Landtagswahlen Kollektive Angst vor der Niedersachsen-Wahl

Für Peer Steinbrück ist es der erste Test nach seinem desaströsen Start als SPD-Kanzlerkandidat. Für Philipp Rösler geht es hingegen um eine letzte Chance. Und Angela Merkel muss sondieren, mit wem sie nach der Bundestagswahl im September in Berlin regieren will – oder kann.

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Wahlplakate von Niedersachsens Ministerpräsidenten David McAllister (l, CDU), SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil und der Freien Wähler. Am 20.01.2013 finden in Niedersachsen Landtagswahlen statt. Quelle: dpa

Verkehrte Welt: Nicht die oppositionelle Konkurrenz macht den Unions-Parteien Angst, sondern der Wunschpartner FDP. Während der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zielstrebig auf seinem Linkskurs von Fettnapf zu Fettnapf tapst, zelebrieren die taumelnden Liberalen ihren Führungsstreit – und gefährden damit die Regierungsmacht der CDU in Hannover und Berlin. Die Abstimmung über den Landtag in Hannover am Sonntag stellt die Weichen für das Jahr 2013 und die Bundestagswahl am 22. September.

Scheitert die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde, „könnte es schon ganz bald Neuwahlen geben“, fürchtet Präsidiumsmitglied Jörg-Uwe Hahn aus Hessen den Rausschmiss der unsicheren Kantonisten aus der Bundesregierung. Bei so viel Panik spendet selbst die sonst so FDP-skeptische CSU Trost. „Auf solche Gerüchte gebe ich nichts“, sagt Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner. „Dafür gibt es keinen Anlass, und das würden gerade bürgerliche Wähler auch zu Recht nicht akzeptieren.“ Die Koalition arbeite unbeirrt weiter.

Politische Farbenlehrer in Hannover und Berlin. Zur vergrößerten Ansicht bitte auf die Darstellung klicken.

Dafür verlangen die Bayern aber noch mehr Einsatz. „Für die großen Themen tariflicher Mindestlohn, Mütterrente und Wohnungsnot sollte die Koalition bis zum Sommer zumindest Grundlinien festlegen“, verlangt der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. „Das sind wichtige Themen, die nicht in den Wahlkampf gezogen werden dürfen. Da müssen wir vorher Antworten geben.“ Auch bei der Energiepolitik will die CSU noch liefern. „Die Koalition sollte im März bei der Reform des EEG vorankommen, um den Anstieg der Strompreise zu begrenzen“, verlangt der Bayer eine Kürzung bei den erneuerbaren Energien. „Klar ist, dass die Förderung für die bisher schon montierten oder bestellten Anlagen Bestandsschutz behält. Aber maßvolle Veränderungen für künftige Anlagen werden auf Akzeptanz stoßen.“

Auf der anderen Seite des Parteienspektrums sorgen sich auch die Grünen um ihren Wunschpartner. Mit dem Absacken der SPD in den Umfragen schwindet auch die Machtoption der Ökopartei. Richtig gemocht haben die Grünen Steinbrück nie. Ökologisch und sozial habe er kaum Gespür, Themen wie Frauenpolitik seien ihm fremd. Aber er sei ein scharfer und schneller Analytiker, fasst ein Grüner zusammen, der den SPD-Vormann länger kennt.

Die Schwächen des SPD-Kandidaten bringen den Ökos wohl kurzfristig in Niedersachsen ein paar neue Sympathisanten. Bei der Bundestagswahl würden die SPD-Wähler aber eher zu Hause bleiben, ist die einhellige Meinung der Grünen-Bundestagsabgeordneten bei ihrer Klausur in Weimar. Dann reiche es nicht für einen Regierungswechsel in Berlin.

