Integration im Arbeitsmarkt „Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen“

Eine ukrainische Ingenieurin arbeitet bei der Deutschen Bahn am S-Bahnhof Neukölln. Quelle: imago images

Zwei Jahre nach Russlands Einmarsch in die Ukraine ist die Integration der Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt noch immer nicht gelungen. Arbeitsminister Heil setzt auf den „Jobturbo“ – doch der zündet nicht.

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Hubertus Heil steht auf einer Bühne in Berlin, es ist kurz vorm zweiten Jahrestag von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, die Friedrich-Ebert-Stiftung hat eingeladen, um über „Wunsch und Wirklichkeit der Einwanderungsgesellschaft Deutschland“ zu sprechen. Der SPD-Arbeitsminister lobt das „Riesenpotenzial“, das die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine für den deutschen Arbeitsmarkt haben – aber er gibt auch zu: „Die Beschäftigungsquote ist nicht gut genug.“ 

Um das zu ändern, habe man nun die Kontaktdichte zu den Menschen in den Jobcentern erhöht, erklärt Heil, und nicht nur das: „Nach zwei Jahren kann man den Menschen auch mal klar machen, dass Bürgergeld kein bedingungsloses Grundeinkommen ist." 

Kaum hatte Russland die Ukraine am 24. Februar 2022 angegriffen, kamen bald tausende geflüchtete Menschen aus der Ukraine in Deutschland an. Politiker und Wissenschaftlerinnen diskutierten über das hohe allgemeine Bildungsniveau in der Ukraine – und den zu erwartenden guten Zugang der Menschen zum deutschen Arbeitsmarkt.

Hoffnung auf hohe Beschäftigungsraten 

Die Flucht, so schlimm die Ursache, war in Deutschland deshalb von Anfang an pragmatisch verbunden mit einer Hoffnung: Da die Ukrainerinnen und Ukrainer das Asylsystem nicht durchlaufen müssen und für sie kein Arbeitsverbot gilt, würden die Beschäftigungsraten schnell – ja steil – steigen. So könnten die Menschen Schutz finden, aber auch den Arbeitskräftemangel in Deutschland dämpfen.

Zwei Jahre später ist klar: Bislang hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Und natürlich fragen sich viele, warum. Warum gut Ausgebildete, die könnten, und von denen gesagt wurde, dass sie es rasch würden, nicht arbeiten.

Ein wichtiger Grund: Der Staat schickte die Menschen erst einmal in Integrationskurse, damit sie Deutsch lernen. Es war in Europa ein Sonderweg, der der Überzeugung folgt, dass Arbeitskräfte mit guten Sprachkenntnissen auch höher qualifizierte, besser bezahlte Jobs finden – und diese länger behalten. 

Eine Investition in die Zukunft, quasi bezahlt mit dem Bürgergeld, das arbeitslose Ukrainerinnen und Ukrainer anders als Asylsuchende erhalten.

17 Prozent versus 70 Prozent Beschäftigung

Im Frühjahr 2023 lag die Quote der Geflüchteten aus der Ukraine, die arbeiten, in der Folge allerdings bei gerade einmal 17 Prozent. Doch sehr niedrig, gerade im Vergleich mit Nachbarländern wie Polen und der Niederlande, wo es 66 beziehungsweise 70 Prozent waren. 

Dazu kam Ärger um das Bürgergeld, Kritik an dessen Erhöhung, der Neuregelung zur Anrechnung von Vermögen und dem Fehlen von Sanktionen, wenn Beziehende sich weigern, eine angebotene Stelle anzunehmen.

Also erfand Arbeitsminister Heil mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) den „Jobturbo“. Seit dem Spätherbst gilt: Die Zuständigen in den Jobcentern sollen nun versuchen, die vielen Ukrainerinnen und Ukrainer endlich zu vermitteln. Eine Abkehr von der Sprachkursfixierung des ersten guten Jahres Betreuung der Menschen.



Konkret heißt das: Sobald sie das Sprachniveau B1 erreicht haben, bekommen sie „konkrete und verbindliche Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt“, so beschrieb es Vorstandsmitglied Daniel Terzenbach in der „Rheinischen Post“. Es geht um etwa 500.000 Menschen, die noch keine Stelle haben. Etwa 170.000 Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten bereits in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.

Kein Turbo zu erkennen

Kommende Woche will Arbeitsminister Heil einen Rewe-Supermarkt besuchen. Ein Termin mit Eigenlobpotenzial. Die Gruppe zeige „Best Practice, wie man Menschen mit dem Job-Turbo in gute Arbeit bringen kann“, heißt es in einer Ankündigung des Ministeriums.

„In Zeiten des Arbeitskräftemangels ist es wichtiger denn je, qualifizierten Menschen pragmatisch und schnell eine echte berufliche Perspektive zu bieten und ihnen konkrete Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen“, lässt Daniela Büchel ausrichten, Personalchefin der Rewe Gruppe. Genau hier setze der Jobturbo an. 

Allerdings teilt der Konzern auch mit, die Mehrheit der etwa 800 ukrainischen Mitarbeitenden seien Frauen, arbeiteten vor allem im Lager oder in den Märkten und seien im Schnitt seit zwei bis drei Jahren im Unternehmen tätig. Das heißt, dass ihre Einstellung zu großen Teilen nichts mit dem Jobturbo zu tun haben kann.

Zahlen der BA vom Januar zeigen allerdings eher eine leichte Verbesserung als einen Turbo. Demnach lag die Beschäftigungsquote der Ukrainerinnen und Ukrainer zuletzt bei 25,2 Prozent – mit einem deutlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen. So arbeiteten im Juli zwar 28,3 Prozent der geflüchteten Ukrainer, aber nur 21,6 Prozent der Ukrainerinnen.

68 Prozent der Arbeitssuchenden sind Frauen 

Frauen machen allerdings 68 Prozent unter den Arbeitssuchenden aus. Für sie ist es oft schwerer, eine Stelle anzunehmen, denn jede dritte Frau aus der Ukraine ist in Deutschland alleinerziehend. Vielen fehlt eine gute Kinderbetreuung.

Das müssen die Beschäftigten in den Jobcentern bei der Vermittlung mitdenken. In vielen Städten finden nun Job-Tage, Stellenbörsen und Messen statt, um die Menschen aus der Ukraine mit Betrieben zusammenzubringen. Bei Aktionstagen der BA stellten sich Ende Januar Unternehmen wie Lidl, McDonalds und Siemens Energy im Videostream vor und beantworteten Fragen möglicher Bewerber.

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