen Angriff, einem Angriff, der zwei Menschen das Leben kostete, will ich nicht länger darüber diskutieren müssen, ob es notwendig ist, jüdische Einrichtungen an hohen Feiertagen mit der Polizei zu schützen„, sagte Steinmeier. „Es ist notwendig. Das ist traurig genug.“ Der Staat müsse dieser Notwendigkeit ohne Wenn und Aber Rechnung tragen.

Antisemitismus sei ein ideologisches Gift, „das sich immer neue Gewänder überwirft und neue Koalitionen eingeht – immer schon im Bund mit Nationalismus und Rassismus, aber auch anschlussfähig an andere Ideologien und Moden: an Frauenfeindlichkeit oder Homophobie, an Muslimfeindlichkeit wie auch an Islamismus, an Teile der Rapperszene oder den Rechtsrock.“ Es reiche dabei nicht, sich nur angewidert abzuwenden, sagte Steinmeier. Die Zahl der Menschen, die sich gegen Antisemitismus auflehnen, müsse unbedingt größer werden.

„Antisemitische Äußerungen sind kein Bürgerrecht. Und es fällt auch nicht unter das Recht auf freie Meinungsäußerung, antisemitische oder antizionistische Parolen als Kritik an der Politik Israels zu deklarieren“, betonte der Bundespräsident. Antisemitismus sei keine Meinung, sondern ein Ressentiment – egal aus welcher Ecke er komme. Begriffe wie „Vogelschiss“, „Schlussstrich“ und „Schuldkult“ gehörten ebenso dazu wie der verleumderische Mythos einer jüdischen Weltverschwörung.

Die jüdische Renaissance in Deutschland mit der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sei zum großen Teil ein Verdienst der jüdischen Gemeinden. Er würde sich wünschen, dass auch die Zahl jüdischer Stimmen in der deutschen Politik zunähmen. „Wir brauchen Sie, wir brauchen Ihre Erfahrung“, sagte der Bundespräsident.

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