Industriepolitik „95 Prozent sollen weniger zahlen“

Der Co-Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans. Quelle: imago images

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans über seine Rolle als Buhmann der Autoindustrie, Steuererhöhungen als klare Ansage an Konzerne und einen künftigen Finanzminister Christian Lindner.

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Norbert Walter-Borjans ist Co-Vorsitzender der SPD.

WirtschaftsWoche: Herr Walter-Borjans, im vergangenen Jahr haben Sie und die SPD im Corona-Konjunkturpaket eine Kaufprämie für Verbrenner blockiert. Am Dienstag waren Sie nun zu Besuch auf der IAA. Wie lebt es sich dort als Buhmann der Autoindustrie?
Norbert Walter-Borjans: Ich muss Sie enttäuschen: Ich empfinde mich nicht als Buhmann und werde auch nicht dafür gehalten. Wirtschaftskompetenz beweist man doch nicht, indem man Positionen von Verbänden eins zu eins in Beschlüsse gießt. Die Wirtschaft will Klarheit und Orientierung und kein Rumeiern. Mittlerweile finden die Chefs der Autokonzerne selbst, dass die Entscheidung richtig war. Sie setzen voll auf Elektromobilität.

Technologieoffenheit ist für Sie keine Überlegung wert?
Lesen Sie mal unser Wahlprogramm genau: Darin bekennen wir uns zur emissionsfreien Mobilität der Zukunft, nicht zu einer bestimmten Antriebsart. Aber die Autoindustrie und die allermeisten Experten können mit Technologieoffenheit zur Zeit nicht viel anfangen. Die Frage scheint mir, jedenfalls für Pkw und selbst für mittelgroße Lkw, entschieden. Das Auto von morgen fährt elektrisch.

Den Verbrenner wollten Sie nicht mehr fördern – aber auf Elektro-Subventionen darf Deutschlands Vorzeigebranche entsprechend hoffen?
Vor allem die Infrastruktur wird ohne staatliche Flankierung und auch gesetzlichen Rahmen kaum zu errichten sein, ja. Das betrifft die Ladesäulen, den Ausbau erneuerbarer Energien und der Stromversorgung, insbesondere in Städten, auch klarere Bauvorschriften. Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir reden von Anschub und Überbrückung. Auf Dauer muss, wer private Gewinne machen will, dafür auch privat investieren. 

von Max Haerder, Christian Ramthun, Daniel Goffart

Förder-Milliarden fließen bereits in den Aufbau von Batteriezellfabriken in Deutschland. Begehen wir da den gleichen Fehler wie beim Ausbau der Solartechnologie: erst hoch subventioniert in Deutschland, dann abgewandert?
Es gab immer Investitionsprojekte, die floppten – mit oder ohne staatliche Hilfe. Das gehört dazu, das Leben ist nicht binär. Ich bin sicher: Wenn wir Produktion mit Forschung und Entwicklung verbinden, dann werden Wertschöpfung und Technologieführerschaft rund um die Mobilität bei uns bleiben. Das ist das Ziel.

Eine Milliarde Euro steckt die Bundesregierung zudem in einen Zukunftsfonds, der der Autoindustrie beim Wandel helfen soll. Warum muss der Steuerzahler Unternehmen retten, die den Zug der Zeit verpasst haben?
Der Staat darf natürlich nicht in jede Bresche springen. Doch gerade die deutsche Zuliefererindustrie ist vom Strukturwandel sehr unterschiedlich betroffen. Da einzelne Glieder der Kette zu verlieren, würde große Probleme nach sich ziehen – auch für die Beschäftigten. Deshalb ist hier Unterstützung bei der Transformation geboten. Aber zuvorderst steht dann die Wirtschaft und flankierend der Staat in der Verantwortung für das Gemeinwohl und für Arbeitsplätze. 

Sie haben auf der IAA auch das Unternehmen Elring-Klinger besucht. Dessen Chef Stefan Wolf spricht sich klar für einen CDU-Kanzler Armin Laschet aus – und zweifelt sehr an Olaf Scholz. Da scheint Ihr Engagement nicht anzukommen.
Ich kenne Stefan Wolf, auch als Präsidenten von Gesamtmetall, als jemanden, der sehr genau um die Aufgabenverteilung von Staat und Wirtschaft weiß. Nichtsdestotrotz wünschen sich gerade Wirtschaftsverbände oft eine Politik, die ihnen nichts abverlangt. Die SPD steht für Zukunftsorientierung und Gemeinwohl, wirbt für einen breiten Konsens und für einen Staat, der die Akteure beim notwendigen Wandel unterstützt. Allein mit Laufenlassen hat das noch nie funktioniert.

Aber vielleicht mit „Entfesselung“, wie Armin Laschet sie verspricht.
Was übersetzt dann heißt, dass man selbst keine Ahnung von Wirtschaft hat oder keine Verantwortung übernehmen will. Dabei ist dieses Land in Partnerschaft und im kritisch-konstruktiven Sparring zwischen Unternehmen und Politik erst zu dem Wohlstand gekommen, um den uns heute die Welt beneidet, schon zu Zeiten Adenauers und Erhards. 

Steuererhöhungen sind in dieser Logik für Sie Sparring?
Ich habe das vorhin schon gesagt: die Wirtschaft schätzt einen klaren Rahmen, damit sie weiß, was kommt. Dabei ist Reibung durchaus produktiv. Statt pauschaler Steuersenkungen, wie sie die politische Konkurrenz verspricht, würde ich jedenfalls stets für fokussierte Investitionsanreize werben. Auch über Abschreibungen. Das haben wir mit dem Corona-Konjunkturpaket ja schon gemacht.



Aber nochmal: die SPD will Steuern erhöhen, für Gutverdiener, Unternehmer, Vermögende.
95 Prozent sollen weniger zahlen. Dazu gehören auch Gutverdiener. Und für Unternehmer gilt das auch nicht pauschal, nicht jeder ist schließlich Top-Verdiener. Wissen Sie, was viele Unternehmer mir im Gespräch offenbaren? Dass sich ihr Investitionsverhalten im Fall einer Soli-Abschaffung gar nicht ändern würde. Das haben auch die Statistiken der vergangenen Jahre gezeigt: Gute Gewinne sind keineswegs Garanten für Investitionen. Wenn wir dagegen mit den Mehreinnahmen die Transformation des Standort Deutschlands vorantreiben, profitieren sie ebenso wie alle anderen – und nachhaltig. 

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Und Sie glauben, ein FDP-Finanzminister Christian Lindner würde das in einer Ampelkoalition mitmachen?
Je stärker die SPD, desto besser ihre Verhandlungsposition. Dafür werbe ich. Und was Christian Lindner angeht: Conferencier und Kassenwart sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Ein Haushalt ist kein Experimentierfeld. Angesichts von 400 Milliarden zusätzlicher Kredite und dringend nötigen Investitionen sind Steuersenkungen für ganz oben nicht drin. 

Mehr zum Thema: Dass Armin Laschet Kanzler wird, ist für Christian Lindner nicht mehr sicher. Kommt also die Ampel? Ein Gespräch mit dem FDP-Chef über Lurche, Lastenräder und einen liberalen Chinakurs.

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