Die Spitzenkandidaten der Wahl

„Wenn Schwarz-Gelb rückstandslos abgelöst werden soll durch eine Kombination aus Grün und Rot, dann kommt es auf die Grünen an, damit die Roten nicht auf falsche Gedanken kommen“, sagt Fraktionschefin Renate Künast. Etwas deutlicher wird Kerstin Andreae, die den SPD-Rabauken eigentlich schätzt: „Ich fand ihn den richtigen Kandidaten“, sagt die Wirtschaftsexpertin. Aber die Kommentare über preiswerte Weine oder Kanzlergehälter machten es schwer, glaubwürdig zu bleiben. „Das macht uns nicht glücklich.“

Anders als die meisten auf den prominenten Plätzen der Grünen will Fraktionsvize Andreae nun weg von der Festlegung nur auf Rot-Grün. „Wir werden jetzt einen eigenständigen Wahlkampf machen. Das heißt, wir kämpfen um Inhalte und stellen nicht vorrangig die Schnittmenge mit den Roten in den Vordergrund.“ Doch das ist ein heikler Kurs, der schon manchem grünen Wahlkämpfer geschadet hat. Vielen Alternativ-Wählern ist ein Schielen hin zur CDU immer noch ein Graus.

Sieger oder Sieger


Für Angela Merkel geht es um die Bestätigung ihres linken Öffnungskurses. Quelle: dpa

Die mächtigste Frau der Welt (laut US-Magazin „Forbes“) braucht die Wahl in der niedersächsischen Provinz am wenigsten zu fürchten. Stark steht die CDU da, mit rund 40 Prozent in den Umfragen. Bei Bundeskanzlerin Angela Merkel dürfte das Landtagsvotum keinerlei persönlichen Kratzer hinterlassen, egal, ob die CDU weiterhin den niedersächsischen Ministerpräsidenten stellt oder nicht.

Im Gegenteil, die Niedersachsen-Wahl dürfte Merkel sogar stärken. Denn das zu erwartende Ergebnis bestätigt den Öffnungskurs der CDU-Vorsitzenden nach links, hin zu den berühmt-berüchtigten „Großstadtwählern“. Viele konservativ-christliche Grundpfeiler hat Merkel in den vergangenen drei Jahren gelockert. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht, dem Ausstieg bei der Atomenergie, der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik und den ebenfalls umstrittenen Themen Kita-Ausbau, Betreuungsgeld oder Zusatzrente mutet Merkel vielen Unions-Anhängern vieles zu. Die Niedersachsen-Wahl ist nun der Testlauf, und es scheint, als wenn die neue Merkel-CDU für bürgerlich-konservative Wähler alternativlos ist.

