Hochwasser Den Schutz vor der Sturzflut gibt es, nur ist er nicht bezahlbar

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Kommunen investieren nicht genug

Der Investitionsstau betrifft vor allem die Kommunen. Über die Hälfte der Infrastrukturmaßnahmen entfallen in Deutschland auf Städte und Gemeinden. Die Investitionslücke im Kommunalbereich – Straßen, Brücken, Kanäle – liegt je nach Rechenmethode zwischen 60 und 140 Milliarden Euro, und da sind die Zukunftsausgaben im Klimaschutz noch gar nicht eingerechnet.

Doch das Problem reicht tiefer. Nicht nur, dass der Staat zu wenig neu investiert. Zugleich verschlechtert sich der Zustand und sinkt der Wert vorhandener Infrastruktur. „Die Nettoinvestitionen sinken in den Kommunen seit über 20 Jahren“, kritisiert der Regionalökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf. Unter Nettoinvestionen versteht man die neuen Investitionen abzüglich der Abschreibung bestehenden Staatsvermögens. „Wir leben im kommunalen Bereich von der Substanz“, sagt Südekum. Dieser Befund gelte laut dem Ökonomen vor allem für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Teile Ostdeutschlands. Jenen Gebieten also, wo es in den vergangenen Jahrzehnten große Flutkatastrophen gegeben hat.



Ein Grund dafür ist ein toxischer Mix aus fehlendem Geld, fehlendem Fachpersonal in der Verwaltung und quälend langen Planungsverfahren. „Manche Bauämter sind personell mittlerweile gar nicht mehr in der Lage, eine rechtssichere Ausschreibung für größere Investitionen zu tätigen“, berichtet Ökonom Gornig. Seine Forderung: eine „konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Gemeinden im Infrastrukturbereich“.

Der erste Schritt müsse sein, die Planungskapazitäten zu erhöhen oder zumindest zu bündeln. Das könnte über spezielle Unterstützungsgesellschaften von Bund und Ländern für die Kommunen laufen, zum Beispiel im Rahmen der verfassungsmäßigen Gemeinschaftsaufgabe, die regionale Wirtschaftsstruktur zu verbessern. Gornig: „Diese Gesellschaften könnten Musterausschreibungen für bestimmte Infrastrukturmaßnahmen entwickeln, die Kommunen dann ganz oder teilweise übernehmen können.“

Pflichtversicherung für Wassergrundstücke

Auch Südekum fordert eine Investitionsoffensive – notfalls auf Pump: „Von Zukunftsinvestitionen etwa in den Klimaschutz profitieren auch nachfolgende Generationen. Von daher ist es ökonomisch und politisch nicht verwerflich, diese Ausgaben auch über neue Schulden zu finanzieren.“

Bereits Ende 2019 hatten das Institut der deutschen Wirtschaft und das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomik und Konjunkturforschung (IMK) in einer ungewöhnlichen Allianz das Konzept für einen „Deutschlandfonds“ vorgelegt. Über einen Zeitraum von zehn Jahren soll der Staat 450 Milliarden Euro bereitstellen, um die Investitionslücken bei Infrastruktur, Klimaschutz und Bildung anzugehen. Die Finanzierung ist allerdings gewagt: Sie soll über einen jährlichen Sonderhaushalt laufen – um die Schuldenbremse zu umgehen.

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Flutexperte Jensen warnt dagegen, sich nur den Gefahren zu widmen, die gerade die Nachrichtenlage bestimmen - und die anderen dabei zu vernachlässigen. Seine Sorge: Wer nun nur auf Starkregen schaut, vergisst womöglich die Hochwasser durch Schneeschmelzen. „Es gibt die Fehleinschätzung, dass solche Jahrhundertkatastrophen nur alle 100 Jahre kommen“, sagt er. Deshalb müsse auch darüber nachgedacht werden, ob bestimmte Wassergrundstücke überhaupt weiter besiedelt werden sollten. Und für die Schäden, die dann dennoch entstehen, womöglich auch durch unvorhersagbare Sturzfluten, hält er eine Solidargemeinschaft in Form einer Pflichtversicherung für denkbar.

Mehr zum Thema: Immobilien in hochwassergefährdeter Lage sind ein finanzielles Risiko. Diese Karten zeigen, wo die Risiken für Häuser besonders hoch sind.

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