Mehrere Bundesländer lockern auf Basis eines offiziell festgestellten Versorgungsmangels die Einfuhr-Regeln bei Antibiotika-Säften für Kinder. So kündigte Bayern am Wochenende an, befristet die Einfuhr von Arzneimitteln zu gestatten, die in Deutschland nicht zugelassen oder registriert sind. „So können die Pharmagroßhändler, Pharmafirmen und Apotheken unbürokratisch handeln“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) laut Mitteilung. Auch Nordrhein-Westfalen habe „alle notwendigen Schritte in die Wege geleitet, um hier schnell Abhilfe zu schaffen“, zitierte der WDR das Düsseldorfer Ministerium. Auch in Bremen gibt es lockerere Maßgaben für den Import.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schrieb mit Blick auf den bayerischen Vorstoß auf Twitter: „Genau für solche unbürokratischen Aktionen der Länder gegen Antibiotika-Lieferengpässe haben wir die Voraussetzungen jetzt geschaffen. Sie sollten genutzt werden.“
Möglich macht das Vorgehen der Bundesländer eine Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) im Bundesanzeiger, wonach derzeit ein Versorgungsmangel bei diesen Arzneimitteln besteht. Dadurch soll auch die einfachere Einfuhr aus dem europäischen Ausland erleichtert werden. Behörden könnten es nun etwa möglich machen, ein Medikament aus Spanien, das keine deutsche Verpackung hat, von Apotheken hierzulande ausgeben zu lassen, erläuterte der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Florian Lanz.
Appell von Medizinern in Europa
Die Versorgungslage bei Arzneimitteln ist Kinder- und Jugendärzten zufolge kritisch. So appellierten vor wenigen Tagen Mediziner aus mehreren europäischen Ländern in einem Brief an ihre Gesundheitsminister, gegen die Knappheit vorzugehen. „Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich!“, heißt es in dem Schreiben. Noch vor wenigen Jahren sei dieses Szenario unvorstellbar gewesen.
Zu den Mitzeichnern gehört der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach. Es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindgerechter Darreichungsform. Auch das Antibiotikum Penizillin gebe es derzeit nicht, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Antibiotika werden zum Beispiel bei Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen oder Scharlach verschrieben. Steht das passende Präparat nicht zur Verfügung, muss nach Angaben des BVKJ zu einem Antibiotikum der zweiten und dritten Wahl gegriffen werden, das aber schlechter wirkt und das Risiko sich bildender Antibiotika-Resistenzen erhöht.
Vertrauen in Pharmaindustrie „erschüttert“
Die Ursachen für Lieferengpässe bei Arzneimitteln seien vielfältig, heißt es vom Bundesministerium. Es wies etwa auf Engpässe bei Grundstoffen oder Produktionsprobleme hin. Der GKV-Spitzenverband gibt der Pharmabranche eine Mitschuld: „Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert“, sagte Lanz. Die Branche habe Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.
Karl Lauterbachs Reformpläne im Überblick
Das zuletzt 2017 erhöhte Pflegegeld soll laut Entwurf zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent steigen, genauso wie die Beträge für Sachleistungen. Pflegegeld gibt es als Unterstützung, wenn Pflegebedürftige nicht in Einrichtungen leben. Sie können es frei nutzen, etwa für Betreuung. Je nach Pflegegrad sind es zwischen 316 und 901 Euro im Monat. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz monierte, die mehr als vier Millionen daheim versorgten Menschen würden weiter im Stich gelassen. Ein Pflegegeld-Plus von nur fünf Prozent stehe „nicht ansatzweise im Verhältnis zur Kostenexplosion” in den vergangenen fünf Jahren, sagte Vorstand Eugen Brysch.
Anfang 2022 eingeführte Entlastungszuschläge für Bewohnerinnen und Bewohner sollen zum 1. Januar 2024 erhöht werden. Den Eigenanteil für die reine Pflege soll das im ersten Jahr im Heim um 15 statt bisher 5 Prozent drücken, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent. Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Im Heim kommen dann auch noch Zahlungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu.