Wahlversprechen, und was daraus wurde
1988: „Eins ist sicher: die Rente“ (CDU) Noch im Sommer forderte Bundessozialministerin Ursula von der Leyen, eine Zuschussrente einzuführen. Das soll die Armut im Alter verhindern, die viele Deutsche fürchten. Denn die staatliche Rente allein reicht längst nicht mehr. Schon 2001 führte die Bundesregierung mit der Riester-Rente eine zusätzliche Vorsorge-Möglichkeit ein. 1988 klangen noch andere Töne: Einen abgesicherten Lebensabend versprach damals CDU-Sozialminister Norbert Blüm im Wahlkampf. Mit dem Spruch „Eins ist sicher: die Rente“ hatte die CDU für sich geworben. Quelle: AP
1990: CDU will Aufbau Ost aus der Porto-Kasse zahlen„Blühende Landschaften“ versprach Kanzler Helmut Kohl 1990 in den neuen Bundesländern. Dafür hatte er vor der Bundestagswahl ausgeschlossen und wollte die Wiedervereinigung „aus der Portokasse“ finanzieren. Stattdessen kam der Solidaritätszuschlag. Dieser sollte aber nicht lange bleiben. 1996 versprach Kohl: „Der Solidaritätszuschlag ist bis Ende 1999 endgültig weg.“ Heute gibt es ihn immer noch. Quelle: dapd
2005: SPD schließt eine höhere Mehrwertsteuer ausFranz Müntefering fand es 2005 als Vizekanzler „unfair“, dass die Regierung „an dem gemessen wird, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist“. Seine SPD hatte im damaligen Wahlkampf gesagt, dass es mit ihre keine höhere Mehrwertsteuer geben würde. Die CDU hatte sich für eine Erhöhung um zwei Prozentpunkte eingesetzt. Schließlich wurden es drei Prozentpunkte – mit der SPD als Koalitionspartner. Quelle: dpa/dpaweb
2005: CDU will erst raus aus dem Atomausstieg - und dann doch nichtSchon im Wahlkampf 2005 stellt die CDU den unter der SPD beschlossenen Atomausstieg in Frage. Raus aus dem Ausstieg wagt sie sich jedoch erst 2010 in einer Koalition mit der FDP. Lange fest hält sie daran nicht. Kanzlerin Angela Merkel änderte ihre Haltung ein knappes Jahr später nach der Atom-Katastrophe von Fukushima. Im Juni 2011 beschlossen Bundestag und Bundesrat, die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke und das Kraftwerk Krümmel sofort stillzulegen sind. Die restlichen deutschen Kernkraftwerke sollen bis 2022 abgeschaltet werden. Quelle: AP
2008: Hessens SPD will erst ohne, dann mit der LinkenRoland Koch als hessischen Ministerpräsidenten zu Fall bringen: Das war 2008 das Ziel von SPD-Spitzenkandiidatin Andrea Ypsilanti im hessischen Wahlkampf. Dafür wollte sie sogar ihr Wahlversprechen brechen, keine Koalition mit der Linken einzugehen. „Wir werden uns nicht einmal von ihr tolerieren lassen. Auch nach dem Wahlabend nicht, garantiert!“ Das waren Ypsilantis Worte vor der Wahl gewesen. Als sie sich nach der Wahl doch von der Linken tolerieren lassen wollte, ließ sie nach heftigem Widerstand von ihrem Vorhaben ab und trat zurück. Quelle: dpa
2009: CDU und FDP wollten das Kindergeld auf 200 Euro erhöhen200 Euro Kindergeld versprach die FDP vor der Bundestagswahl 2009. Die Koalition mit der CDU einigte sich sogar auf diese Erhöhung – geschehen ist seit dem nichts: Der Kindergeld-Satz liegt derzeit bei 184 Euro für das erste und zweite Kind, sowie 190 Euro für das dritte Kind. Laut einem Bericht der Bild-Zeitung von November 2012 können Eltern immerhin auf eine Erhöhung von zwei Euro bis spätestens 2014 rechnen. Quelle: AP
2009: CDU will Eingangssteuersatz senkenZum Jahresbeginn2013 dürfen sich die Steuerzahler über eine Erleichterungen freuen. Der Grundfreibetrag steigt ab jetzt schrittweise bis 2014 von 8.004 auf 8.354 Euro. Der Eingangssteuersatz bleibt jedoch gleich. Dabei hatte die CDU im Wahlkampf 2009 versprochen, ihn in zwei Schritten von 14 auf zwölf Prozent zu senken. Quelle: dpa

Auch David McAllister wird die Wahl am 20. Januar unbeschadet überstehen. Was kann der CDU-Landeschef schließlich dafür, wenn er das Amt des Ministerpräsidenten verlieren sollte? Schuld wäre der schwindsüchtige Juniorpartner FDP. Der Wulff-Nachfolger ist zwischen Harz und Nordsee beliebt, echte Fehler sind ihm bisher nicht nachgewiesen. Folglich hat der 42-Jährige beste Zukunftsaussichten in der Politik, selbst wenn er jetzt den Posten als Ministerpräsident räumen müsste.

