Hohe Energiepreise „Die Realität hat die Bundesregierung widerlegt“

Die Zeit verrinnt und die Ampelkoalition verpasst womöglich die Chance längerer Atomlaufzeiten. Im Bild: Die beiden Kühltürme des bereits stillgelegten Kernkraftwerks Grafenrheinfeld. Quelle: dpa Picture-Alliance

Können längere AKW-Laufzeiten den Strompreis dämpfen? Ja, sagt CSU-Umweltexpertin Anja Weisgerber. Denn neben dem fehlenden Gas drohe auch ein Strommangel – und das treibe die Preise. Der Ampelkoalition wirft sie Verschleppung vor.

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WirtschaftsWoche: Frau Weisgerber, die Frage der Laufzeitverlängerung für die drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke ist immer noch nicht entschieden. Warum?
Anja Weisgerber: Seit Anfang März fordern wir die Bundesregierung auf, in dieser wichtigen Frage Klarheit zu schaffen. Daraufhin wurde dann von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke sehr schnell politisch entschieden, dass man einen Weiterbetrieb der drei AKW nicht braucht, weil es angeblich keinen Strommangel gäbe. Aber inzwischen hat die Ampel bemerkt, dass sie wohl etwas voreilig gehandelt hat, denn die Energieversorgung für den kommenden Winter ist alles andere als sicher.

Die Regierung sagt, es drohe kein Mangel an Strom, sondern nur ein Gasmangel.
Das hat Bundeskanzler Olaf Scholz sogar noch bei der letzten Regierungsbefragung im Bundestag am 6. Juli vehement behauptet. In der gleichen Woche jedoch hat der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller den Unternehmen bereits empfohlen, sich Notstromaggregate zu besorgen. Inzwischen haben wir nach der Knappheit beim Gas auch Rekordpreise für den Strom und die Bundesregierung ist plötzlich recht kleinlaut geworden – die Realität hat sie widerlegt.

Die Netzbetreiber sollen einen Stresstest durchführen, aber das Ergebnis lässt auf sich warten.
Ja, das ist auch nicht zu verstehen. Das Thema wird von der Ampelkoalition regelrecht verschleppt. Erst hieß es, dass der Stresstest Mitte August fertig ist, jetzt soll es erst im September Ergebnisse geben. Die Koalition ist in dieser Frage tief zerstritten und duckt sich weg. Dabei müsste man in dieser kritischen Lage viel schneller entscheiden – wir haben schon viel zu viel Zeit verloren. Als wir das Thema bei der von CDU und CSU beantragten Sondersitzung des Umweltausschusses am 24. August auf die Tagesordnung nehmen wollten, hat die Ampel das mit ihrer Mehrheit verhindert. Parlamentarisch faires Verhalten sieht anders aus.

Dr. Anja Weisgerber ist Rechtsanwältin von Beruf und sitzt seit Oktober 2013 für die CSU als gewähltes Mitglied des Bundeswahlkreises Schweinfurt-Kitzingen im Deutschen Bundestag. Seit 2021 ist sie Sprecherin für Umwelt und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Fraktion. Quelle: Tobias Koch

In der Diskussion ist ein so genannter Streckbetrieb der drei verbliebenen AKW. Hilft das über den Winter?
Auch die Option eines Streckbetriebs ist erst auf Druck der Union in Erwägung gezogen worden. Wir sollten nicht ohne Not voreilig auf den Betrieb von drei voll funktionsfähigen und sicheren Kraftwerken verzichten. Diese Anlagen werden von den Behörden der Länder kontinuierlich überwacht, man müsste bei einem befristeten Weiterbetrieb also auch keine Abstriche an der Sicherheit machen, wie so oft behauptet wird. Es gibt kein Sicherheitsvakuum, man will den Menschen nur Angst machen. Und für den Streckbetrieb braucht man auch keine neuen Kernbrennstäbe.

Die Bestellung neuer Brennstäbe dauert angeblich bis zu zwei Jahren …
… auch das wird oft behauptet, ist aber so nicht richtig. Das Bundeswirtschaftsministerium von Herrn Habeck hat schon Anfang März mit den drei Betreiberfirmen RWE, E.On und EnBW gesprochen – auch über die Beschaffung von Brennstäben. Staatssekretär Patrick Graichen hat mir dann auf meine schriftliche Frage hin geschrieben, dass gegebenenfalls eine Beschleunigung auf 15 Monate möglich ist. Die Kernkraftwerksbetreiber haben mitgeteilt, dass sie ihr Bestes geben würden, um möglichst schnell frische Brennelemente zu bestellen – aber eben nur, wenn es eine klare politische Entscheidung gibt. Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen und passiert ist nichts – für mich ist das keine Politik, sondern ideologisch motivierte Fahrlässigkeit.

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Nach den Gaspreisen explodieren auch die Strompreise. Könnte der Weiterbetrieb der drei AKW die Preise dämpfen?
Der Anteil der Kernkraft liegt 2022 bei rund 6 Prozent. Wenn man die Kernkraftwerke nun am Ende des Jahres vom Netz nimmt, sinkt das Stromangebot und der Druck auf den Preis wird weiter erhöht. Die Folge ist, dass wir im Winter – wenn die Sonne nicht so oft scheint und der Wind weniger weht – mehr Gas- und Kohlekraftwerke benötigen, um die Lücke zu füllen. Das ergibt auch klimapolitisch keinen Sinn.  Die Regierung sollte jetzt verantwortlich handeln und das bedeutet, jede Möglichkeit zu nutzen, um einen Energiemangel und die daraus resultierenden Rekordpreise zu vermeiden. Wo ein politischer Wille ist, gibt es auch einen Weg.

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Wenn der Krieg in der Ukraine noch länger dauert und sich die Krise der Energieversorgung weiter zuspitzt – sollten dann neue Kernbrennstäbe besorgt und ein längerer Betrieb der drei verbleibenden AKW ins Auge gefasst werden?
Wenn die kritische Situation anhält, wäre es leichtsinnig, das nicht zu tun. Auch der Wirtschaft und den Arbeitsplätzen wäre gedient, wenn man nicht nur für einen Streckbetrieb, sondern für einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren eine zusätzliche Sicherheit im Energiemarkt hätte.

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