Der Pflegebeitrag liegt aktuell bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, für Menschen ohne Kinder bei 3,4 Prozent. Zum 1. Juli soll er erhöht werden, und zwar in Kombination mit Änderungen wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Demnach muss mehr danach unterschieden werden, ob man Kinder hat oder nicht. Alles in allem soll der Beitrag für Kinderlose damit auf 4 Prozent steigen und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Der darin enthaltene Arbeitgeberanteil soll von nun 1,525 Prozent auf 1,7 Prozent herauf. Lauterbach sagte, damit komme man durch diese Legislaturperiode. Es könne so jedoch nicht weitergehen. Daher soll sich eine Kommission mit Überlegungen für ein längerfristiges Finanzkonzept befassen.
Konkret soll der Pflegebeitrag für größere Familien für die Dauer der Erziehungsphase bis zum 25. Geburtstag des jeweiligen Kindes deutlicher gesenkt werden – und zwar schrittweise je Kind. Ab zwei Kindern müsste damit – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil von derzeit 1,525 Prozent – weniger gezahlt werden als heute. Bei zwei Kindern soll der Arbeitnehmeranteil künftig 1,45 Prozent betragen, bei drei Kindern 1,2 Prozent, bei vier Kindern 0,95 Prozent und bei fünf und mehr Kindern 0,7 Prozent. Ist ein Kind älter als 25 Jahre, entfällt „sein” Abschlag. Sind alle Kinder aus der Erziehungszeit, gilt dauerhaft der Ein-Kind-Beitrag, auch wenn man in Rente ist.
Die mitregierenden Grünen meldeten für die Beratungen im Bundestag prompt Nachbesserungsbedarf an. Man müsse feststellen, dass der Finanzminister verhindert habe, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in notwendiger Höhe entlastet werden, kritisierten die Fachpolitikerinnen Maria Klein-Schmeink und Kordula Schulz-Asche. Im Koalitionsvertrag vereinbarte Steuermittel für gesellschaftliche Aufgaben stünden nicht bereit. Unions-Experte Tino Sorge (CDU) warnte vor einem Finanzkollaps. Seit Monaten blockierten sich Lauterbach und FDP-Finanzminister Christian Lindner. Die Pflegekassen beklagten, mit dem vorliegenden Entwurf springe die Regierung deutlich zu kurz.
Um Ausfälle wichtiger Arzneimittel zu vermeiden, will Lauterbach bestimmte Preisregeln lockern. Das soll Lieferungen nach Deutschland attraktiver machen. Bei Kindermedikamenten sollen Hersteller den Preis um bis zu 50 Prozent heraufsetzen dürfen. Zudem sollen europäische Hersteller – angefangen bei Antibiotika – stärker zum Zug kommen. Geplant sind auch Vorgaben zu mehrmonatigen Vorräten als Sicherheitspuffer. Mit anderen Maßnahmen dürfte das Gesetz die gesetzlichen Kassen einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag mehr kosten, wie der Minister schätzte. Die Linke kritisierte, er knicke vor der Pharma-Lobby ein. Engpässe gab es zuletzt im Winter etwa bei patentfreien Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder.
Lauterbach schrieb am Samstag bei Twitter, die Sorge der Kinderärzte sei berechtigt, und verwies auf ein entsprechendes Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe, das die Bundesregierung Anfang April auf den Weg gebracht hatte. Vom Bundestag beschlossen ist es aber noch nicht. Es soll Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, so dass sich Lieferungen nach Deutschland mehr lohnen. Bei wichtigen Medikamenten ist auch eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung vorgesehen. Und bei Antibiotika sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produzieren, stärker zum Zug kommen.
In der Begründung zum Gesetz ist nachzulesen, dass bei bestimmten Arzneimitteln mit Antibiotika inzwischen mehr als 60 Prozent der Wirkstoffproduktion in Asien stattfindet, doppelt so viel wie vor zwanzig Jahren. Die Neuregelung soll Abhängigkeiten verringern.
Lesen Sie auch: „Das ist eine bittere Pille für die pharmazeutische Industrie“