Da ministrabler Nachwuchs bei der CDU rar geworden ist, könnte McAllister nach einigen Monaten Schamfrist im niedersächsischen Landtag nach Berlin wechseln. Dort böte sich zum Beispiel der Posten eines Bundesbildungsministers an. Amtsinhaberin Annette Schavan ist durch die Plagiatsvorwürfe bei ihrer Doktorarbeit angezählt und könnte – so wie sie sich beim jüngsten CDU-Parteitag nicht mehr als Parteivize zur Verfügung stellte – spätestens nach der Bundestagswahl auch auf ihren Ministerposten verzichten. Dazu passt, dass sich McAllister intensiv um die Bildungspolitik kümmert; vorige Woche erst beschlossen Niedersachsen, Bayern und Sachsen einen Staatsvertrag zur Harmonisierung der Schulpolitik, um Familien mit schulpflichtigen Kindern den Umzug über Ländergrenzen zu erleichtern.

Keine Wechselstimmung

Vielleicht reicht es aber am nächsten Wochenende doch noch für Schwarz-Gelb. In jüngsten Umfragen legte die FDP auf fünf Prozent zu. „Das bürgerliche Lager wächst wieder“, frohlockt der CDU-Wirtschaftspolitiker Josef Schlarmann. Im Übrigen spürt der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) „keine Wechselstimmung“ in Niedersachsen.

Die gibt es auch nicht auf Bundesebene. Im Gegenteil, Bundeskanzlerin Merkel führt die Beliebtheitslisten der Politiker mit großem Abstand an. Gäbe es in Deutschland eine Direktwahl des Regierungschefs, Merkel würde wiedergewählt. Lediglich eine dramatische Verschärfung der Euro-Krise mit milliardenschweren Zahlungen aus dem Bundeshaushalt könnte noch dazwischenkommen.

Wissenswertes über Niedersachsen

Am Ende hängt Merkels Kanzler-Schicksal von der Stärke respektive Schwäche der anderen Parteien im nächsten Bundestag ab, und dafür stellt die Niedersachsen-Wahl wichtige Weichen. Zieht die FDP nach der Landtagswahl endlich die Konsequenzen und löst ihr Personalproblem, damit Schwarz-Gelb auf Bundesebene eine neue Perspektive bekommt? Und geraten SPD und Grüne in so schweres Fahrwasser, dass sie in Berlin bestenfalls als Juniorpartner der Union mitregieren dürfen?

Stirb langsam


Die FDP inszeniert die Demontage von Parteichef Philipp Rösler als brutalen Fortsetzungsthriller. Quelle: dapd

Jürgen Thumann, früherer Präsident des BDI, hat Mitleid. Mitleid mit Philipp Rösler. „Die FDP hat ihn doch gekannt, als sie ihn zum Vorsitzenden wählte“, kritisiert der Industrielle. Und doch, gesteht er, von den Liberalen werde „allein Brüderle“ in Wirtschaftskreisen akzeptiert. Bayerns Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber berichtet von Dax-Vorständen, die Gespräche beim Wirtschaftsminister ablehnten, „solange da solche Leute wie Rösler sitzen“. Und Hans Michelbach, Unternehmer und CSU-Bundestagsabgeordneter, bescheinigt Rösler zwar, dass „alles richtig“ sei, was er sage, „aber wenn er auftritt, kommt er wie ein Praktikant rüber“. Gegenüber „gewachsenen Managern und Unternehmern“ sei nur der Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle satisfaktionsfähig. Das habe er gerade wieder bei einer Veranstaltung erlebt. „Brüderle könnte die FDP schon hochreißen.“

