Infektionszahlen Das Wochenend-Rätsel des RKI

Das  Robert Koch-Institut (RKI), hier mit Präsident Lothar Wieler, präsentiert täglich die Zahlen über die Corona-Infektionen. Quelle: REUTERS

Montags sind die Infektionszahlen so niedrig wie an keinem anderen Tag – angeblich, weil nicht alle Gesundheitsämter am Wochenende Daten melden. Doch gibt’s für den allwöchentlichen Einbruch einen anderen Grund.

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Jeden Montag wirkt es so, als hätte die Pandemie eine Pause gemacht: An keinem anderen Tag der Woche sind die Infektionszahlen im Vergleich so niedrig wie zum Wochenbeginn – angeblich, weil nicht alle Gesundheitsämter ihre Zahlen ans Robert Koch-Institut (RKI) melden, heißt es oft, auch in den Nachrichten. Doch die Gesundheitsämter wehren sich gegen die Vorwürfe, den Stift am Wochenende quasi aus der Hand zu legen.  

Es sei „geradezu despektierlich“ anzunehmen, dass die Daten zum Wochenbeginn wegen der Ämter verzögert eintrudeln würden, sagt Udo Götsch, Arzt beim Frankfurter Gesundheitsamt: „Daten trudeln nicht ein, sondern werden in dem Umfang übermittelt, wie sie den Gesundheitsämtern gemeldet werden.“ Und genau das passiere am Wochenende eben seltener.

40 bis 50 Prozent weniger Meldungen am Wochenende

Darauf verweist auch das RKI, das die Ämter in Schutz nimmt: 80 bis 90 Prozent der bundesweit 375 Gesundheitsämter würden ihre Daten auch samstags und sonntags ans RKI melden – allerdings würden wiederum bei den Ämtern 40 bis 50 Prozent weniger Meldungen eingehen, da am Wochenende „weniger Personen einen Arzt aufsuchen, weniger PCR-Diagnostik veranlasst wird und daher auch weniger positive Nachweise in Laboren durchgeführt und an die Gesundheitsämter gemeldet werden“, erklärt eine RKI-Sprecherin.

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Wie viele Ärzte Tests an Samstagen und Sonntagen durchführen, dazu kann die Kassenärztliche Bundesvereinigung keine Angaben machen. Auch der Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM), der mit 200 Laboren etwa 80 Prozent aller medizinischen Labore in Deutschland vertritt, führt dazu keine Statistik. Doch auch sie seien nicht schuld an den verzögerten Zahlen, betont eine Sprecherin: „Die Labore liefern die Ergebnisse innerhalb von 24 Stunden.“  

Schwankungen auch über die Osterfeiertage

Auch über die Osterfeiertage dürfte es zu weniger Meldungen an die Gesundheitsämter kommen, solche Schwankungen sollten aber „nicht überbewertet werden“, betont die RKI-Sprecherin: „Sichere Aussagen zur Infektionsdynamik sind eher im Wochenvergleich möglich.“     

Allerdings dienen die Zahlen zum Infektionsgeschehen als Grundlage für die politischen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Nach den Feiertagen könnte es nun aber wegen der geringeren Anzahl der Tests quasi zum „Blindflug“ kommen – denn vermutlich lassen sich zwar mehr Menschen testen vor möglichen Besuchen bei Familien und Freunden, vor allem aber mit Schnell- und Selbsttests, die im Gegensatz zu den PCR-Tests nicht in die Statistik der Ämter eingehen. Eine Verzerrung, die einkalkuliert werden muss bei der Steuerung der Pandemiebekämpfung.   

„Unverzügliche“ Ermittlung der Kontaktpersonen 

Würde ein PCR-Tests positiv an die Gesundheitsämter gemeldet werden, beginne aber „unverzüglich“ die Kontaktpersonenermittlung und Testung der Kontakte, teilt Torsten Kühne vom Gesundheitsamt Berlin-Pankow mit. Das Amt, das zuständig ist für den bevölkerungsreichsten Bezirk der Hauptstadt, sei dafür personell deutlich aufgestockt worden:  von 60 Mitarbeitenden um mehr als 100 externe Kräfte, wie Soldatinnen, Medizinstudenten und sogenannte Containment-Scouts. Im Bereich der Kontaktpersonenverfolgung sei das Amt damit auf einen 24/7-Betrieb eingerichtet, „auch an Feiertagen“.

Allerdings, schränkt Kühne ein, sei die Personalausstattung im Gesundheitsamt nicht „grundsätzlich“ auf einen Dienstbetrieb rund um die Uhr eingerichtet, „so dass es an Wochenenden und Feiertagen hier zu einer verzögerten Eingabe der Daten in die Fachsoftware kommen kann.“ Die Meldedaten würden nur Mitarbeitende aus dem Fachbereich Hygiene und Umweltmedizin in den bezirklichen Gesundheitsämtern ans RKI senden, da es sich „um hoheitliche Aufgaben“ handle, „die durch das fachlich zuständige Stammpersonal erfolgen muss“, betont Kühne. Doch „verloren“ gehen würden keine Daten, sondern Verzögerungen würden bei der Berechnung der 7-Tage-Inzidenz im Durchschnitt ausgeglichen.  

Weiterhin herrscht Software-Chaos

Während die Ämter personell aufgestockt wurden, mangelt es jedoch bei einigen Ämtern weiterhin an der einheitlichen Software zur Kontaktverfolgung. SORMAS („Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System“) heißt das System, an das nach Angaben den Bundesgesundheitsministeriums (BMG) weiter nur 318 der 375 Ämter angeschlossen sind. Zweimal haben Länder und Kommunen damit die im Bund-Länder-Beschluss gesetzte Frist bereits gerissen: Erst sollten Ende 2020 alle Ämter angeschlossen sein, dann Ende Februar.

Weiterhin haben nach BMG-Angaben nur sieben der 16 Bundesländer ihre Ämter komplett an SORMAS angeschlossen, dazu zählen Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen und das Saarland. Den größten Rückstand hat Hamburg, wo keines der sieben Ämter an SORMAS angeschlossen ist, gefolgt von Sachsen, das mit zwei der 13 Ämter erst 15 Prozent angeschlossen hat. In Niedersachsen haben mit 21 der 43 Ämter erst 49 Prozent die Software installiert, in Thüringen sind es mit 14 der 22 Ämter erst 64 Prozent. 

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Der Anschluss sagt jedoch noch nichts aus über die tatsächliche Nutzung, die vor wenigen Wochen lediglich bei rund 100 Ämtern lag. Eingeführt werde aktuell eine Version der Software mit zusätzlichen Schnittstellen zu weiteren IT-Systemen, erklärte eine BMG-Sprecherin. Damit könne der „vollständige Prozess“ abgebildet werden, angefangen von der Labormeldung bis zur Meldung an das RKI. 

Verzögerungen, so die Erwartung, soll es damit seltener geben – nicht nur nach den Wochenenden.

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