Und Rösler? Reagiert so, wie es ihm seiner Gegner vorwerfen und inzwischen sogar Vertraute nachsagen: Er führt nicht, er kämpft nicht. Oft haben sie ihm geraten, energischer aufzutreten – vergebens. In seiner Rede beim Stuttgarter Dreikönigstreffen trug Rösler den wichtigsten Satz seines Manuskripts gar nicht vor: „Was ich nicht akzeptieren kann, ist, wenn durch Profilierungssucht Einzelner dieser Erfolg in Niedersachsen für uns alle gefährdet wird.“ Statt der deutlichen Ermahnung forderte der FDP-Vorsitzende mit bergpredigthafter Geduld etwas mehr Geschlossenheit – und das, nachdem ihn sein Vorredner und Kabinettskollege Dirk Niebel auf offener Bühne gerade zum Rückzug aufgefordert hatte. Verwundert registrierte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt den laschen Auftritt: „Will der nicht mehr? Der muss doch wissen, welches Signal er damit in seine Partei sendet.“

Die öffentliche Wirkung ist inzwischen vielleicht Röslers Hauptproblem: Lange nutzte er die Energiewende nicht, um sich als Kämpfer zugunsten niedriger Strompreise für Bürger und Betriebe zu profilieren. Kurz nach Weihnachten präsentierte Rösler ein marktwirtschaftliches Grundsatzpapier, in dem er die Privatisierung von Staatsbeteiligungen forderte – just wenige Tage, nachdem auch er den Einstieg des Bundes bei EADS durchgewinkt hatte. Beim Mindestlohn, ereifern sich führende Parteifreunde, sei er auf harsche Positionen zurückgefallen, während die Partei intensiv nach einer liberalverträglichen Lohnuntergrenze suche (um damit Angriffe der Opposition auf die vermeintlich kaltherzigen Liberalen zu unterbinden).

Die reichsten Bundesländer Deutschlands
Am wenigsten Geld zum Ausgeben haben die 2.313.280 Einwohner Sachsen-Anhalts (auf dem Bild ist Magdeburgs Altstadt zu sehen). Der Kaufkraft-Index liegt bei 82,3 Prozent – oder bei 16.970 Euro. Der deutschlandweite Durchschnitt pro Einwohner liegt bei 20.621 Euro. Damit landet das Bundesland auf Platz 16.Die Angaben beruhen auf einer Untersuchung der GfK GeoMarketing GmbH. Quelle: dpa
Platz 15 für Mecklenburg-Vorpommern. Dort liegt der Kaufkraft-Index bei 82,6 Prozent. Damit gehört das Land auch eher zu den Schlusslichtern. (Bild: die Bootsstege im Müritz-Hafen von Röbel). Quelle: dpa
Auch die Sachsen haben 2013 weniger Geld für Konsum übrig, als der deutschlandweite Schnitt – nämlich 17.179 Euro. (Die Kaufkraft liegt bei 83,3 Prozent) Platz 14 für das Bundesland im Osten. (Bild: Semperoper in Dresden.) Quelle: dpa
Platz 13 für Thüringen. Die 2,2 Millionen Einwohner haben 2013 im Schnitt 17.221 Euro für Konsum zur Verfügung. Auch damit liegt das Land noch weit unter dem Schnitt (Kaufkraftindex: 83,5 Prozent) (Foto: Besucher des Bratwurstmuseums in Holzhausen.) Quelle: dpa
Mit einem Kaufkraftindex von 88,5 und 18.245 Euro Kaufkraft pro Einwohner geht Platz 12 an Brandenburg. (Foto: Die Stadtbrücke, die Frankfurt (Oder) mit dem polnischen Slubice verbindet.) Quelle: dpa
Besser stehen die Berliner da. Platz 11 geht an das Land mit den 3,5 Millionen Einwohnern. Dort haben die Menschen 18.757 Euro pro Einwohner für Konsumausgaben übrig – damit liegt der Index bei 91. Damit geht das Ranking mit einem westdeutschen Land weiter… (Das Foto zeigt das Holocaust-Denkmal in Berlin.) Quelle: dapd
…und zwar mit dem Saarland. Mit 19.251 Euro pro Einwohner und einer Kaufkraft von 93,4 Prozent liegt das Land immer noch unter dem Schnitt: Platz 10. (Foto: Die St. Johann-Basilika in der Altstadt von Saarbrücken.) Quelle: dpa

Die Landtagswahl in Röslers Heimat hat seine Partei deshalb zur Entscheidung über den Chef hochgejazzt. Scheitern die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde, muss er zurücktreten. Das weiß auch Rösler. Sechs Prozent, sieben Prozent müsse er schon bringen, forderten die liberalen Fallensteller ein. Weil sie selbst zu feige zum offenen Angriff sind, hoffen sie auf Exekution durch den Wähler. „Eigentlich ist Rösler nicht mehr zu retten“, sagt ein CDU-Ministerkollege, der ihn – wie fast jeder – menschlich schätzt. „Aber es war natürlich ein Fehler seiner Gegner, den Verbleib im Amt an ein bestimmtes Wahlergebnis zu ketten.“

Deshalb verbreitet das Rösler-Lager, wichtiger als hohe Prozentzahlen sei es, in Hannover weiter mitzuregieren. Dazu könnte nämlich schon der Sprung knapp über die Fünf-Prozent-Hürde reichen. Und dann, so sein Kalkül, gehe die Debatte nicht mehr um ihn, sondern über die Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition auch im Bund. Der Wiederaufstieg der Freidemokraten sei dann eingeleitet.

Von langer Hand geplant

Das sieht Entwicklungsminister Dirk Niebel ganz anders. Er hält einen Stimmungswechsel auf Bundesebene mit Parteichef Rösler für ausgeschlossen. Aber: „Nach der Wahl in Niedersachsen wird eben kein Automatismus einsetzen, den Vorsitzenden abzulösen“, fürchtet einer von Niebels Mitstreitern. „Deshalb haben wir im November beschlossen: Wir müssen handeln, wir müssen vor der Niedersachsen-Wahl stärker schießen.“ Entsprechend feuerte der Kabinettskollege nicht nur eine ganze Salve kritischer Interviews ab, sondern attackierte auch beim Dreikönigstreffen. „Mutti braucht ein Brüderle“, heißt nun der Schlachtruf aus dem Niebel- Lager.

Streitthema Bildung - das wollen Niedersachsens Parteien

Unterstützung bekommt Niebel vom Vorsitzenden des Liberalen Mittelstands: „Die FDP ist die Partei der Marktwirtschaft und der Effizienz – und drei Prozent sind nicht effizient“, kritisiert Thomas Kemmerich. Eine neue Führung müsse her. „Rösler muss selbst erkennen: Ich bin im Moment außer Form, also wechsle ich mich aus. Das verlange ich im Unternehmen, das muss ich auch in meiner Partei verlangen“, sagt der Inhaber einer Kette von Friseursalons. Das sage nichts über Röslers menschliche Qualitäten, nur für die Führung einer Partei reiche es eben nicht. Kemmerich: „Das ist das alte Peter-Prinzip: Die Leute werden bis auf ein Niveau hochgetragen, auf dem sie nicht mehr richtig eingesetzt sind.“

Intern haben die Frondeure alles organisiert. Sollte Rösler nicht freiwillig aufgeben, sei Brüderle sogar zu einer Kampfkandidatur bereit. Da der allseits gewünschte Nachfolger an der Parteispitze nicht wieder ins Wirtschaftsministerium zurückkehren kann, soll der Unternehmer und Ex-DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun das für die FDP so wichtige Ressort übernehmen. Freilich zittern die Verschwörer, ob Braun bei seiner Bereitschaft bleibt, nachdem die Absprache bekannt geworden ist. Er selbst möchte sich zu den „Gerüchten“ nicht äußern. Sogar an Details haben die Rösler-Gegner gedacht. So klärten sie vor der Verpflichtung des neuen Parteisprechers zum Jahreswechsel, ob der auch unter dem Vorsitzenden Brüderle weiterarbeiten könnte.

Beim Dreikönigsball der Liberalen in Stuttgart, am Vorabend der denkwürdigen Kundgebung, trat ein Joe-Cocker-Double auf. Die Gäste konnten Karten für den Auftritt des Originals gewinnen.

Bei der Niedersachsenwahl verhält es sich mit Rösler und Brüderle ganz ähnlich.

Projekt Menschwerdung


Peer Steinbrück hat die Landtagswahl zum Test erkoren. Das könnte sich rächen. Quelle: dapd

Wenn es ganz schlimm kommt, dann könnte Peer Steinbrück immer noch vor die Tür treten und Wilhelmine tätscheln. Pferde sollen ja eine beruhigende Wirkung auf das Nervenkostüm haben. Die kleine Ponystute mit dem großen Namen grast im Streichelzoo neben dem Inselhotel Hermannswerder. Wilhelmine und Esel Fritz gehören zum Wohlfühl-Paket des Vier-Sterne-Hauses für gestresste Großstädter. Und gestresst könnten die Gäste tatsächlich sein, die sich für den 27. und 28. Januar eingemietet haben: Vor den Toren Berlins trifft sich die SPD-Spitze zur Klausur.

Die Tagungsräume mit Blick auf den Templiner See sind schon gebucht, und auch Steinbrück hat seine Einladung längst erhalten. Schließlich geht es um nichts weniger als seine Zukunft: Am Wochenende nach der Niedersachsen-Wahl will der Parteivorstand seine Strategie für 2013 festzurren. Vertraut man den letzten Umfragen, ist die Lage denkbar knapp: Reicht es in Hannover für einen rot-grünen Wahlerfolg, dann werden die Sozialdemokraten das als Signal für die Bundestagswahl bejubeln. Reicht es nicht, dann droht auf Hermannswerder ein echter Krisengipfel.

Steinbrück selbst war es, der die Abstimmung in Niedersachsen zum ersten Test für seine Kanzlerkandidatur erklärt hatte. Eine Strategie, die sich bitter rächen könnte, stolperte er doch nach seiner Nominierung von einem Fettnäpfchen ins andere. Wenn die Deutschen den Kanzler direkt wählen könnten, gäben nur noch 22 Prozent dem SPD-Mann ihre Stimme. Vor Weihnachten waren es noch vier Punkte mehr gewesen. Vor Weihnachten allerdings hatte Steinbrück sich noch nicht über das mickrige Kanzlergehalt und den Frauenbonus der Amtsinhaberin mokiert, vor Weihnachten musste er sich noch nicht gegen Vorwürfe wehren, er habe im ThyssenKrupp-Aufsichtsrat Unterstützung für niedrigere Strompreise versprochen. Vor Weihnachten stellten Sozialdemokraten lediglich fest, ihr Kandidat stecke tief im Schlamassel. Heute benutzen sie meist ein anderes Wort, das mit „Sch“ beginnt.

Diese Regionen drohen zu verarmen
Fireworks are seen at the World Heritage Site 'Zeche Zollverein' in Essen Quelle: REUTERS
Das Gebäude des JenTower in Jena Quelle: dpa
Letzte Restarbeiten werden am 19.12.2012 auf dem Kupferdach des Landtagsneubaus in Potsdam (Brandenburg) durchgeführt. Quelle: dpa
Litfasssaeulen mit ueberdimensionalen Muetzen stehen auf dem Dresdner Postplatz unweit des Zwingers Quelle: dapd
Mit einem speziellen Kommunalfahrzeug wird am 09.12.2012 der Breite Weg in Höhe des Hundertwasserhauses "Grüne Zitadelle" in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) von Eis und Schnee befreit. Quelle: dpa
Ein Obdachloser, der die Obdachlosenzeitung "Strassenfeger" verkauft, bittet am 20.12.2012 in Berlin in der Friedrichstraße um Spenden. Quelle: dpa
Mit Mützen und einem Schal ist am 13.12.2012 die Skulptur "Drei schwatzende Weiber" an einem Brunnen der Altstadt von Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) eingekleidet. Quelle: dpa

Vermutlich hat Stephan Weil die eigene Ungeduld schon oft verflucht. Der niedersächsische Spitzenkandidat hatte die Bundes-SPD im vergangenen Jahr gedrängt, ihren Kanzlerkandidaten möglichst schnell zu nominieren. Er hoffte auf etwas Rückenwind und darauf, dass die Berliner Prominenz auf seine eigenen farblosen Auftritte abstrahlen könne. Inzwischen muss Weil, der seine trockene Seriosität zum Markenzeichen ausgebaut hat, vor Journalisten beständig beteuern, die Steinbrück-Debatte habe „keine Bremsspuren“ hinterlassen. Die Strategie sei jetzt eher, eine „Firewall“ um Niedersachsen zu errichten, sagt ein Vertrauter. Oder kurz: irgendwie zu suggerieren, dass man mit denen in Berlin doch nicht ganz so viel zu tun hat.

Niedersächsische Polit-Prominenz

Bei der Abschlusskundgebung in der Stadthalle Braunschweig werden sie am Freitag dennoch alle auf der Bühne stehen: Steinbrück, Weil, Parteichef Sigmar Gabriel und Bundestags-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Es soll ein Signal der Geschlossenheit sein. Allerdings muss die SPD sich inzwischen nicht nur hinter Weil stellen, sondern auch hinter Steinbrück.

Der Kanzlerkandidat arbeitet derweil weiter an seiner Menschwerdung. Am vergangenen Dienstag erst hatte das „Handelsblatt“ angedeutet, Steinbrück habe sich als ThyssenKrupp-Aufsichtsrat zum Büttel der Großindustrie gemacht. Noch am selben Tag schoben Mitarbeiter kurzfristig einen neuen Termin in seinen Kalender: einen Besuch in einem Mütterzentrum am Folgetag. Etwas Nähe zum Wähler kann ja nicht schaden. Eine sozialpolitische Empathievermutung auch nicht.

Sehnsucht nach Inhalten

Falls die SPD in Niedersachsen gewinnt, könnte man endlich wieder über Inhalte reden – statt über Steinbrücks Missgeschicke, hoffen die Wahlkampfplaner. Passend dazu hat die Partei nun ein Konzept gegen Mietpreiserhöhungen vorgelegt und vorgeschlagen, das Kindergeld neu zu verteilen: Normalverdiener sollen profitieren, die Einsparungen erbringen die Besserverdienenden. So will sich die SPD ihrer Klientel wieder als Partei der Gerechtigkeit empfehlen.

Gelingt der Regierungswechsel in Niedersachsen aber nicht, muss Steinbrück sich kritische Fragen gefallen lassen. Die SPD-Linke haderte von Anfang an mit ihm. „Partei und Spitzenkandidat müssen sich besser koordinieren. Die Kür des Spitzenkandidaten kam im vergangenen Herbst ja etwas überstürzt“, sagt etwa Klaus Barthel, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA). Dass es nach der Niedersachsen-Wahl eine ernsthafte Debatte über den Spitzenkandidat gibt, kann er sich aber nicht vorstellen. Da hält er sich an die offizielle Parteilinie: Es seien die Medien, die sich auf Steinbrück einschössen – und die SPD müsse lernen, damit umzugehen. „Es spricht für unsere Professionalität, dass es keine Kandidatendebatte in der Partei gibt“, sagt Barthel.

Ob Steinbrück aber von sich aus entnervt aufgeben könnte? Er selbst sagt dazu: „Niemand macht sich hier vom Acker.“ Ein Kanzlerkandidat, der vor der Wahl hinschmeißt, wäre ein Desaster. „Völlig unvorstellbar“, sagen alle Sozialdemokraten.

„Völlig unvorstellbar“ war bislang allerdings auch, dass ein Kanzlerkandidat einen derartigen Fehlstart hinlegt.

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